Farah: Mein Schreiben ist von Filmen beeinflusst

Nuruddin Farah im Gespräch mit Barbara Wahlster · 18.02.2010
Das Jurymitglied der Berlinale, der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah, sieht Kino und Literatur trotz unterschiedlicher Ausdrucksmittel als verwandte Künste an. Die Arbeit des Romanciers mit Worten und die Arbeit des Cineasten mit Celluloid seien sich mehr oder weniger ähnlich, sagte Farah.
Ulrike Timm: Gleich stellen wir Ihnen einen der interessantesten Juroren der Berlinale vor, den somalischen Schriftsteller Nuruddin Farah. Ein Gespräch über Schreiben und Verfilmen – und über Fußball.

Der Schriftsteller Nuruddin Farah wurde 1945 in Somalia geboren, als Sohn einer traditionellen afrikanischen Erzählerin und eines Kaufmanns und Dolmetschers. Er wuchs mit fünf Sprachen auf: Somali, Amharisch, Arabisch, Italienisch und Englisch. Farah ist einer der bedeutendsten Autoren Afrikas, sein Schreiben ist geprägt von den Mythen, Bildern und Symbolen seiner Heimat, er selbst lebte als Kosmopolit unter anderem in London, den USA, in Berlin und heute in Kapstadt. Derzeit ist Farah Jurymitglied der Internationalen Filmfestspiele in Berlin, meine Kollegin Barbara Wahlster stellt ihn uns im Gespräch vor und fragte ihn zunächst, was ihn als Schriftsteller denn eigentlich mit dem Film verbindet.

Nuruddin Farah: Die ersten Erfahrungen mit dem Film gehen zurück auf die späten 1970er-Jahre. Ich habe damals, was nicht sehr bekannt ist, eineinhalb Jahre in Los Angeles gelebt, und natürlich wollte ich Film-Drehbücher schreiben. Das schien sich dann auch zu verwirklichen, denn ein australischer Regisseur hatte eine Geschichte, die ich ausarbeiten sollte, er wollte, dass sie von einem Afrikaner geschrieben wird und in Mombassa spielte: die Geschichte eines jungen Australiers, der nach Afrika kommt und sich dort in eine Frau verliebt. Dummerweise hatte ich keinen Vorschuss verlangt und als ich das fertige Skript dann dem australischen Auftraggeber vorlegte, kamen sein Agent und meiner nicht ins Geschäft und die ganze Sache ist gestorben. Ich fiel sozusagen auf die Nase, weil ich die Geschichte aus Urheberrechtsgründen nicht einmal veröffentlichen durfte. Nach eineinhalb Jahren Arbeit stand ich da: ohne Geld, ohne Buch – und habe mich dann gezwungenermaßen um einen festen Job bemüht. Das heißt: So bin ich zum Unterrichten nach Bayreuth an die Uni gekommen – also erst mal: eine bittere Erfahrung.

Barbara Wahlster: Aber das hat Sie nicht davon abgehalten, dem Kino in gewisser Weise treu zu bleiben – als Zuschauer oder als Interessierter ganz allgemein?

Farah: Keineswegs; in den 1980er-Jahren wollte ein ostdeutscher Regisseur meinen ersten Roman, "Aus einer gekrümmten Rippe", verfilmen. Da man in der DDR nicht mit Agenten gearbeitet hat, dauerte es eine Weile, bis er mich überhaupt kontaktieren konnte. Ich habe dann das Drehbuch geschrieben – und wieder ist nichts daraus geworden. Es hat mehrere Versuche gegeben, die alle im Sande verlaufen sind, was natürlich auch damit zu tun hat, dass ich im Exil lebe, dass man da manche Dinge nicht so kontinuierlich verfolgen kann. Zurzeit bemühen sich Freunde in Italien darum, meine Romane zu Drehbüchern zu verarbeiten. Außerdem schreibe ich fürs Theater, da gibt es ja durchaus eine Verbindung. Mit "Antigone in Somalia" habe ich einen klassischen, antiken Stoff umgeschrieben und gerade vor zwei Wochen ist mein neues Stück über somalische Flüchtlinge in Afrika und Europa fertig geworden. Das bringt mich natürlich dem Kino näher. Ich habe bloß nicht die Zeit, meine Nase in alles zu stecken.

Wahlster: Es gibt ja nicht zwangsläufig den Zusammenhang von Literatur und Film oder von Theater und Film. Viele Schriftsteller haben sogar ein ziemliches Misstrauen gegenüber dem Bild. Warum ist das bei Ihnen nicht der Fall?

Farah: Das eine schließt doch das andere gar nicht aus. Mein Schreiben ist durchaus beeinflusst von den Filmen, die ich sehe, weil ich vor allem in Bildern und in Metaphern denke, in Metaphern, die sehr visuell ausgeprägt sind. Die Techniken, die man für das Theater lernen muss, helfen einem auch, das Kino besser zu verstehen. Schauspielerei ist eine Sache, die sich – ob auf Bühne oder Leinwand – doch nicht grundsätzlich unterscheidet. Als ich jünger war, hoffte ich lange Zeit, ich könnte Schauspieler werden. Wenn man im Exil ist, entfernt man sich notgedrungen vom Theater, weil es kein Haus gibt, keine feste Truppe, mit der man kontinuierlich arbeiten kann. Dagegen ist Romane schreiben viel einfacher – aber in meinem Fall war das lediglich die zweite Wahl. Ich habe das Beste daraus gemacht, doch wenn heute ein Theater in Berlin ein Stück von mir inszenieren will oder mir einen Auftrag geben würde – ich wäre hocherfreut.

Wahlster: Nuruddin Farah, Sie sind ja Mitglied dieser Berlinale-Jury 2010 und mich würde interessieren, ob es für Sie einfacher ist, über Film zu sprechen oder über Literatur, was Sie ja doch sehr häufig tun müssen.

Farah: Ob man über Kino oder Literatur spricht – das ist nicht sonderlich weit voneinander entfernt. Es gibt unterschiedliche Ausdrucksmittel. Was Romanciers mit Worten machen, ist dem, was Cineasten auf Celluloid tun, doch mehr oder weniger ähnlich. Beide bereichern einander und genau das interessiert mich. Ich wurde ja nicht als Cineast in die Jury berufen, aber man wird doch die grundsätzlichen Überschneidungen gesehen haben, die zu dieser Bereicherung beitragen können. Ich freue mich sehr, dass ich ausgewählt wurde, dass ich hier sein kann, dass ich meine Sicht beitragen kann und es macht Spaß, wunderbare Filme zu sehen.

Wahlster: Nuruddin Farah im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Der Schriftsteller aus Somalia, der zurzeit in Südafrika lebt, ist momentan Mitglied der Berlinale-Jury. Sie haben mal erzählt, wie genau Sie sich an Ihre ersten Fußballschuhe erinnern können, und in diesem Jahr 2010 fällt einem dazu natürlich sofort die Frage ein: Wie steht es mit der Wichtigkeit von Fußball in Afrika, beziehungsweise mit der von Kino?

Farah: Beides ist wichtig. Zunächst mal ist es wichtig, dass die WM in Südafrika stattfindet, weil es zum ersten Mal ein so wichtiges Ereignis dieser Art in Südafrika gibt oder überhaupt in Afrika. Kino ist keine Sache, die alle vier Jahre stattfindet, sondern eine alltägliche Angelegenheit. Im Fußball steckt jede Menge Leidenschaft, persönliche Leidenschaften, nationale Gefühle. Da sieht man die Leute schreien und weinen – mal vor Freude, mal aus Enttäuschung, weil ihr Team verloren hat. Ich bin ein großer Fußballfan und es passiert mir sogar manchmal, wenn ich beim Schreiben nicht weiterkomme, dass ich mitten am Tag ein Fußballspiel im Fernsehen anschaue. Und nach einer halben Stunde kommen mir wieder Einfälle, einfach, weil es ungeheuer beruhigend ist, wenn 22 Menschen hinter einem Ball her sind. Es gibt immer eine Art Plot beim guten Fußball, so wie im Kino, so wie in guten Romanen oder auch auf dem Theater; die Choreographie besteht aus Spannung. Man weiß nie im Voraus, ob nicht doch die schwächere Mannschaft gewinnt. Man kann auch einen Film, den man zum ersten Mal sieht, nicht voraussagen.

Wahlster: Trotzdem, Nuruddin Farah, würde ich gerne noch mal zurückkommen auf Fußball und Kino. Was sind die Filme, die man in Afrika so leidenschaftlich sieht, wie man Fußball leidenschaftlich sieht?

Farah: In Kapstadt ist Kino eine feste Größe, auch weil dort Filme gedreht werden. Dann gibt es das große Festival in Durban. Hinzu kommen die Botschaften und Kulturinstitute von Deutschland, von Frankreich und anderen Ländern, die jede Woche gute Programme anbieten – leider, muss ich fast sagen, denn mit meinem Job bin ich ja eher dazu verurteilt, in meinen vier Wänden zu bleiben. Also kann ich diese Angebote gar nicht so häufig wahrnehmen wie ich gerne möchte. Viel einfacher ist es allerdings, Hollywood-Filme anzuschauen, was mit ihrer Präsenz, mit dem Verleih und dem Verkauf zusammenhängt. Afrikanische Filme kriegt man eher selten zu sehen – meistens nur auf Festivals. Filmverleih und Buchvertrieb sind die entscheidenden Faktoren, die so vieles verhindern, viele Möglichkeiten beschneiden. Beim Fußball ist das ganz anders. Im südafrikanischen Fernsehen gibt es einen Kanal, der 24 Stunden Fußballspiele zeigt. Man kann also mitten in der Nacht aufwachen und ein Match anschauen, wohingegen wir nicht unbedingt die Filme zu sehen kriegen, die wir gerne möchten.

Wahlster: Es haben sich ja auch die nationalen Filmkulturen deutlich verschoben, zum Beispiel große Filmproduktionen, wie sie aus Ägypten üblich waren, gibt es in der Weise überhaupt nicht mehr. Das senegalesische Kino oder das aus Mali hat sich ebenfalls sehr zurückgebildet, das heißt, die Filme, die Sie zu sehen bekommen, sind andere. Da hat sich etwas verschoben.

Farah: Ägyptische Filme sind vorrangig an ein arabischsprachiges Publikum gerichtet, die werden gewissermaßen als ein lokales oder regionales Publikum angesehen; auch Hindi-Filme sind sehr erfolgreich, weil es eine große indische Community gibt. In Westafrika, besonders in den französischsprachigen Gebieten, greift die französische Kulturpolitik. Sie unterstützt dort die Filmproduktionen mit Stipendien und Zuschüssen und Arbeitsmöglichkeiten in Frankreich, weil eben die französische Nation ein Interesse hat, durch diese Filme die eigene Sprachkultur und die Verbindung mit Afrika lebendig zu halten. Regisseure wie Oumar Sissoko und Sembène Ousmane gehören zu diesem französischen Einflussgebiet. Für die englischsprachigen Länder trifft das in viel geringerem Maße zu, von dort kommen weit weniger Filmemacher, weil weder England noch die USA an einer Unterstützung interessiert sind: Ihre Sprache hat die Welt erobert und Afrika zählt da nicht. In Südafrika sieht es etwas anders aus, da ist die technologische Entwicklung schon weiter, es gibt eine Filmindustrie und seit der Unabhängigkeit, seit der Demokratisierung gilt der Rest Afrikas auch als Handelsgebiet. Das heißt: Egal, ob sie einen Film produzieren oder eine Flasche Mineralwasser – es soll auch exportiert werden. Und es entstehen tatsächlich auch immer mehr Filme in Südafrika.