Familienministerin: Das Anliegen ist berechtigt

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen unterstützt die Erzieherinnen an kommunalen Kindertagesstätten in ihren Forderungen nach mehr Gehalt. Die Erzieherinnen stünden heute faktisch schlechter da als früher, sagte die CDU-Politikerin. Es gelte seit 18 Jahren dieselbe Vergütungsordnung, die Aufgaben aber hätten sich seither drastisch verändert.
Jörg Degenhardt: Für genervte Eltern gibt es Hoffnung: Die Gewerkschaft ver.di sieht erstmals Chancen für ein Ende des Streiks in den kommunalen Kindertagesstätten – die dauern ja auch schon seit Mitte Mai an. Die Gewerkschaften wollen einen eigenen Tarifvertrag zum besseren Gesundheitsschutz für die rund 220.000 Erzieherinnen und Erzieher, zudem fordern sie Einkommensverbesserungen. In Fulda finden heute die womöglich entscheidenden Gespräche statt, parallel dazu will ver.di mit einer Demonstration in Köln den Druck auf die Arbeitgeber noch einmal erhöhen. Auch SPD-Chef Franz Müntefering und Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen wollen in Köln sprechen, zudem stehen die Fraktionschefs der Grünen, Renate Künast, und der Linken, Gregor Gysi, auf der Rednerliste – es ist eben ein Superwahljahr. Ich möchte sprechen mit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Guten Morgen, Frau von der Leyen!

Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Sie haben sich schon früh hinter die Erzieherinnen gestellt. Ist es nicht ungerecht, den klammen Kommunen den Schwarzen Peter zuzuschieben?

von der Leyen: Nein, es ist eine Frage, ob das Anliegen der Erzieherinnen berechtigt ist, und das ist es in der Tat. Denn wenn man mal sich die Einkommensentwicklungen der Erzieherinnen anschaut, dann sieht man, dass zwei Dinge passiert sind: Erstens ist ihre Vergütungsordnung seit 18 Jahren unverändert, das heißt, die Eingruppierung in eine bestimmte Lohngruppe – aber in den vergangenen 18 Jahren haben sich natürlich die Aufgaben in Kitas drastisch verändert –, und dann ist noch was Zweites geschehen, nämlich, dass 2005 es Tarifumstellungen allgemein für alle gab. Und da haben die Tarifparteien hingenommen, dass sich für die Erzieherinnen konkrete Verschlechterungen ergeben haben, weil sie den automatischen Aufstieg nicht mehr hatten, das heißt, die berufliche Perspektive ist auch noch schlechter geworden. Und wenn man diese beiden Dinge zusammennimmt und sich vorstellt, dass heute unterm Strich die Erzieherinnen jetzt schlechter dastehen als früher – sie sind nach den Verkäuferinnen die unterste Lohngruppe –, wir aber andererseits gerade im Kindergarten das Thema frühkindliche Bildung, Qualität in den Kitas als ein ganz großes Thema unseres Landes ansehen, dann weiß man: Wer diese Qualität haben will, der muss sie auch dementsprechend entlohnen.

Degenhardt: Noch mal: Ist es nicht generell problematisch, dass die Kommunen die Erzieherinnentätigkeit vor allem unter haushaltspolitischen Aspekten sehen, sehen müssen, und nicht danach gucken können, was die Erzieherinnen an Mehrarbeit leisten?

von der Leyen: Ja, vor allen Dingen zeigt sich hier: Dies ist Pflichtaufgabe der Kommunen. Wir haben eine sehr differenzierte, föderale Ordnung, das heißt: Die Kommunen kümmern sich um das ganze Thema Kita, so wie zum Beispiel Pflichtaufgabe der Länder die Schulen sind oder Pflichtaufgabe des Bundes ist die gesamte Arbeitsmarktpolitik. Und deshalb ist es entscheidend, gerade in diesem unglaublich wichtigen Thema, auch für die Kommunen – die Eltern ziehen dahin, wo sie gute Kinderbetreuung finden –, dass man Prioritäten auf diesem Gebiet setzt. Das ist immer schwierig, weil es immer Verteilungskämpfe natürlich innerhalb einer Kommune bei verschiedenen Themen gibt, aber es gibt so ein schönes Wort von John F. Kennedy, das trifft hier auch wieder zu: Das Einzige, was teurer ist als Bildung, das ist keine Bildung. Und genau das ist die Frage hier.

Degenhardt: Vor einem Jahr wurde das Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung von der Großen Koalition beschlossen. Hätten Sie damals vielleicht auch mehr Geld bereitstellen müssen?

von der Leyen: Vor einem Jahr ist eben dieses Kinderförderungsgesetz auf den Weg gebracht worden, was was ganz Außergewöhnliches gemacht hat, nämlich: Wir haben gesagt, weil wir jetzt so stark ausbauen müssen, weil wir die Qualität in den Kitas brauchen, weil wir mehr Erzieherinnen brauchen, gibt außer der Reihe der Bund vier Milliarden Euro in das Thema Kitas, übrigens noch mal durch Konjunkturpaket II über acht Milliarden dazu, die in Schule und Kitas fließen, und er wird sich dauerhaft an den sogenannten Betriebskosten beteiligen, und Betriebskosten, das ist zu einem überwiegenden Teil Gehälter von Erzieherinnen und Erziehern. Ich betone das so, weil das zeigt ja, dass damit auch gewisse Spielräume für die Kommunen geschaffen worden sind, also, was man nicht mehr in den Bau einer Kita stecken muss, da hat man Luft, oder wenn in den Betriebskosten der Bund mitzahlt, und zwar dauerhaft, also nicht einmalig, sondern jedes Jahr. Dann hat man etwas Luft. Und das Entscheidende ist jetzt, dass dieser Spielraum, der geschaffen wird in den Kommunen, nicht in andere Felder geht, sondern konsequent im Thema frühe Bildung bleibt, in den Kitas bleibt. Nur dann kriegt man dieses Gebiet, dieses Thema auch wirklich bewegt.

Degenhardt: Wir bleiben beim Geld: Tagesmütter müssen als Freiberufler seit Januar ihre Einkünfte versteuern und sich selbst versichern. Es gibt jetzt Klagen, Frau von der Leyen, dass ihnen noch weniger Geld bleibt als Erzieherinnen. Kann man da was ändern?

von der Leyen: Nun, bei den Tagesmüttern ist es so, dass die öffentlich angestellten Tagesmütter jetzt genauso ihr Einkommen versteuern müssen wie die privat, also selbstständigen Tagesmütter. Das war eine Frage der Gerechtigkeit, der konnte man steuerrechtlich nicht entgehen, weil man muss im gleichen Berufsfeld gleich besteuern. Aber wir haben, weil wir wussten, dass das kam, die Freibeträge deutlich raufgesetzt, das heißt: Es gibt einen großen Spielraum, bevor überhaupt eine Tagesmutter Steuern zahlt. Und wir haben gerade beim Thema selbstständige Versicherung, Krankenversicherung auch einen guten Kompromiss mit den Versicherern gefunden, dass die Tagesmütter unter bestimmten Bedingungen auch in der beitragsfreien Familienversicherung bleiben können, alles immer unter diesem Aspekt, den ich ganz, ganz wichtig finde: Wir brauchen auch mehr Tagesmütter. Wir wollen die Qualität erhöhen. Und da ist es natürlich ein Beruf, der auch von der finanziellen Seite her besser anerkannt werden muss, das heißt, auch die Gehälter der Tagesmütter werden steigen müssen. Das ist übrigens ein Thema, das Kommunen zum Teil schon verstanden haben, dass Tagesmütter ganz wertvoll für sie sind. Ich weiß, dass zum Beispiel München deutlich die Gehälter seiner Tagesmütter raufgesetzt hat. Da zeigt sich auch: Kommunen, die wissen, wenn wir dies Angebot vor Ort leisten, dann halten wir die Familien in unserer Region, dann ist Beruf und Familie besser vereinbar, dann ist für kindliche Bildung, gerade Kinder mit Migrationshintergrund in unserer Kommune gut aufgehoben, und die investieren dann ganz konsequent in dieses Zukunftsthema.

Degenhardt: Ursula von der Leyen, die Bundesfamilienministerin, zur Frage, was uns die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher wert ist. Vielen Dank für das Gespräch!

von der Leyen: Danke Ihnen!