Fangeführte Fußballvereine

"Die Frage nach dem Geld ist stets entscheidend"

06:29 Minuten
Fußballfans in einem Schwarzweißbild.
Fans von Austria Salzburg präsentieren sich im Stadion. Der Verein war nach dem Vorbild fangetragener Vereine in England gegründet worden. © Thomas Schernthanner/Verlag Die Werkstatt
Alina Schwermer im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 13.01.2019
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Hohe Transferkosten, lukrative Werbedeals – wo bleibt da im Fußball noch der Sport und das Gefühl, als Fan Teil der Mannschaft zu sein? Viele Fans gründen daher eigene Vereine. Die Sportjournalistin Alina Schwermer hat darüber ein Buch geschrieben.
Richtige Fans sind treue Seelen. Sie gehen mit ihrem Verein durch dick und dünn, bei Wind und Wetter. Aber: Seit der Publikumssport Nummer 1 zunehmend zur Unterhaltungsindustrie zu werden scheint, fühlen sich etliche Anhänger auf ihrem angestammten Platz nicht mehr zuhause. Zu viel Kommerz, zu wenig Sport. Und sie schauen sich nach Alternativen um.

Sehnsucht nach Tradition

Mit "Wir sind der Verein: Wie fangeführte Vereine den Fußball verändern wollen" hat Alina Schwermer über dieses Phänomen ein Buch geschrieben. Im Fußball gibt es seit geraumer Zeit eine Sehnsucht nach Tradition, sagte die Sportjounalistin im Deutschlandfunk Kultur. Dennoch: Den Satz "Früher war alles besser" höre man seit geraumer Zeit häufiger unter Fans. Schwermer sieht darin eine Reaktion auf die Kommerzialisierung des Sports, wie sie sich beispielsweise auch in immer höheren Transfersummen darstellt. Demgegenüber sehne sich der Fan nach mehr Nähe zum Geschehen. "Das macht den Reiz des Amateurfußballs aus."
Eine breite Massenbewegung habe sich allerdings dennoch nicht formiert – auch wenn seit über 20 Jahren die Rede davon sei, dass die Fans ins Amateursegment abzuwandern drohen. Die Stadien der großen Vereine sind weiterhin gut gefüllt. Trotzdem findet es Schwermer faszinierend, wie groß die Bewegung dann doch ausfällt: In allen Ländern Europas hat sie Amateurvereine ausgemacht – manche davon seien bis hin zu Personalentscheidungen basisdemokratisch organisiert, andere entsprächen eher dem klassischen Modell mit jährlichen Mitgliedsversammlungen.

Fluch und Segen des Mitspracherechts für alle

Kein Verein entsteht dabei aus dem Nichts, unterstrich Schwermer und nannte einen Fall in England, wo die Fans nach der Insolvenz des Stammvereins Spenden gesammelt hätten, um den Verein liquide zu halten. "Die Frage nach dem Geld ist stets entscheidend", sagte Schwermer. Ihrer Beobachtung nach hätten sich einige Vereine klug im Mittelfeld der vierten oder fünften Liga eingerichtet. Dieses Modell funktioniere gut – wohingegen sich bei größeren Erfolgen oft wieder die Frage nach einem Investor stelle. Einige Vereine näherten sich in diesem Fall alten Modellen wieder an.
In der jüngeren Geschichte der Amateurvereine nehme das Internet mit seinen neuen Vernetzungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle ein, bemerkte Schwermer abschließend. "Früher", so habe ihr ein Fan aus England erklärt, "war es total undenkbar, dass man zu anderen Fans nach Hause geht und über Fußballpolitik redet." Doch ergeben sich dadurch auch neue Herausforderungen: Wenn jeder stets sein Mitspracherecht einfordert und sich online artikuliert, könne auch dies "problematisch" werden, so Schwermer, da komme man "schnell in Schwierigkeiten."

Literaturtipp:

Alina Schwermer: "Wir sind der Verein: Wie fangeführte Vereine den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel."
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2018
224 Seiten, 16.90 Euro
Weitere Informationen und Leseprobe beim Verlag.

Dazu passend: Stephan Sfregola hat sich für "Nachspiel" unter die Fans gemischt, die neben ihrem Lieblingsverein in der Ersten Bundesliga auch ihre Lieblinge unter den Amateurvereinen haben. Manch einer dieser Fans geht sogar lieber zu dem kleinen Verein, selbst wenn der Bundesligist in der Stadt spielt: "Das hätte ich mir ehrlich gesagt, noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen können", sagt einer von ihnen. Die Gründe sind vielfältig: Frust über die Vorhersehbarkeit der Spiele, aber auch über die zum Teil hohen Eintrittspreise.
Hören Sie hier Sfregolas Reportage in voller Länge:
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