"Fast Forward"

Die Zukunft des europäischen Theaters

Von Michael Laages · 30.11.2014
Die vierte Ausgabe des Festivals "Fast Forward", dem internationalen Treffen junger Regie-Talente am Staatstheater Braunschweig, ist beendet - und hinterlässt gemischte Gefühle.
Brechts "Baal" also auch hier, wie seit gestern wieder in Berlin - nur dass die Budapester "Szputnik Shipping Company" des Regisseurs Viktor Bodó hier, unter der Leitung des Bodó-Schülers Daniel Kovacs, erstaunlich konventionell zugeht auf den auch nach bald 100 Jahren überaus kryptischen Stoff.
Wuchtig-exzessives Körper-Theater ist zu sehen auf erdigem Boden, aus dessen Untergründen die Unterwelten des Stückes durch's Gulli herauf klettern - aber mehr als eine ruppige Kneipen-Phantasie ist das nicht. Außerdem stand dieser "Baal" auf verlorenem Posten - nurmehr eine Produktion außer dieser nahm sich ein Stück, einen richtigen Text vor.
Der in iranischer Familie geborene Belgier Mehdi Dehbi erarbeitete eine arabische Version des fundamentalen Revolten-Dramas "Die Gerechten" von Albert Camus.
An die arabische Revolte jüngerer Zeit denkt dabei übrigens nur das Publikum - das Ensemble spielt russische Revolutionäre wie im Original, und wie im Original zerbricht das Stück fast unter der Last der Worte. Aber das Ensemble agiert direkt zwischen uns, die wir wahllos im Raum verteilt sind - und so schlägt die mörderische Debatte, die da geführt wird, auf uns zurück: Wann würde wer von uns zum Selbstmordattentäter?
" ... alle Sachen, die uns in unserer Arbeit beschäftigen - Leo hat diese Summe 'A' genannt; und das ist ganz gut, um anzufangen ..."
Vom Kleinen ins Große
Neben den beiden Theatertexten standen also fünf Performance-Projekte - in "Champs d'Appel" von Francois Lanel driften die Akteure (mit deutscher Live-Übersetzerin) vom Stöckchen auf's Hölzchen; also umgekehrt als sonst vom Kleinen ins Große.
An der Schultafel entwerfen sie eine Art Mengenlehre der Dinge, verschwinden dann hinter ihr in vermeintlich unterirdischen Höhlen, bauen einen beunruhigend-monströsen Riesen aus Holzgestänge auf die Bühne und kämpfen mit ihm wie Don Quixote, bevor einer in eine alte Taucherglocke gestopft wird und ins All (oder in tiefste Tiefen) geschickt wird. Mehr Phantasie war nicht zu haben in vier Tagen "Fast Forward".
"Wir freuen uns, dass Sie zu unserem Vortrag gekommen sind. Im Vortrag berichten wir von einer Reise in die Lausitz."
In der Lausitz imaginieren diese vier Akteure von der Uni Hildesheim "Steppengesänge" - dazu spielen sie exzessiv mit echten und falschen Bildern vom Braunkohleabbau, Wölfen und verlassenen Dörfern; alles ist Vision und Illusion: bis wir, das Publikum, die Bühne bevölkern und sich das Ensemble in Steppenwesen verwandelt hat. Nett, aber irgendwie auch ziemlich harmlos - das gilt auch für die multinationale Produktion "Forecasting".
"I will close the Lib and und flip the MacBook over, like this ..."
Hier spielt die Darstellerin mit dem Computer - und unablässig mit dem Kamera-Effekt, der es ermöglicht, echte Menschen (oder Teile von ihm) im Computer-Bildschirm mitspielen zu lassen.
Ein nicht ganz ungefährliches Spiel
Die Holländerin Emke Idema entwarf derweil mit "Rule" ein nicht ganz ungefährliches Spiel - in dem sie das Publikum unentwegt zu digitalen Entscheidungen zwingt; plus oder minus, Zwischentöne sind verboten.
"What do you think is more important - being idealistic or being practical?"
Wer also "idealistisch" gestimmt ist, muss auf die eine, wer eher "praktisch" denkt, auf eine andere Spiel-Insel; mit Disqualifizierungen und immer perfideren Regeln und Fragen entwickelt sich eine stark nach Totalitarismus miefende Versuchsanordnung. Dass es im Grunde um eine Art "Toleranz-Test" geht, ist bald vergessen.
... keine zwei Wochen später ist Elisabeth M. tot. Ödön von Horváth soll an den realen Fall der zwangsweise in der Psychiatrie entsorgten Kommunistin gedacht haben, als er "Glaube Liebe Hoffnung" schrieb; Florian Fischer von der Münchner Otto-Falckenberg-Schule hat den historischen Fall sehr geschickt mit dem aktuellen des zwangspsychiatrisierten Gustl Mollath gekoppelt - und dafür tatsächlich auch mal alle Mittel des Theaters genutzt. Und darum erhält dieser Florian Fischer sehr zu Recht den Preis des Festivals: eine Inszenierung am Braunschweiger Theater.
Die vierte Ausgabe von "Fast Forward" hinterlässt gemischte Gefühle - vor allem der allgegenwärtigen Projekt-Arbeiten wegen. Denn wie intelligent Regisseurinnen und Regisseure auch immer das Theater "von außen" verändern wollen, sie müssen doch für längere Zeit noch leben in und mit und vom Theater, wie es ist. Diese Arbeitsperspektive ist unter diesen jungen Talenten eher wenig präsent - und die Zukunft darum für jeden einzelnen unsicherer denn je.