Faszinierender Familienroman

Rezensiert von Carolin Fischer |
Die "Rumänische Reise" von Nicolaus Sombart ist ein privates Reisetagebuch aus dem Jahr 1972, das nun noch einmal überarbeitet und veröffentlicht wurde. Es präsentiert nicht nur das Land Ceausescus, sondern auch das Rumänien vor dem Zweiten Weltkrieg, das er mit seiner Mutter als Knabe besucht hatte. Das Buch ist gleichzeitig ein faszinierender Familienroman.
Nicolaus Sombart ist es gelungen, mit seinen autobiographischen Schriften ein neues, ihm eigenes Genre zu schaffen. Bereits in seiner "Jugend in Berlin", später in der Studienzeit in Heidelberg nach dem Zweiten Weltkrieg, wo er ein "Rendezvous mit dem Weltgeist" verlebte, oder während seiner "Pariser Lehrjahre" in den 50er Jahren, immer gelingt es ihm, persönliche Erinnerungen mit einer soziologischen Analyse der Gesellschaft, in der er jeweils gelebt hat, zu verbinden.

Dabei macht er die Leser mit verschiedenen großen Theoretikern der Soziologie bekannt, ohne ihnen des Lebens goldenen Baum in Form ausführlicher Darlegungen seines Intimlebens vorzuenthalten. Letzteres hat aber durchaus Methode, denn eine von möglichst vielen Zwängen befreite Erfüllung libidinöser Bedürfnisse ist Teil von Sombarts Credo, das er durchaus in die Realität umzusetzen wusste.

So auch während seiner Zeit am Wissenschaftskolleg, die er in einem "Journal intime 1982/83" festhielt und veröffentlichte, was einigen der darin Geschilderten gar nicht recht war. Dieser Aufenthalt war für ihn der Beginn einer neuen Lebensphase, da er sich damit von seinem Posten im Straßburger Europarat verabschiedete und in seine Heimatstadt zurückkehrte. Im Auftrag des Europarates war er in den siebziger Jahren nach Rumänien gereist, in die Heimat seiner geliebten und damals schon lange verstorbenen Mutter, um auf einem Kongress von Zukunftsforschern über den französischen Gesellschaftstheoretiker Charles Fourier zu sprechen, einen Vertreter des Frühsozialismus, der Anfang des 19. Jahrhunderts bereits den frühen Kapitalismus kritisierte aber auch für die freie Liebe eintrat.

Das Tagebuch dieser "Rumänischen Reise" ist nun erschienen und präsentiert sich beinahe noch vielschichtiger als seine vorherigen Memoirenbände, denn Sombart präsentiert uns nicht nur das Land Ceausescus, sondern eben auch das Rumänien vor dem Zweiten Weltkrieg, das er mit seiner Mutter als Knabe besucht hatte. So zeigt die Konfrontation von Erinnerung und der Begegnung mit überlebenden Verwandten in aller Deutlichkeit die Veränderungen und Zerstörungen jener Jahrzehnte. Gleichzeitig wird uns ein faszinierender Familienroman präsentiert, wobei der Clan der Mutter sich aus den unterschiedlichsten Persönlichkeiten zusammensetzte, so dass ein farbenprächtiges Kaleidoskop entsteht.

Darüber hinaus findet eine intensive Auseinandersetzung mit den Utopien des Gesellschaftstheoretikers Fourier statt, und dies auf theoretischer ebenso wie auf praktischer Ebene. Während nun Sombart einerseits am Beispiel des Landes, das er bereist, sieht und aufzeigt, welche zerstörerischen Folgen der reale Sozialismus zeitigte, verfolgt er andererseits Fouriers Konzept der freien Liebe, und dies nicht nur dadurch, dass er dies Reise mit seiner äußerst attraktiven Geliebten Isabelle unternimmt.

Mit ihr versucht er darüber hinaus, die Befreiung aus sexuellen Zwängen in einer amour à trois zu realisieren. Wahrscheinlich wäre die obstinate Verfolgung dieses Wunsches sowie beispielsweise die Verklärung des Club Med als Phalanstère, als Idealgemeinschaft im Sinne Fouriers, für den Leser stellenweise schwer erträglich, doch dies verhindert Sombart, indem er durch Selbstironie und -kritik seinen analytischen Verstand auch zur Kritik des eigenen Denkens und Verhaltens nutzt.


Nicolaus Sombart:
Rumänische Reise. Ins Land meiner Mutter.

Transit Buchverlag,
256 S., 18,80 Euro.