Fast so etwas wie eine Sternstunde des Musiktheaters

Von Frieder Reininghaus · 20.03.2011
Händels Oper "Rodelinda" verhandelt eine Thronintrige aus dem 7. Jahrhundert, der Plot bewegt sich an der Grenze zum unfreiwillig Parodistischen. Doch Philipp Harnoncourt gelingt es in Wien, das Stück auch für heutige Augen und Ohren wieder attraktiv zu machen.
Als Londoner Aristokraten 1719 die Royal Academy of Music ins Leben riefen und durch ein Subskriptionsverfahren nach dem Vorbild von Aktiengesellschaften finanzierten, standen neben Giovanni Bononcini und dem bereits am preußischen Hof bewährten, etwas älteren Attilio Ariosti der noch jugendfrische Georg Friedrich Händel bereit. Er lieferte in zehn Jahren 14 Opern – darunter "Giulio Cesare in Egitto" und "Tamerlano", die sich im Repertoire gehalten haben.

Aus dem Jahr 1725 stammt gleichfalls "Rodelinda". Dieses dramma per musica verhandelt eine Thronintrige aus dem 7. Jahrhundert: ein Grimoaldo (Grimwald) hat den lombardischen Thron usurpiert und will Rodelinda, die Frau des vertriebenen und mutmaßlich ums Leben gekommenen Bertarido (Bertarich) für sich gewinnen. Garibalds wirbt und droht in seinem Auftrag. Nur gezwungenermaßen beugt sich die treue Rodelinda (und nur zum Schein) – und da taucht auch schon Bertarido diskret wieder auf. Er wird erkannt und inhaftiert, doch gelingt ihm die Flucht und – gut, wie er nun einmal ist – verhindert er ein Mordkomplott gegen Grimoaldo. Aus Dank erhält Bertarido von dem nun auch zur Güte geläuterten rabiaten Emporkömmling Grimoaldo Thron und Frau zurück.

Ein Plot wie dieser bewegt sich heute an der Grenze zum unfreiwillig Parodistischen. Doch ist es zuvorderst das Verdienst des Philipp Harnoncourt, die alte Geschichte so in die Gegenwart transportiert zu haben, dass die Zuschauer ihr mit wachsendem Interesse folgen: der Regisseur verschob die Handlung ins Italien der Gegenwart, rückte sie ins Ambiente und Design einer zeitgenössischen Medienwelt und zeigt ein halbes Dutzend ziemlich mittelständische Nutzer einer Wohnanlage.

Herbert Murauer stellte ihm dafür ein funktionales drehbares Betongerippe bereit, dessen Einzelteile mobil eingesetzt werden können: In den einzelnen Ecken der zwei Etagen, die durch Treppen verbunden sind, stehen Utensilien wie Schminktisch und Kleiderschrank, Zimmerpalme oder Plastikplanschbecken, um die herum sich jeweils die einzelnen Szenen entwickeln und auf die sich die Blicke fokussieren.

Und siehe da: der Konflikt zwischen usurpatorischem männlichem Begehren und weiblich-standfestem Willen zur Selbstbestimmung entfaltet in diesem Laboratorium eine ernste Grundierung, die dann zunehmend durch komödiantische Momente aufgelockert wird – kulminierend in der Ausbruchs-Aktion Bertaridos und seines Freundes Unulfo aus der Haft, die polternd und krachend in den Orchestergraben führt (die beiden entschuldigen sich bei den Instrumentalisten für die kleine Störung).

Nikolaus Harnoncourt animiert den Concentus Musicus, jenes Muster-Ensemble zur Wiedererweckung älterer Musik, das er in Wien vor mehr als einem halben Jahrhundert ins Leben rief und mit dem er jetzt wieder intensiv probte. Er tut es mit einer immer wieder weitgehend zurückgenommenen Zeichengebung und erzielt mit dem punktuellen intensiven Eingreifen in den musikalischen Fluss ein ziemlich optimales Resultat. Denn die Musiker 'können' nicht nur ihre Stimmen, sondern sind mit den Ohren ganz bei der Sache und brauchen keine Bevormundung mit Handkantenschlägen und historischen Feldherrenattitüden.

Der neuen Händel-Produktion im Theater steht ein glänzendes Solisten-Ensemble zur Verfügung. Allen voran Bejun Mehta. Der Counter kostet die Momente der Raserei aus, repräsentiert zugleich Liebe und Güte mit höchstem technischen Geschick. Er ist derzeit Meister dieses Stimmfachs. In einem insgesamt brillanten Ensemble strahlt freilich auch der Sopran von Danielle de Niese, die mit der Titelrolle durchaus auch auf theatrale Trauergesten der Callas anspielt. Kurt Streit als der Bösewicht Grimoaldo beglaubigt mit seiner Stimme wie als Darsteller die Gewalttätigkeit des Thronräubers und Nötigers, zugleich die Dünnhäutigkeit eines Mannes, der geliebt sein will.

Zwischen den Produktionen von Martin Kušej oder Philipp Stölzl und Calixto Bieito nimmt sich die mit den Chiffren der Gewalt wohldosiert spielende Inszenierung von Philipp Harnoncourt nicht sonderlich originell aus, aber sie ist im Verbund mit dem musikalischen Resultat geeignet, das ansonsten obsolet erscheinende Werk für heutige Augen wieder attraktiv zu machen.