Fantasie der Evolution
Selbst das Weltall ist nicht so lebensgefährlich wie die Tiefsee. Genügt dort ein Raumanzug, um selbst auf dem Mond spazieren zu gehen, so würde ein Mensch auf dem Meeresboden unweigerlich vom ungeheuren Druck der Wassersäule platt gedrückt werden.
Und doch existiert in 10 000 Meter Tiefe ein reges Tier- und Pflanzenleben, wie modernste Forschungs-U-Boote in den letzten Jahrzehnten entdeckt haben: ein in seinem Formen- und Artenreichtum faszinierendes dunkles Paradies. Einen Einblick in diese dem Menschen so feindliche Umgebung geben jetzt die Tiefseeforscherin Antje Boetius und ihr Vater, der Schriftsteller Henning Boetius und verbinden so ihr Fachwissen und seine Darstellungskunst zu einem faszinierenden Lesestoff.
Die Autoren holen weitaus, beginnen in der Antike, erzählen von den Mythen und Märchen, die sich um das Meer und seine Bewohner ranken, bevor sie die Entdeckungsgeschichte der Tiefsee aufblättern, vom allmählichen Wissenszuwachs berichten. Das Tagebuch einer Reise mit einem modernen Laborschiff gibt Auskunft über die Mühen und Herausforderungen der Tiefseeerkundung. Ausführlich erklären die beiden Autoren die Entstehung der Meere, wie sich die Erdplatten verschieben, sich der Meeresuntergrund ständig verändert. Doch bei allem Wissenszuwachs ist erst ein winziger Bereich der Tiefseeböden erforscht: 0,01 Prozent. Auch was die Kräfte des Meeres angeht, das Zusammenspiel von Wind, Wellen, Erdrotation, Schwerkraft, Wassertiefe, gibt es mehr Fragen als Antworten.
Vielleicht deshalb häufen sich an manchen Stellen die Fachbegriffe und die wissenschaftlichen Maßeinheiten, die man sich schwer merken kann. Da wäre weniger mehr gewesen. Allerdings machen die über 80 Farbfotos, Grafiken und Zeichnungen, die veranschaulichen, was im Text abstrakt bleibt, vieles wieder wett.
Sofort verständlich und begeisternd sind hingegen die Schilderungen der Tier- und Pflanzenwelt der Tiefsee. Erst 230.000 marine Arten von vermutlich 10.000 Millionen sind bekannt. Verblüffend sind deren Anpassungsstrategien auf die mit der Tiefe ansteigenden Druckverhältnisse und das schwindende Licht. Die Körper werden immer wässriger. Statt Luft halten Öltröpfchen die Tiere in der Schwebe. Bioluminenz - selbst erzeugtes Licht - dient der Jagd auf Beute, der Brautschau oder dem Schutz vor Jägern. Die Seegurke zum Beispiel schlüpft auf der Flucht vor den Rattenschwänzen aus ihrer leuchtenden Haut, verschwindet im Dunkeln, während ihr Feind sich auf die leere Hülle stürzt. Die Fantasie der Evolution hat unglaubliche Geschöpfe geschaffen. Kein Hollywood-Monstererfinder kann da mithalten.
Im letzten Kapitel warnen Antje und Henning Boetius vor den vielfältigen Gefahren, der Tiefseewelt drohen: Überfischung, Artensterben, Vergiftung durch Chemikalien, Ölrückstände und Müll, Rohstoffsuche sowie Klimawandel. Ein in seiner Stilistik sehr heterogenes Buch, das allerdings einen umfassenden Einblick in alle Bereiche gewährt, die die Tiefsee ausmachen.
Besprochen von Johannes Kaiser
Antje und Henning Boetius: Das dunkle Paradies - Die Entdeckung der Tiefsee
C. Bertelsmann Verlag, München 2011
446 Seiten, 24,99 Euro
Die Autoren holen weitaus, beginnen in der Antike, erzählen von den Mythen und Märchen, die sich um das Meer und seine Bewohner ranken, bevor sie die Entdeckungsgeschichte der Tiefsee aufblättern, vom allmählichen Wissenszuwachs berichten. Das Tagebuch einer Reise mit einem modernen Laborschiff gibt Auskunft über die Mühen und Herausforderungen der Tiefseeerkundung. Ausführlich erklären die beiden Autoren die Entstehung der Meere, wie sich die Erdplatten verschieben, sich der Meeresuntergrund ständig verändert. Doch bei allem Wissenszuwachs ist erst ein winziger Bereich der Tiefseeböden erforscht: 0,01 Prozent. Auch was die Kräfte des Meeres angeht, das Zusammenspiel von Wind, Wellen, Erdrotation, Schwerkraft, Wassertiefe, gibt es mehr Fragen als Antworten.
Vielleicht deshalb häufen sich an manchen Stellen die Fachbegriffe und die wissenschaftlichen Maßeinheiten, die man sich schwer merken kann. Da wäre weniger mehr gewesen. Allerdings machen die über 80 Farbfotos, Grafiken und Zeichnungen, die veranschaulichen, was im Text abstrakt bleibt, vieles wieder wett.
Sofort verständlich und begeisternd sind hingegen die Schilderungen der Tier- und Pflanzenwelt der Tiefsee. Erst 230.000 marine Arten von vermutlich 10.000 Millionen sind bekannt. Verblüffend sind deren Anpassungsstrategien auf die mit der Tiefe ansteigenden Druckverhältnisse und das schwindende Licht. Die Körper werden immer wässriger. Statt Luft halten Öltröpfchen die Tiere in der Schwebe. Bioluminenz - selbst erzeugtes Licht - dient der Jagd auf Beute, der Brautschau oder dem Schutz vor Jägern. Die Seegurke zum Beispiel schlüpft auf der Flucht vor den Rattenschwänzen aus ihrer leuchtenden Haut, verschwindet im Dunkeln, während ihr Feind sich auf die leere Hülle stürzt. Die Fantasie der Evolution hat unglaubliche Geschöpfe geschaffen. Kein Hollywood-Monstererfinder kann da mithalten.
Im letzten Kapitel warnen Antje und Henning Boetius vor den vielfältigen Gefahren, der Tiefseewelt drohen: Überfischung, Artensterben, Vergiftung durch Chemikalien, Ölrückstände und Müll, Rohstoffsuche sowie Klimawandel. Ein in seiner Stilistik sehr heterogenes Buch, das allerdings einen umfassenden Einblick in alle Bereiche gewährt, die die Tiefsee ausmachen.
Besprochen von Johannes Kaiser
Antje und Henning Boetius: Das dunkle Paradies - Die Entdeckung der Tiefsee
C. Bertelsmann Verlag, München 2011
446 Seiten, 24,99 Euro