Faszinierendes Panorama einer fesselnden Epoche
Harry Graf Kessler hat in seinen umfangreichen Tagebüchern mit spitzer Feder Intellektuelle, Künstler und Politiker der Kaiserzeit und der Weimarer Republik porträtiert. Seine Aufzeichnungen bieten ein faszinierendes Panorama einer fesselnden Epoche.
Er hat das umfangreichste Tagebuch hinterlassen, das jemals ein deutscher Autor führte. Dabei ist die Bezeichnung Autor charmant untertrieben. Harry Graf Kessler war viel mehr als Diarist, Biograf (über Rathenau), Autobiograf, Reiseschriftsteller (über Mexiko) und Librettist ("Rosenkavalier", "Josefslegende"). Er war vor allem ein "homme du monde", wie der Sohn eines millionenschweren Schweizer Bankiers und einer Französin es selber wohl genannt hätte. Ein "Mann von Welt", der in Paris ebenso zu Hause war wie in London und Berlin.
Harry Graf Kessler (1868-1937), auch der "rote Graf" genannt, weil er sich nach 1918 entschieden für die Demokratie in Deutschland einsetzte, wollte zunächst die diplomatische Laufbahn einschlagen. Doch für das Außenministerium unter Wilhelm II. war er innerlich zu unabhängig. Erst im Ersten Weltkrieg erhielt er – untergeordnete – diplomatische Aufgaben, koordinierte eine Zeit lang die deutsche Kulturarbeit in der neutralen Schweiz und amtierte als erster deutscher Botschafter 1918 in Polen.
Den weitaus größten Teil seiner Zeit verbrachte er hingegen damit, Kunst und Künstler zu unterstützen und das Leben der oberen Zehntausend zu beobachten und in spitzen, zuweilen bösmäuligen, aber immer wohlinformierten und sehr präzisen Schilderungen zu porträtieren. Auf diese Weise wuchs sein monumentales Tagebuch heran, das er bis zum einsamen Tod in Paris 1937 führte.
Jahrzehntelang war es nur in einer Auswahl zugängig, aber seit dem letzten Jahr macht sich der Klett-Cotta Verlag in Stuttgart daran, es in seinem Gesamtumfang zu präsentieren. In diesem Frühjahr erschien Band 3, umfassend die Jahre 1897 bis 1905.
Es sind für Kessler entscheidende Jahre. Bis 1900 gibt er die damals wegweisende und bedeutendste Kulturzeitschrift der Epoche, "Pan", heraus. Nach deren Einstellung geht er als Museumsdirektor nach Weimar, wo dank seiner Ankaufspolitik die künstlerische Moderne vor allem französischer Provenienz Einzug hält. Kessler holt den wahrscheinlich wichtigsten Architekten und Ausstatter des Jugendstils, den Belgier Henry van de Velde, ins Großherzogtum. Gleichzeitig besucht er eifrig die maßgeblichen Berliner Salons und ist auf Du und Du mit den Größen aus Theater, Politik, Wirtschaft und Literatur der Reichshauptstadt.
Ein faszinierendes Panorama einer fesselnden Epoche stellen diese Notate dar, die vor allem von einem sprechen: von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im damaligen Deutschland, das von seinem Kaiser samt seiner Kamarilla autokratisch und "von Gottes Gnaden" regiert wird, obwohl schon allenthalben die moderne Zeit auf dem Vormarsch ist.
Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880 – 1937
Bd. 3: 1897 – 1905.
Herausgegeben von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott.
Klett-Cotta. Stuttgart 2005.
1100 S., Leinen 58 Euro, Leder 198 Euro
Harry Graf Kessler (1868-1937), auch der "rote Graf" genannt, weil er sich nach 1918 entschieden für die Demokratie in Deutschland einsetzte, wollte zunächst die diplomatische Laufbahn einschlagen. Doch für das Außenministerium unter Wilhelm II. war er innerlich zu unabhängig. Erst im Ersten Weltkrieg erhielt er – untergeordnete – diplomatische Aufgaben, koordinierte eine Zeit lang die deutsche Kulturarbeit in der neutralen Schweiz und amtierte als erster deutscher Botschafter 1918 in Polen.
Den weitaus größten Teil seiner Zeit verbrachte er hingegen damit, Kunst und Künstler zu unterstützen und das Leben der oberen Zehntausend zu beobachten und in spitzen, zuweilen bösmäuligen, aber immer wohlinformierten und sehr präzisen Schilderungen zu porträtieren. Auf diese Weise wuchs sein monumentales Tagebuch heran, das er bis zum einsamen Tod in Paris 1937 führte.
Jahrzehntelang war es nur in einer Auswahl zugängig, aber seit dem letzten Jahr macht sich der Klett-Cotta Verlag in Stuttgart daran, es in seinem Gesamtumfang zu präsentieren. In diesem Frühjahr erschien Band 3, umfassend die Jahre 1897 bis 1905.
Es sind für Kessler entscheidende Jahre. Bis 1900 gibt er die damals wegweisende und bedeutendste Kulturzeitschrift der Epoche, "Pan", heraus. Nach deren Einstellung geht er als Museumsdirektor nach Weimar, wo dank seiner Ankaufspolitik die künstlerische Moderne vor allem französischer Provenienz Einzug hält. Kessler holt den wahrscheinlich wichtigsten Architekten und Ausstatter des Jugendstils, den Belgier Henry van de Velde, ins Großherzogtum. Gleichzeitig besucht er eifrig die maßgeblichen Berliner Salons und ist auf Du und Du mit den Größen aus Theater, Politik, Wirtschaft und Literatur der Reichshauptstadt.
Ein faszinierendes Panorama einer fesselnden Epoche stellen diese Notate dar, die vor allem von einem sprechen: von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im damaligen Deutschland, das von seinem Kaiser samt seiner Kamarilla autokratisch und "von Gottes Gnaden" regiert wird, obwohl schon allenthalben die moderne Zeit auf dem Vormarsch ist.
Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880 – 1937
Bd. 3: 1897 – 1905.
Herausgegeben von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott.
Klett-Cotta. Stuttgart 2005.
1100 S., Leinen 58 Euro, Leder 198 Euro