Familie will keinen Opfer-Kult um Lorca

Gregor Ziolkowski im Gespräch mit Dieter Kassel · 27.10.2009
Die Angehörigen des spanischen Dichters Federico García Lorca befürchten, dass durch Lorcas Exhumierung ein Kult entsteht, der ihn aus der großen Zahl von Opfern des Franco-Regimes heraushebt, erklärt der Kulturjournalist Gregor Ziolkowski. Lorca befindet sich mutmaßlich in einem Grab mit mehreren Franco-Opfern bei Granada, das trotz Widerstand der Familie geöffnet werden soll.
Dieter Kassel: Am 18. August 1936 wurde der Dichter Federico García Lorca außerhalb der Stadt Granada von Franco-Anhängern ermordet. Erschossen zusammen mit drei weiteren Männern. Möglicherweise war das aber auch erst am 19. August und möglicherweise waren es auch vier weitere Männer. Was genau passiert ist damals, das weiß man nicht. Man könnte es sehr bald besser wissen, denn in dieser Woche wird das Grab dieser vier oder sogar fünf Männer exhumiert – das Grab in der Nähe von Granada, in dem wohl Lorca liegt. Wer nun aber glaubt, man suche dabei auch nach den Überresten des Dichters, der irrt, denn aufgrund der Wünsche der Familie geschieht genau das nicht. Was nun in dieser Woche passiert mit dem Grab und wie in Spanien darüber berichtet wird, darüber wollen wir mit Gregor Ziolkowski reden, Kulturjournalist, lebt in Madrid und ist jetzt für uns dort im Studio. Guten Tag, Herr Ziolkowski!

Gregor Ziolkowski: Schönen guten Tag!

Kassel: Warum wird nun dieses Grab, in dem mit großer Wahrscheinlich Lorcas Überreste ja liegen, untersucht, werden Knochen ausgegraben – und nach dem Dichter sucht man aber nicht?

Ziolkowski: Das ist noch nicht so ganz klar, ich muss insofern Ihre Aussage so ein klein wenig abschwächen.

Kassel: Tun Sie das.

Ziolkowski: Wie sich nämlich Lorcas Familie am Ende verhalten wird, das ist im Moment noch nicht sehr klar. In einer Erklärung, die die Anwälte der Familie formuliert haben, fordern sie allerdings, dass in jedem Falle die volle Verfügbarkeit bei der Familie bleibt, mit diesen Überresten. Ob am Ende eine Identifizierung stattfinden wird, wofür man ja die DNA-Proben der Familie bräuchte, das ist noch nicht so ganz klar. Vor wenigen Tagen hat sich eine der Nichten des Dichters zu Wort gemeldet und hat gesagt, es sei durchaus denkbar, dass die Familie jene Proben beisteuert, nicht ohne dazuzufügen, zu gegebener Zeit. Und da die Familie das doch über viele Jahre hin immer blockiert hat, dass diese Reste gesucht und identifiziert werden, kann man natürlich dieses "zu gegebener Zeit" auf sehr verschiedene Weise deuten.

Kassel: Ich glaube aber, an einem Punkt werden Sie mir nicht widersprechen: An der Familie Lorcas liegt es nicht, dass dieses Grab jetzt überhaupt neu untersucht wird.

Ziolkowski: Nein, tatsächlich, das hat damit zu tun, dass Angehörige eben dieser anderen Männer, die zusammen mit Lorca an dieser Stelle erschossen und verscharrt wurden, dass deren Angehörige das Ganze betrieben haben und auf eine Exhumierung und entsprechende Identifikation gedrängt haben. Eine Familie von ebenfalls einem dieser Opfer hat sich daraus inzwischen zurückgezogen und will nicht mehr, dass diese Exhumierung und Identifizierung stattfindet – das war ein Lehrer, der damals mit erschossen wurde. Allerdings – das hat natürlich hier sofort auch gleich wieder zu Spekulationen geführt, ob da womöglich die Familie Lorca dahinterstecken würde, um diesen ganzen Prozess zu blockieren. Aber das wurde offiziell auf jeden Fall abgestritten. Es sind eben DNA-Proben von zwei weiteren Familien vorhanden, und in jedem Falle waren sie die treibenden Kräfte, die diesen Prozess der Aushebung und der späteren Identifizierung in Gang gesetzt haben. Die Familie Lorca, die das immer versucht hat zu blockieren, war unter diesem, in dieser Situation natürlich deutlich unter Druck geraten, weil sie können natürlich über die Reste Lorcas in dem Sinn verfügen, allerdings wenn andere Personen von ebenfalls Mitbetroffenen an derselben Stelle nach ihren Angehörigen suchen wollen, wären sie natürlich, können sie nicht blockieren, dass genau das stattfindet.

Kassel: Wie begründen denn nun die Angehörigen der Familie Lorca ihre, sagen wir mal so, ambivalente Position und auch immer wieder ihre Ablehnung einer solchen Exhumierung?

Ziolkowski: Man sagt, Lorca war in diesem Sinne ein Opfer wie Tausende, Tausende anderer Spanier, die auf genauso ungesetzliche, unrechtmäßige und perfide Weise einfach erschossen wurden, ohne Gerichtsverhandlung, ohne gar nichts und entsprechend auch an völlig abgelegenen Stellen verscharrt, muss man sagen. Und man möchte nicht, dass um dieses natürlich sehr prominente Opfer dieser franquistischen Repression ein Kult entsteht, der diese Person Federico García Lorca heraushebt aus dieser großen Zahl von Opfern des Franco-Regimes. Und damit begründet man eigentlich diese ablehnende Haltung. Diese Geschichte soll so bleiben, wie sie nun mal stattgefunden hat, auf diese tragische, ja, einfach schreckliche Weise. Aber daran zu rühren und Lorca nun besonders herauszuheben aus der Opferschar Francos, das möchte man nicht. So lautet die offizielle Begründung dieser Familie, und sie fügt natürlich auch hinzu: Lorca, die öffentliche Person, der Dichter, der Theatermann, der große Vertreter eigentlich der Kultur dieser Aufbruchszeit der spanischen Republik, er hat ein Werk hinterlassen. Es gibt Biografien, es gibt alles. Wer ihn würdigen und ehren kann, der kann das jederzeit tun über das Werk.

Kassel: Diese Begründung, Lorca soll nur einer von vielen bleiben, soll nicht eine besondere Position bekommen gegenüber den anderen Opfern des Bürgerkriegs, wird das geglaubt in Spanien?

Ziolkowski: Gut, es ist natürlich eine Haltungsfrage, denn wie eine Familie mit den sterblichen Überresten ihres Angehörigen umgehen will, das ist letzten Endes Privatsache und deren Entscheidung. Also man hat das doch immer weitgehend respektiert. Allerdings natürlich gibt es auch diejenigen, die sagen, diese Begründung kann man nicht akzeptieren, Lorca war eine öffentliche Person, er hat veröffentlicht, er stand nun mal im Rampenlicht, jetzt so zu tun, als wäre er ein Mensch wie jeder andere, das kann man eigentlich nicht akzeptieren. Also es ist mehr eine Geschichte von Haltung als vielleicht von Glaubwürdigkeit. Wobei, wenn Sie Glaubwürdigkeit ansprechen: Es gibt natürlich auch eine These, die besagt, dass Lorcas Überreste gar nicht mehr an dieser Stelle liegen sollen, weil die Familie unmittelbar nachdem dieser Mord stattgefunden hat, am Tag darauf oder jedenfalls in zeitlicher Nähe, ihn wohl aus diesem improvisierten Grab wieder herausgeholt hat und heimlich an einer anderen Stelle beigesetzt hat. Das ist also so ein bisschen ein Gerücht, was immer in der Luft ist. Und interessanterweise haben auch Voruntersuchungen mit diesen Spezialradargeräten vor einiger Zeit ergeben, dass tatsächlich diese Erde dort auf jeden Fall zu einem späteren Zeitpunkt noch mal bewegt wurde. Was allerdings nichts bedeutet erst mal, weil es durchaus auch die Annahme gibt, dass dort in dieser Gegend sehr viele solcher Gräber angelegt wurden und dass es einfach sein kann, dass in zeitlicher Nähe auch zu dieser Erschießung und Verscharrung einfach später noch mal Opfer dort beerdigt wurden.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Gregor Ziolkowski in Madrid über die Exhumierung der Überreste von wahrscheinlich vier Männern in einem anonymen Grab in der Nähe von Granada. Einer dieser vier Männer wird wohl Federico García Lorca sein. Herr Ziolkowski, solche Exhumierungen sind seit zwei Jahren deutlich einfacher als zuvor, da gibt es ein Gesetz, das sie ausdrücklich ermöglicht und fordert. Wie üblich ist denn das inzwischen in Spanien? So ein Grab wie dieses in der Nähe von Granada, das macht natürlich viel Wirbel, weil da die Überreste Lorcas vermutet werden. Aber in anderen Fällen sind solche Exhumierungen inzwischen alltäglich?

Ziolkowski: Alltäglich ist vielleicht etwas viel gesagt, aber es ist doch so ein stetiger Strom von Nachrichten, dass man immer wieder – und das verteilt sich eigentlich wirklich über das gesamte Land –, dass man immer wieder hört von solchen Ausgrabungen, die gerade begonnen werden. Manchmal auch im Vorstadium erfährt man davon, dass man eine neue Stelle identifiziert hat, oft in ganz kleinen Orten und irgendwo am Rande der großen Städte natürlich. Also es ist schon doch deutlich mehr geworden, seit es dieses Gesetz zur historischen Erinnerung gibt, und die Dinge sind doch etwas in den Fluss gekommen. Allerdings auch nicht in befriedigender Weise, denn viele haben ja dieses Gesetz kritisiert als unzureichend, weil es sehr viele Unklarheiten lässt. Es ist ja ein national verabschiedetes Gesetz, dessen Durchführung allerdings in den autonomen Gemeinschaften bei denen liegt, in deren Verantwortung. Und hier natürlich spielt die Langsamkeit der Bürokratie durchaus eine Rolle. Es müssen Zuständigkeiten geklärt werden, welches Amt beschäftigt sich eigentlich damit, die Justizmaschinerie muss entsprechend funktionieren, und man merkt doch manchmal, auch je nach … vielleicht nach politischer, ja, nach politischer Neigung, dass das an einigen Stellen sehr schnell gehen kann, wie in Katalonien. Dort hat man also sehr klare Regelungen inzwischen geschaffen, aber unlängst war zu hören von einem Fall in Galizien, wo ein Richter sagen wir zumindest so eine verschleppende Art und Weise, mit einem solchen Fall umzugehen, erkennen lassen hat.

Kassel: Gregor Ziolkowski aus Madrid über die Öffnung des anonymen Grabes in der Nähe von Granada, in dem sich wohl unter anderem die Überreste des Dichters Federico García Lorca befinden.