Fasten your seatbelts

Von Hans Christoph Buch |
"Es wird nie ein Mensch fliegen", sagt der Bischof in Brechts Gedicht "Der Schneider von Ulm", nachdem dieser mit seinen selbst gebastelten Flügeln vom Kirchturm in den Tod gesprungen ist. Seitdem ist viel Wasser die Donau herabgeflossen, und was als wagemutiges Experiment von Exzentrikern wie Montgolfier, Lilienthal und Lindbergh begann, entwickelte sich schon zu Lebzeiten Brechts zum gebräuchlichen Transportmittel, dessen militärische Nutzung noch vor der zivilen Luftfahrt einsetzte.
Aber erst nach Brechts Tod, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, avancierte das Flugzeug zum Massenverkehrsmittel Nummer eins, das nicht nur der Schifffahrt, sondern auch der Eisenbahn den Rang ablief und aus der schönen neuen Welt der Postmoderne nicht mehr wegzudenken ist.

Der Hinweis auf Aldous Huxleys Zukunftsvision steht hier nicht von ungefähr, denn anders als Orwells totalitäre Utopie "1984" enthielt der Traum vom Fliegen von Anfang an ein Freiheits- und Glücksversprechen, das, wie uns die Psychoanalyse lehrt, stets auch eine sexuelle Komponente beinhaltet. "Über den Wolken ist die Freiheit grenzenlos", lautet ein populärer Refrain, und nicht nur VW-Betriebsräte ließen sich auf Kosten des Vorstands, sprich des Steuerzahlers, zu Lustreisen, sprich Bordellbesuchen, nach Rio de Janeiro einfliegen.

Exotik hat sich immer schon auf Erotik gereimt, und es ist kein Zufall, dass der erste nachweisliche Träger des HIV-Virus ein kanadischer Steward gewesen sein soll, der jede Nacht auf einem anderen Kontinent und mit einem anderen Sexpartner verbrachte – so lange, bis die Aids-Epidemie der wilden Promiskuität das politisch korrekte Kondom überzog. Der hedonistische Slogan der 1968er Generation: "Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment", hatte sich selbst ad absurdum geführt, und der Ausbruch der todbringenden Lustseuche Mitte der 80er Jahre fiel zusammen mit der beginnenden Diskussion über die Grenzen des Wachstums und ersten Warnungen vor einem drohenden Klimawandel, der 20 Jahre danach zur traurigen Gewissheit geworden ist.

Was sich mit unübersehbaren Phallussymbolen wie dem Absturz des Zeppelins "Hindenburg" und den Atompilzen über der Wüste von Nevada angekündigt hatte, wurde erst durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Dass die Menschheit Gefahr läuft, ihre eigenen Lebensgrundlagen und damit sich selbst zu zerstören. Heute wissen wir, dass das irdische Leben interaktiver Teil eines vernetzten Ökosystems ist, das hochsensibel und für Störungen anfällig ist, und dass eine Erwärmung um drei Grad genügt, um Meeresströmungen umzulenken und das Weltklima zu kippen.

Den Dreckschleudern der Industrie, Autofahrern und Rauchern wird deshalb der Kampf angesagt, und zusammen mit der zum ökonomischen Leitbild erhobenen Mobilität kommt auch der Luftverkehr auf den Index der ökologischen Vernunft – die Krise des Airbus-Konzerns ist hierfür ein Symptom. Der Meilen sammelnde Vielflieger gilt noch immer als eine Art Übermensch, vor dem die Stewardess vor Ehrfurcht erstarrt, aber das könnte sich rasch ändern, wenn der Druck der öffentlichen Meinung nicht nur Umweltexperten, sondern auch Wirtschaftsmanager und Politiker dazu zwingt, ihre Verhaltensnormen zu ändern.
Vielleicht gehört die schöne neue Welt des Massenflugverkehrs, in dem ein pseudoenglisches Esperanto gesprochen wurde, irgendwann der Vergangenheit an, und die Durchsage "Fasten your seatbelts, please!" wird eines schönen Tages nur noch im Luftfahrtmuseum des 21. Jahrhunderts zu hören sein.


Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der Gruppe 47. Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".