Zum 50. Todestag
Die Erstausgabe des englischen Originals von "Der Herr der Ringe" erschien in den Jahren 1954/1955. © Picture-Alliance / Photoshot
Wie Tolkien mich nach Mittelerde lockte
Unsere Autorin mag Fantasy eigentlich gar nicht – mit einer großen Ausnahme: J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe". Die Trilogie lässt sie seit ihrer Jugend nicht mehr los und hat sogar ihre Studienentscheidung beeinflusst. Tolkien starb vor 50 Jahren.
Ehrlich gesagt: Ich kann mit Fantasy eigentlich gar nichts anfangen. Ob „Game of Thrones“, „Die Tribute von Panem“ oder „Die Chroniken von Narnia“ – all diese Geschichten haben mich nie in ihren Bann gezogen. Einzige Ausnahme: J.R.R: Tolkiens „Der Herr der Ringe“.
Als ich 1991 erstmals in einer Bonner Buchhandlung mit der Trilogie um die Ringe der Macht in Berührung kam, war es um mich geschehen. Schon der giftgrüne Einband der Paperback-Ausgabe faszinierte mich, ebenso die darin enthaltenen drei Bände, alle versehen mit einer Landkarte von Mittelerde, der Welt, die sich ihr Schöpfer John Ronald Reuel Tolkien ausgedacht hatte.
Schicksalsberg statt Freibad
Da stand ich nun, ein 14-jähriges Mädchen, dessen Welt bis dato aus „Die drei ???“, „Knight Rider“ und der damals schwer angesagten Boyband New Kids on the Block bestanden hatte. Stand da mit dem dicksten Buch in der Hand, das ich je gesehen hatte, und konnte meinen Blick nicht mehr davon abwenden.
Ich muss ausgesehen haben wie Bastian Balthasar Bux aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“, der im Antiquariat von Herrn Koreander dem Ruf Phantásiens nicht widerstehen kann und dann mit dem gestohlenen Buch auf dem Dachboden verschwindet.
Ich hingegen entschwand in meinem Kinderzimmer. Ich war so angefixt von der Geschichte um den Hobbit Frodo Beutlin und dessen Abenteuer auf dem Weg zum Schicksalsberg, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen. Würde er es schaffen, den Ring der Macht zu vernichten, einen „Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden“?
Der Weg dorthin war kaum zu schaffen für Frodo und seine Gefährten – aber auch für mich, lagen doch vor mir 1.257 Seiten! Im Sommer 1991 waren meine Freunde und meine Brüder im Schwimmbad – und ich in Mittelerde.
Mich fasziniert damals wie heute nicht nur die Geschichte und der Kampf Gut gegen Böse, sondern auch die Welt, die Tolkien geschaffen hatte. Ganze Völker von Elben, Zwergen, Baumwesen (Ents) und fiesen Orks, fremde Sprachen und Schriftzeichen: Mir tat sich eine Welt auf, die mir in dieser Fülle bisher in keinem Buch begegnet war.
Im beschaulichen Königswinter bei Bonn, wo ich aufgewachsen bin, war die Welt plötzlich grenzenlos und musste auf jeden Fall gegen Sauron und die bösen Heerscharen aus Mordor verteidigt werden.
Tolkien ist schuld an meiner Studienwahl
So mit Sprache umgehen zu können wie Tolkien, wollte ich damals auch und fasste deshalb ein paar Jahre später – kurz nach dem Abitur – einen folgenschweren Entschluss: Ich studiere Anglistik, um auf den Spuren von J.R.R. Tolkien und auch Shakespeares zu wandeln!
An der Uni musste ich dann allerdings zu meinem Leidwesen feststellen: Anglistik hat nicht wirklich viel mit Elben, Zauberern und Hobbits zu tun! Die meiste Zeit beschäftigte ich mich mit Phonologie, Morphologie, Lexikologie und Syntax.
John Ronald Reuel Tolkein wurde am 3. Januar 1892 in Südafrika geboren, wuchs aber in den englischen Midlands bei Birmingham auf. Schon seit frühster Jugend faszinieren ihn Sprachen er liest Texte im altenglischen Original, lernt Finnisch und erfindet Kunstsprachen. Nach Ende des I. Weltkriegs bekommt er eine Stelle beim „New English Dictionary“ und schließlich einen Lehrstuhl für Angelsächsisch in Oxford. Um 1930 begann er mit „Der Hobbit“, der 1937 veröffentlicht wurde. Die Fortsetzung „Der Herr der Ringe“ schloss Tolkien 1949 ab, wegen längerer Verlagsverhandlungen erschienen die ersten beiden Bände jedoch erst 1954, der dritte und letzte Band 1955. J.R.R. Tolkien starb am 2. September 1973.
Ich bewundere Tolkien dafür, dass er die Kreativität und auch die Muße besaß, in seiner Freizeit eine solch komplexe Welt wie Mittelerde inklusive mehrerer fiktiver Sprachen zu entwickeln. Mich hat die Linguistik eher abgeschreckt, ich wollte schreiben, mit Sprache spielen und Geschichten kreieren – und nicht einzelne Sätze und Wörter in ihre Bestandteile zerlegen und diese analysieren.
Ich habe dann jedenfalls mein Anglistikstudium abgebrochen und mich der Philosophie zugewandt. Was aber geblieben ist, ist meine Begeisterung für Sprache und die Neugier, fremde Kulturen und Welten kennenzulernen. Und: Tolkien hat mich gelehrt, geduldig zu sein.
Ein Herz für die Spießer des Auenlandes
Natürlich habe ich später auch die drei „Herr der Ringe“-Filme sowie die Verfilmungen von „Der Hobbit“ gesehen, alleine für den ersten Teil „Die Gefährten“ bin ich zwölf Mal in einem Jahr ins Kino gegangen.
Und zur Premiere des dritten und letzten Teils „Die Rückkehr des Königs“ (2003), anlässlich derer vorab auch nochmal Teil 1 und 2 am gleichen Abend gezeigt wurden, habe ich eine ganze Nacht im Kinosessel verbracht.
Doch mein Herz gehört den Büchern, den Figuren, die in der Kinofassung keinen Platz gefunden haben, darunter Tom Bombadil, dem „Meister von Wald, Wasser und Berg“, dem Natur mehr bedeutet als Menschen, Elben und Zwerge.
Ebenso sind mir die spießigen und oft kleinbürgerlich anmutenden Bewohnerinnen und Bewohner des Auenlandes mit ihren Marotten ans Herz gewachsen, in denen ich oft nicht nur Nachbarn und Freunde, sondern auch mich selbst wiedererkenne.
Wenn ich dann gelegentlich meine alte dreibändige grüne Paperback-Ausgabe aufschlage und mir dann der Duft des alten Buches in die Nase steigt: Dann ist wieder 1991, ich bin wieder 14 und kann es gar nicht erwarten, in Gedanken zur Tür hinaus zu gehen und ein neues Abenteuer zu beginnen.