Faszination Fidget Spinner

Die Wiederkehr des Körperlichen

Ein Kind balanciert einen Fidget Spinner, der sich dreht, auf der Nase.
Ein Kind balanciert einen Fidget Spinner, der sich dreht, auf der Nase. © imago/Pixsell/ Armin Durgut/ HaloPix
Von Christian Schneider · 17.08.2017
Das Trendspielzeug dieses Sommers sind die sogenannten Fidget Spinner. Für Christian Schneider sind die kleinen Teile gleichermaßen Symbol und Trainingsgerät für das Leben von morgen.
Es sirrt und schwirrt, kitzelt die Fingerspitzen und schleicht sich unauffällig in den Körper. "Ich spür’s im Bauch", sagt Sven. Ich nicht. Vielleicht liegt es am Altersunterschied. Sven ist 13. Die Rede ist von den Fidget Spinners, dem diesjährigen Sommer-Hype für Kinder und Halbwüchsige – und fast mehr noch für jene, die professionell mit Kindern und Halbwüchsigen zu tun haben: Lehrer zeigen sich genervt von diesen kleinen Drehgeräten, die man zwischen Daumen und Mittel- oder Zeigefinger rotieren lässt, um mit ihnen Balancekunststückchen auf allen möglichen Körperteilen aufzuführen.

Die Wiederkehr des Körperlichen

Längst haben die Spinners die Klassenräume erobert - auch im Unterricht. Während es in den USA bereits Verbote gibt, bleibt es hierzulande vorerst dabei, dass die Pädagogen ihr genuines Spiel spielen: Sie mahnen. Und bilden damit den leicht antiquiert wirkenden Gegenpol zu den smarten Vertretern dieser angeblich grundstürzenden Innovation im Spielemarkt. Die Pro-Spinners versteigen sich dazu, das neue Trendspielzeug als ultimatives Mittel gegen ADHS und Autismus zu verkaufen. Die Mahner sehen in ihnen ein weiteres Indiz für den Untergang des Abendlandes. So absurd das Pro-Argument – Autismus ist sowenig mit niedlichen Playsets zu heilen wie ADHS – so seltsam, dass die Kritiker das wirklich Überraschende am Spinner-Syndrom gar nicht wahrnehmen: Die Wiederkehr des Körperlichen im Zeitalter der Virtual Reality.

Verlust von Sinnlichkeit beim Online Spielen

Jahrelang stand im Zentrum der pädagogischen Kritik das Verführungsangebot der Unterhaltungsindustrie, sich in die Pseudowelten von Computer-, Video- und Internetspielen zu flüchten. Seit dem mittlerweile großväterlichen Supermario wird neben der Gefahr des Realitätsverlusts vor allem die Verkümmerung von körperlicher Aktivität und physischer Spannung beklagt. Der adoleszente Spieler-Nerd, der mit Softdrinks und Chips allnächtlich am Bildschirm im "Second Life" versucht, die realen Kränkungen des Tages zu kompensieren, ist auch das Schreckbild des Verlusts gesunder Sinnlichkeit.

Spinners: Trainingsgeräte für unsere Zukunft?

Die Spinners sind demgegenüber ein interessantes Zwitterphänomen von Technik und sinnlicher, körperlicher Lusterfahrung. Sie lösen Gefühle, physische Spannung, eine prickelnde Vorlust auf Unbekanntes aus: sie sind veritable Wunschmaschinen. Die im Resultat zugleich das typische postmoderne Gefühl der Unerreichbarkeit des Gewünschten vermitteln. Als Trigger eines irisierenden Empfindens, das sich in unendlicher Vorlust verausgabt, sind sie die technischen Herolde der ins Leben eingebauten Desillusion.
Die elfjährige Luisa bringt es mir gegenüber auf den Punkt: Eigentlich sei es gar nicht besonders toll, mit den Spinners zu spielen. Man tue es, um die Langeweile loszuwerden, sich abzulenken – aber dann könne man einfach nicht mehr aufhören. Was sie beschreibt ist eine präsexuelle Form der Selbstbefriedigung. Als Exempel eines neuen Zusammengehens von Technik und Leben nehmen die harmlosen Stimulations-Kreisel im Kleinen die Welt von morgen vorweg.
Diejenigen, die sie heute beinahe als Teil ihres Selbst erleben, antizipieren die Welt der Cyborgs, der Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine, die längst nicht mehr nur im Kino real sind. Zu dieser Welt gehört die Künstlichkeit des Sinnlichen ebenso wie der Wunsch nach Echtheit – samt der Einsicht, dass das Erstrebte meist nicht zu haben ist. Die Fidget Spinners sind gleichermaßen Symbol und Trainingsgerät für das Leben von morgen: Stimulanzien der unendlichen Bewegung des Wünschens, die uns rast- und ruhelos rotieren lässt.

Christian Schneider studierte Sozialwissenschaften, Philosophie und Psychologie in Hannover (Promotion bei Oskar Negt); anschließend kunstwissenschaftliche Studien in Italien; lehrte an den Universitäten Hannover, Kassel, Budapest (CEU) und LMU München; psychoanalytische Fortbildung am Sigmund Freud-Institut Frankfurt; Forschung vor allem im Bereich psychoanalytischer Kulturtheorie; zahlreiche Veröffentlichungen; gilt als Begründer der psychoanalytischen Generationengeschichte (hierzu das Buch "Das Erbe der Napola. Versuch einer Generationengeschichte des Nationalsozialismus, 1996 und der diesem Thema gewidmete Dokumentarfilm "Herrenkinder", 2008). Er betreibt eine Praxis für psychoanalytisches Coaching in Frankfurt a.M.