Farbwelten und Stillleben

Von Hartmut Krug |
Mit dem weltweit größten Otto-Dix-Konvolut, mit Werken von Corinth, Modersohn-Becker, Heckel und Schrimpf vermittelt das Museum Gunzenhauser in Chemnitz seit 2007 einen Überblick über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nun wurden drei Räume im Erdgeschoss des dreistöckigen Museums für die erste Sonderausstellung freigeräumt: Sie gilt Gabriele Münter. Nicht nur ihr 130. Geburtstag im letzten Jahr, sondern auch Münters Besuch in Chemnitz im Jahr 1905 haben die Ausstellungsmacher beflügelt.
Chemnitz hat während des Nationalsozialismus durch die Aktion „Entartete Kunst“ fast 1000 Werke der klassischen Moderne verloren. Doch im ehemaligen Sparkassengebäude, einem 1930 vollendeten wunderbaren Beispiel des Neuen Bauens von Fred Otto, findet man seit seinem Umbau im Jahr 2007 zum Museum Gunzenhauser wieder eine einzigartige Sammlung. Kurator Thomas Friedrich:

„2003 hat Herr Dr. Gunzenhauser als Galerist und privater Kunstsammler aus München der Stadt Chemnitz 2594 Werke gestiftet, um damit sein Museum, das Museum, das seinen Namen trägt, einrichten zu können. Und seit 1. Dezember 2007 sind von dem zweieinhalbtausend Werken zehn Prozent dauerhaft zu sehen. Das heißt, circa 250 Werke vermitteln einen Überblick über die frühen Anfänge, also die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bezug auf deutsche Kunst.“

Zur Sammlung gehören das mit 290 Werken weltweit größte Otto-Dix-Konvolut, 114 Werke von Conrad Felixmüller, 76 Arbeiten von Alexej von Jawlensky, 55 Werke von Gabriele Münter und zahlreiche Werke von Corinth, Modersohn-Becker, Beckmann, Kirchner, Heckel und Schrimpf.

Nun wurden drei Räume im Erdgeschoss des dreistöckigen Museums für die erste
Sonderausstellung des jungen Museums freigeräumt: Sie gilt Gabriele Münter. Neben dem Münchner Lenbach-Haus, das durch den Erhalt des Nachlasses der Künstlerin die bedeutendste Münter-Sammlung besitzt, vermag auch Chemnitz mit seiner Sammlung einen beeindruckenden Überblick über das Schaffen der Künstlerin zu geben, mit Werken von den frühen Anfängen bis in die Nachkriegszeit.

Nicht nur ihr 130. Geburtstag im letzten Jahr, sondern auch die Tatsache, dass Gabriele Münter im Jahr 1905 auch Chemnitz besuchte, hat die Ausstellungsmacher beflügelt:

„Wir haben genau 55 Werke von Gabriele Münter. Und ausgestellt von ihr sind in der Ausstellung 56. Das heißt, wir haben eine Leihgabe, ein ganz besonderes Werk. Als sie nämlich mit Kandinsky 1905 von Mai bis August hier in Chemnitz war, hat sie ein einziges Ölgemälde gemalt. Dieses Ölgemälde war seit den 70er Jahren verschollen, man wusste nicht, wo es verblieben war.

Und es wirklich in einem wunderbaren Zufall kurz vor Drucklegung des Katalogs im Spätsommer diesen Jahres aufgetaucht im Kunsthandel. Und wir können es befristet bis Ende dieses Jahres in der Ausstellung auch zeigen. Es ist eine kleine Landschaft, die sie von Hand auch rückseitig bezeichnet hat als ‚Landschaft in Sachsen‘. Und das macht natürlich diese Ausstellung noch einmal zu etwas ganz besonderem, dass man dieses eine Werk hier auch zeigen kann.“

Die weitgehend chronologisch aufgebaute Ausstellung bietet keine sensationell neue Sicht auf die Künstlerin, doch sie ermöglicht viele Entdeckungen und bietet einen eindrücklichen Überblick über die Entwicklung und das Werk der Künstlerin:

„Anhand unseres Bestandes ist eigentlich das Besondere und das Schöne, was eigentlich auch für die Besucher die Überraschung sein wird, für diejenigen, die Gabriele Münter noch nicht kennen, dass wir mit diesen zwei frühen Werken von 1906 sehr schön eben diese typische Spachteltechnik ihres Frühwerks zeigen können – und man sich dann, mit dem Gang in den zweiten Ausstellungsraum, in einer völlig veränderten Bildwelt, in einer anderen Farbwelt befindet.

Und dazwischen liegen gerade mal knapp zwei Jahre. Und dieser ganz abrupte, ganz über sie hereinbrechende Wandel in der Ausdrucksform, in der Maltechnik, der vollzog sich ja auch genauso abrupt innerhalb weniger Wochen, kann man sagen, im Herbst 1908 in Murnau mit diesem alles verändernden Erlebnis dieser Voralpenregion – das große Stillleben ‚Äpfel auf Blau‘ in seiner ganz einfachen Überzeugungskraft.“

Für den in Murnau entwickelten flächigen Stil mit dünn aufgetragener Farbe gibt es schöne Beispiele in der Ausstellung, die auch mit ihrem Katalog, in dem alle ausgestellten Werke abgedruckt sind, wie auch mit einem umfänglichen Begleitprogramm (Konzerte, Vorträge, Theateraufführungen) zu überzeugen versteht.

Und die Frage, ob oder warum Gabriele Münter anders als ihr langjähriger Lebensgefährte Wassilij Kandinsky, der mit zwei Gemälden in der Ausstellung vertreten ist, nicht den Weg vom Figurativen zur Abstraktion gegangen ist, vermag die Ausstellung dem aufmerksamen Betrachter ebenfalls zu beantworten:

„Das war ihre ganz bewusste, aktive Entscheidung, diesen Schritt nicht zu gehen, und sie hat es auch vermocht, gerade mit ihren Stillleben, die dann 1912/13, vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden sind, im Bereich des figurativen, nicht unbedingt abstrakte, transzendente oder hochvergeistigte Inhalte zu transportieren – aber über die Komposition, über die Farbwahl, über die gesamte Gestaltung eine Atmosphäre, eine Stimmung zu schaffen, die es durchaus vermag, über das eigentliche, figurative Motiv hinaus zu gehen. Und auch da, aus dieser Zeit, 1912/13, haben wir ein wunderschönes Stillleben mit ‚Madonna und Teekanne‘, das auch den größten Schritt an Abstraktion, den sie gegangen ist, durchaus darstellen kann.“

Eine Besonderheit in der Ausstellung sind Gabriele Münters Farblinolschnitte aus den Jahren 1907/08, darunter ein Blatt, das Kandinsky am Harmonium zeigt und Blätter von einem Grabmal in Tunis, und der hinreißend freie Umgang mit dem Vorbild aus dem Alltag in ‚Wäsche am Strand‘: Noch einmal der Kurator Thomas Friedrich:

„Gabriele Münter und auch Kandinsky haben in dieser frühen Zeit, bevor sie ihre Reisen 1904 anfingen und dann während der Reisen und auch noch danach, als sie aus Paris zurück kehrten, sehr feine, farbintensive Druckgraphiken angefertigt, die sie selbst immer als Holzschnitte bezeichnet haben, auch so das handschriftlich auf dem Blatt vermerkt haben, was aber so nicht ganz korrekt ist. Denn es sind in der Regel, nicht alle, aber in der Regel, sind es Linolschnitte. Es war als künstlerische Technik ein noch ungebräuchliches Medium, von Linolstöcken solche Drucke anzufertigen. Es war also auch noch nicht etabliert, man konnte darüber nicht groß auf dem Kunstmarkt Fuß fassen, und deswegen haben sie etwas geschummelt, haben Holzschnitt drauf geschrieben, obwohl es Linolschnitte sind.

Und eine weitere Besonderheit dieser wunderbaren Drucke ist, dass sie nicht mit der traditionellen Druckfarbe angefertigt wurden, sondern mit Aquarellfarben, also mit dem Pinsel diese sehr dünne, lasierend aufgetragene Farbe auf dieses Linoleum aufgetragen wurde und teilweise schon dort, auf dem Linoleum, verschiedene Farben gemischt wurden, spätestens aber dann beim Übereinanderdrucken auf das Blatt ganz wunderbare Farbverläufe entstanden sind. Es sind auch alles Blätter, die als Unikate entstanden sind.“

Meine Lieblingswerke aber, in einer Ausstellung, in der man unentwegt Entdeckungen machen kann, ist die kleine Ölskizze „Kandinsky am Tisch“, in der die Farbe die Unmittelbarkeit des festgehaltenen Augenblicks am Frühstückstisch ungemein lebendig wirken lässt, und die kleine Hinterglasmalerei zu Goethes „Schweizerlied“, die als Variante eines von ihr mehrfach verwendeten Motivs in ihrer klaren, expressionistisch einfachen Formgebung den Betrachter schier bezaubert.