Familienroman von Xifan Yang

Herr Peng und die Partei

Chinesische Bauern basteln eine große chinesische Flagge aus getrockneten Chili-Schoten am Nationalfeiertag in der Stadt Shangrao, ostchinesische Jiangxi Provinz, aufgenommen 2014.
Chinesische Bauern basteln eine große chinesische Flagge aus getrockneten Chili-Schoten am Nationalfeiertag in der Stadt Shangrao, ostchinesische Jiangxi Provinz, aufgenommen 2014. © picture alliance / dpa / Zhuo Zhongwei
Von Frank Kaspar · 06.05.2015
Bewegende Einblicke in die Geschichte des modernen China gibt Xifan Yang in ihrem Familienroman "Als die Karpfen fliegen lernten". Im Mittelpunkt steht ihr Großvater Peng, der der Kommunistischen Partei trotz 20 Jahre Zwangsarbeit bis heute die Treue hält.
Als die Partei ihn für 20 Jahre in ein karges Bergdorf verbannt, nennt er sich der "Bauer mit Brille". Peng Fangcong, geboren 1934 als Sohn eines Reisbauern, ist, von Kindesbeinen an, ein Liebhaber der Literatur und der Musik. Als Jugendlicher schließt er sich Maos Roter Armee an. Er arbeitet als Krankenpfleger, Radioreporter und Zeitungsredakteur, bevor er wegen seines Eigensinns in Ungnade fällt und zur Zwangsarbeit verurteilt wird. Um 1960 entgeht er nur knapp dem Massensterben durch die große chinesische Hungersnot. Während der Kulturrevolution wird er von 15-jährigen Rotgardisten geschlagen und öffentlich gedemütigt.
Wer Seite für Seite verfolgt, was der Großvater der Autorin durchgemacht hat, wird kaum begreifen, weshalb er der Partei, in deren Namen ihm all das angetan wurde, bis heute die Treue hält. Ohne die KP, die das Land aus dem Feudalismus geführt und reformiert hat, wäre China nicht so eine starke Wirtschaftsmacht geworden, sagt Herr Peng. Auf die rasante Modernisierung der letzten Jahre ist er stolz: "ein postkommunistischer Patriot".
Mit Sinn für sprechende Details zeigt Xifan Yang, wie die politischen Verwerfungen der Mao-Ära in einzelnen Lebensläufen nachwirken. Ihr Großvater schläft mit dem Arm in einer Lederschlaufe, damit er, von Albträumen geschüttelt, nicht aus dem Bett fällt. Erinnert ihre Mutter sich an die Kulturrevolution, dann hört sie die "Schreie aus dem ersten Stock". Dort wurden angebliche "Konterrevolutionäre" ausgepeitscht. Ein Herr Wu klopfte danach regelmäßig bei Familie Peng und bat um Baby-Urin des jüngsten Sohnes, den er gegen seine inneren Verletzungen trank.
Selbstanklagen gang und gäbe
Die Parteiakte von Großvater Peng Fangcong umfasst 500 Seiten, viele davon gefüllt mit "Selbstbezichtigungen", in denen sich der Mann im Zwangsexil "Dekadenz" und "Pflichtvergessenheit" vorwirft. Auch die Großmutter, eine mutige, lebenskluge Frau, musste solche Selbstanklagen schreiben. Als Lehrerin gestand sie, Schüler individuell gefördert zu haben.
Xifan Yang verwebt Erinnerungen und Dokumente zu einem zeitgeschichtlichen Familienroman. Einer ihrer Onkel protestierte als Student auf dem Platz des Himmlischen Friedens, eine Tante plädierte als Schriftstellerin für mehr Demokratie, ein anderer Onkel versuchte sich als Glücksritter des "Roten Kapitalismus". Die Eltern der Autorin suchten ihr Glück in Deutschland. Xifan Yang wuchs in Freiburg auf und arbeitet seit 2011 als Journalistin in Shanghai.
Das China der Gegenwart sieht sie mit gemischten Gefühlen: fasziniert von der Dynamik und ernüchtert von der neuen "Internetdiktatur", die Stimmen kritischer Mikroblogger unterdrückt. Xifan Yangs glänzend geschriebenes, bewegendes Buch, macht Hoffnung, dass Chinas Zukunft von Leuten mitgestaltet wird, die den Übergriffen der Politik mit ebensoviel Lebensmut, Menschlichkeit und Eigensinn begegnen wie die Angehörigen der Familien Peng und Yang.

Xifan Yang: Als die Karpfen fliegen lernten. China am Beispiel meiner Familie
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2015
336 Seiten, 19,90 Euro

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