Familienpolitik und Medienöffentlichkeit

Von Kostas Petropulos |
Erst kürzlich vermeldete die Bundesregierung wieder einen großen politischen Erfolg für die Familien: Das neue Elterngeld kommt ab dem 1. Januar 2007. Zwölf Monate lang bis zu 1800 Euro an junge Paare, die sich für ein Kind entscheiden. Rund vier Milliarden Euro jährlich würden dafür vom Staat bezahlt.
Auch ein Großteil der Presse empfing das jüngste Kind schwarz-roter Familienpolitik mit reichlich Beifall, ja sogar kaum gebremster Begeisterung. Einen „familienpolitischen Paradigmenwechsel“, gar eine „Kulturrevolution im Parlament“ machten die – überwiegend weiblichen – Kommentatoren aus. Nur eine verschwindende Minderheit der Berichterstatter erinnerte daran, dass beim Elterngeld arbeitslose und arme Eltern die Verlierer des neuen Instrumentes sein werden.

Dass jedoch unterm Strich die schwarz-rote familienpolitische Bilanz ein dickes Minus für alle Eltern und ihre Kinder bedeutet, entging praktisch allen politischen Beobachtern. Vor lauter eifriger Zustimmung zum Elterngeld dachte niemand mehr an das gewaltige Kürzungs- und Mehrbelastungspaket, das die Koalitionäre noch Anfang des Jahres beschlossen haben und das dabei die Familien besonders trifft: Streichung der Eigenheimzulage, Kürzung der Pendlerpauschale, Beschränkung des Kindergelds nur noch bis zum 25. Lebensjahr und dreiprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer. Rechnet man noch die seit letztem Jahr praktizierte Streichung der Familien- und Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst hinzu, so kommt man auf eine familienspezifische Gesamtmehrbelastung von rund 14 Milliarden Euro – ein Vielfaches der Mehrausgaben für das neue Elterngeld.

Dieser eklatante Widerspruch zwischen den medial höchst erfolgreich vermittelten Regierungsbotschaften und den tatsächlichen Sachverhalten ist im Bereich der Familienpolitik kein Einzelfall. Ein immer wiederkehrender Politschlager ist die Höhe der staatlichen Leistungen, mit denen die Familien angeblich bedacht werden. Dank der rot-grünen Bundesregierung seien die entsprechenden Leistungen im letzten Jahr auf den Rekordstand von 100 Mrd. Euro jährlich geklettert. Eine unlängst veröffentlichte Studie kam sogar auf mehr als das Doppelte: 240 Mrd. Euro sollen es nun gar sein.

Bereitwillig wurden und werden diese Zahlen in die Öffentlichkeit medial transportiert und mit ihnen die regierungsamtliche Botschaft: Geld bekommen die Familien hierzulande schon mehr als genug. Wenn es dennoch zu wenig Kinder im Land gebe, sei dies keinesfalls auf Geldmangel zurückzuführen – die üppigen Mittel würden bislang nur völlig falsch ausgegeben.

Dabei ist diese Argumentation schon vom Ansatz her verfehlt. Was nämlich beim Verweis auf die gewaltigen Aufwendungen völlig unter den Tisch fällt: Den Großteil dieser Leistungen bezahlen die Familien über ihre Steuern selbst mit. Das hat sogar die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmid vor Jahren eingeräumt. Darüber hinaus hat ein renommiertes Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut vorgerechnet, dass Kinder unterm Strich den Staat nicht Geld kosten, sondern im Gegenteil: Sie sind eine höchst einträgliche Einnahmequelle für den Finanzminister.

Eine ähnlich eklatante Unkenntnis über elementare Sachverhalte bestimmt die öffentliche Debatte über die Sicherheit der gesetzlichen Renten. Da unser Land unaufhaltsam vergreist, werden die Rentenbezüge in den nächsten Jahrzehnten kräftig gekürzt. Die längere Lebenszeit, so die offizielle Begründung, mache dies unerlässlich. Dabei hat sogar der Rentenexperte der Regierung, Professor Bert Rürup, erklärt: Die Hauptursache für die notwendigen Rentenkürzungen ist der anhaltende Kinderschwund hierzulande. Damit verweist er auf die Tatsache, dass unser umlagefinanziertes Rentensystem auf zwei Säulen ruht: Den gegenwärtig eingezahlten Versicherungsbeiträgen einerseits und (!) der Zahl der nachwachsenden Kinder und Jugendlichen andererseits.

Dennoch haben wir ein Rentensystem, das nur demjenigen einen auskömmlichen Ruhestand sichert, der lediglich Versicherungsbeiträge eingezahlt und dabei auf Kinder verzichtet hat. Eine eklatante Fehlkonstruktion, die zur Selbstzerstörung des Gesamtsystems führt.

Daher hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor 14 Jahren den Gesetzgeber verpflichtet, eingezahlte Versicherungsbeiträge und geleistete Kindererziehung als gleichrangig zu behandeln. – Bislang ist diese Forderung des höchsten Bundesgerichtes von allen Bundesregierungen faktisch ignoriert worden. Unverändert lautet der öffentliche Konsens: Rentenkürzungen und Zwang zur Privatvorsorge für alle – auch für Familien, obwohl sie mit ihren Kindern die Grundlage für den Fortbestand aller Alterssicherungssysteme schaffen.

Die Liste der familienpolitischen Defizite im öffentlichen Meinungsbildungsprozess ist lang. Solange auf diesem Feld eine gründliche Aufarbeitung ausbleibt, werden wir weiterhin mit den familienpolitischen Erfolgsmeldungen der Regierungen überschüttet – dabei allerdings auf dem Weg in das Altersheim Deutschland immer schneller ans Ziel gelangen.


Kostas Petropulos, Publizist, 1960 in Dresden geboren, studierte Deutsch und Geschichte in Tübingen. Seit 1987 als freier Journalist vor allem als Autor von wirtschafts- und familienpolitischen Themen hervorgetreten. 1995 Mitbegründer des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit, das er seit Ende 1996 leitet.