Falsch im Bilde
In seinem Buch "Abschied von Mona Lisa" behauptet der italienische Historiker Roberto Zapperi, dass die Frau auf dem berühmtesten Gemälde der Welt nicht Mona Lisa ist. Ihr Porträt habe Leonarde nie zu Ende gemalt, sagt der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp.
Liane von Billerbeck: Mona Lisa war nicht Mona Lisa, wie lässt sich so was nach 500 Jahren nachweisen?
Horst Bredekamp: Die Identifizierung des Louvre-Gemäldes, das unter dem Namen "Mona Lisa" läuft, war immer umstritten oder sagen wir so, niemals vollkommen unumstritten. Es hat verschiedene Versuche gegeben, dieses Gemälde mit einem anderen Namen zu verbinden, weil es immer als unwahrscheinlich schien, dass ein relativ unbedeutender Seidenhändler in Florenz seine Frau hat durch Leonardo malen lassen. Auch dieser großartige kosmologische Hintergrund des Gemäldes schien zu der relativ unbedeutenden Frau überhaupt nicht zu passen. Wenn man vergleichbare Gemälde von Leonardo in Bezug auf Frauen nimmt, wie Ginevra Benci oder Cecilia Gallerani, dann sind diese weitaus höher stehend. Also insofern gab es schon immer Fragezeichen, die immer neu diskutiert wurden. Zapperis Vorstoß kommt nicht aus dem Nichts.
von Billerbeck: Es geht ja um eine Tagebucheintragung aus einem Reisetagebuch, und zwar aus dem Jahr 1517. Gemacht hatte sie der Sekretär von Kardinal Luigi d'Aragona, der war nämlich mit in einem Tross und zu Besuch bei Leonardo, der am 10. Oktober 1517 – so steht das in diesem Tagebuch – davon gesprochen hat, dass er ein Bild gemalt habe, das eine gewisse Florentinerin zeige mit diesem unnachahmlichen Lächeln. Aber dieses Tagebuch gab es ja schon länger, das ist, habe ich gelesen, 1905 gedruckt worden. Warum hat man diesem Tagebuch, dieser Tagebucheintragung nicht geglaubt, wo eben nicht von der Frau des Seidenhändlers aus Florenz die Rede war, sondern von einer gewissen Florentinerin, also einer Dame, die die Geliebte eines Fürsten war?
Bredekamp: Der Grund, warum es nicht früher sofort aufgenommen worden ist, das liegt an dem Fetischcharakter, so kann man es vielleicht sagen, von Namen und von Gemälden. Wenn sich ein Name, so umstritten oder so unklar er immer gewesen ist, einmal mit einem Werk gleichsam verschweißt hat, dann ist es sehr schwierig, davon wieder abzurücken, und davor haben Forscher offenbar zurückgeschreckt.
von Billerbeck: Die bislang geltende Deutung des Leonardo-Bildes, das heute "Mona Lisa" heißt, die stammte ja von Georgio Vasari Mitte des 16. Jahrhunderts. Wie kam er eigentlich dazu, so sicher zu sein, dass Mona Lisa auf dem Bild ist?
Bredekamp: Wie Sie sagen, ein halbes Jahrhundert nach dem Ergebnis. Vasari hat sich durch eine Fülle von Korrespondenten und Informanten das Material zusammengestellt, und das Gemälde befand sich in Frankreich. Er musste also sich verlassen, und es mag sein, dass auf diese Weise die Informationen über zwei verschiedene Gemälde in eins geflossen sind. Es gibt viele Punkte, wo er nicht genau, ist ihm hier wohl ein Irrtum unterlaufen, für den er nichts kann, sondern der aufgrund der unklaren Informationslage entstanden ist, mit der er konfrontiert war.
von Billerbeck: Hat Leonardo denn die echte "Mona Lisa" gar nicht gemalt, oder ist die einfach nur auf einem anderen Bild, wenn man Zapperi folgt?
Bredekamp: Die echte "Mona Lisa" hat er begonnen, und die Spur hat sich verloren. Es gibt Gemälde, die verloren gehen, auch bei berühmten Malern. Von Michelangelo gibt es Gemälde, das römische Altargemälde, das immer neu identifiziert wird, aber dessen Spur sich einfach verloren hat. Das kommt vor. Es ist eine Heidelberger Quelle ja vor Jahren aufgetaucht, indem gesagt wird, dass das Gemälde der "Mona Lisa" von Leonardo begonnen worden sei am Kopf, und es sei wunderbar, und das hat eben auch Vasari beschrieben, aber es würde niemals fertiggestellt werden, denn Leonardo würde immer die Werke nicht fertigstellen. Die "Mona Lisa" ist im Louvre untersucht worden, also das Gemälde des Louvre ist im Louvre genauestens untersucht worden vor einigen Jahren, und es hat sich erwiesen, dass sie nur wenige Vorzeichnungen oder Änderungen hat. Sie ist in einem Zug gemalt worden und kann aufgrund der Heidelberger Quelle überhaupt nicht mit der "Mona Lisa" verbunden werden, die, wie gesagt, nur zu einem Teil fertig war und dann über Jahre vermutlich überhaupt nicht fertiggestellt wurde und möglicherweise auch niemals fertiggestellt wurde.
von Billerbeck: Abschied von "Mona Lisa", das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt. Der italienische Historiker Roberto Zapperi hat über die "Mona Lisa" geschrieben, und wir sprechen mit dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Nun wissen wir also nach Roberto Zapperi, dass die "Mona Lisa" nicht die "Mona Lisa" war, sondern Pacifica Brandini. In der "FAZ" wurde aber jetzt in einem Artikel, wurden diese Forschungen von Zapperi angezweifelt. Unter anderem wurde da gesagt, was hätte wohl die Frau eines Medici-Prinzen gesagt, wenn der kurz nach der Hochzeit das Bild seiner einstigen Geliebten, mit der er einen illegitimen Sohn hatte, bei dem berühmtesten Maler seiner Zeit in Auftrag gegeben hätte. Das ist ja auch so ein Argument, wo man sich fragt: Stimmt das doch nicht, was der Zapperi da erforscht hat?
Bredekamp: Zapperi hat keine Quelle, keinen Auftrag, in dem nun Giuliani Leonardo bestimmt, dass er dieses Gemälde malen sollte. Es ist ein Indizienbeweis, der viele bisherige Unstimmigkeiten, nochmals gesagt, warum dieses großartige kosmologische Gemälde für eine unbedeutende Frau eines relativ unbedeutenden Seidenhändlers dieses Problem gar nicht mehr aufkommen lässt. Also Zapperi löst eine große Zahl von Punkten, die bisher durch aufwendige Rekonstruktionen und Konstruktionen ausgeschaltet werden mussten. Insofern hat die Eleganz von Zapperis Argumentationen die Schlüssigkeit für sich. Frank Zöllner weist aus seiner Sicht berechtigterweise darauf hin, dass eine schriftliche Quelle fehlt und deswegen ein großes Fragezeichen bleibt. Das trifft in der Tat zu.
Zur psychologischen Problematik, ob eine Ehefrau das Gemälde einer vorherigen Geliebten überhaupt akzeptiert hätte, ist auch ein wichtiges Argument, das man in Rechnung stellen muss. Zapperi stellt sich dem nicht offensiv sozusagen präventiv, sondern argumentiert, die "Mona Lisa" ist derartig entrückt. Es ist ein Bildnis, das ja aus dem Gedächtnis geschieht. Giuliano de' Medici hatte kein Bild der verstorbenen Geliebten, die ihm einen Sohn gegeben hatte, und so ist es ein so neutrales, in der Erinnerung verschwindendes Bildnis, dass es gleichsam nicht als Konkurrenz gegenüber seiner dann neu angeheirateten Frau hätte gewertet werden können.
von Billerbeck: Wenn Sie das Bild jetzt betrachten, sehen Sie es dann anders, nach diesen Forschungen von Zapperi? Hat die "Mona Lisa" plötzlich eine andere Ausstrahlung für Sie?
Bredekamp: Ja, das hat dieses Buch an sich, was in einer so ungeheuren Ruhe und Bescheidenheit geschrieben ist, dass man das Gemälde kaum anders sehen kann als durch die Erfahrung dieses großartigen, ruhigen Buches, das für sich schon eine solche Fülle von Beschreibungen von Lebensumständen birgt, dass es einen anzieht. Ja, wie aus dem Jenseits Grüßende, so ist die Argumentation von Zapperi, aus dem Jenseits grüßende Verhaltenheit, die dennoch in eine unerhörte Präsenz überspringt, lässt erklären, warum dieses Lächeln seit Jahrhunderten die Menschen anzieht und zugleich zutiefst irritiert. Die Pole, in der diese Frauendarstellung zwischen Erinnerung an eine Tote und eine fiktive Präsenz, sind weiter ausgezogen und lassen dadurch die Tiefe des Gemäldes deutlicher erkennen als zuvor. So ist zumindest meine Wahrnehmung des Buches.
von Billerbeck: Horst Bredekamp war das, der Berliner Kunsthistoriker, über die Forschungen von Roberto Zapperi. "Abschied von Mona Lisa" heißt dessen Buch, das jetzt einen neuen Blick auf das berühmteste Gemälde der Welt gestattet. Herr Bredekamp, herzlichen Dank!
Bredekamp: Danke schön!
Horst Bredekamp: Die Identifizierung des Louvre-Gemäldes, das unter dem Namen "Mona Lisa" läuft, war immer umstritten oder sagen wir so, niemals vollkommen unumstritten. Es hat verschiedene Versuche gegeben, dieses Gemälde mit einem anderen Namen zu verbinden, weil es immer als unwahrscheinlich schien, dass ein relativ unbedeutender Seidenhändler in Florenz seine Frau hat durch Leonardo malen lassen. Auch dieser großartige kosmologische Hintergrund des Gemäldes schien zu der relativ unbedeutenden Frau überhaupt nicht zu passen. Wenn man vergleichbare Gemälde von Leonardo in Bezug auf Frauen nimmt, wie Ginevra Benci oder Cecilia Gallerani, dann sind diese weitaus höher stehend. Also insofern gab es schon immer Fragezeichen, die immer neu diskutiert wurden. Zapperis Vorstoß kommt nicht aus dem Nichts.
von Billerbeck: Es geht ja um eine Tagebucheintragung aus einem Reisetagebuch, und zwar aus dem Jahr 1517. Gemacht hatte sie der Sekretär von Kardinal Luigi d'Aragona, der war nämlich mit in einem Tross und zu Besuch bei Leonardo, der am 10. Oktober 1517 – so steht das in diesem Tagebuch – davon gesprochen hat, dass er ein Bild gemalt habe, das eine gewisse Florentinerin zeige mit diesem unnachahmlichen Lächeln. Aber dieses Tagebuch gab es ja schon länger, das ist, habe ich gelesen, 1905 gedruckt worden. Warum hat man diesem Tagebuch, dieser Tagebucheintragung nicht geglaubt, wo eben nicht von der Frau des Seidenhändlers aus Florenz die Rede war, sondern von einer gewissen Florentinerin, also einer Dame, die die Geliebte eines Fürsten war?
Bredekamp: Der Grund, warum es nicht früher sofort aufgenommen worden ist, das liegt an dem Fetischcharakter, so kann man es vielleicht sagen, von Namen und von Gemälden. Wenn sich ein Name, so umstritten oder so unklar er immer gewesen ist, einmal mit einem Werk gleichsam verschweißt hat, dann ist es sehr schwierig, davon wieder abzurücken, und davor haben Forscher offenbar zurückgeschreckt.
von Billerbeck: Die bislang geltende Deutung des Leonardo-Bildes, das heute "Mona Lisa" heißt, die stammte ja von Georgio Vasari Mitte des 16. Jahrhunderts. Wie kam er eigentlich dazu, so sicher zu sein, dass Mona Lisa auf dem Bild ist?
Bredekamp: Wie Sie sagen, ein halbes Jahrhundert nach dem Ergebnis. Vasari hat sich durch eine Fülle von Korrespondenten und Informanten das Material zusammengestellt, und das Gemälde befand sich in Frankreich. Er musste also sich verlassen, und es mag sein, dass auf diese Weise die Informationen über zwei verschiedene Gemälde in eins geflossen sind. Es gibt viele Punkte, wo er nicht genau, ist ihm hier wohl ein Irrtum unterlaufen, für den er nichts kann, sondern der aufgrund der unklaren Informationslage entstanden ist, mit der er konfrontiert war.
von Billerbeck: Hat Leonardo denn die echte "Mona Lisa" gar nicht gemalt, oder ist die einfach nur auf einem anderen Bild, wenn man Zapperi folgt?
Bredekamp: Die echte "Mona Lisa" hat er begonnen, und die Spur hat sich verloren. Es gibt Gemälde, die verloren gehen, auch bei berühmten Malern. Von Michelangelo gibt es Gemälde, das römische Altargemälde, das immer neu identifiziert wird, aber dessen Spur sich einfach verloren hat. Das kommt vor. Es ist eine Heidelberger Quelle ja vor Jahren aufgetaucht, indem gesagt wird, dass das Gemälde der "Mona Lisa" von Leonardo begonnen worden sei am Kopf, und es sei wunderbar, und das hat eben auch Vasari beschrieben, aber es würde niemals fertiggestellt werden, denn Leonardo würde immer die Werke nicht fertigstellen. Die "Mona Lisa" ist im Louvre untersucht worden, also das Gemälde des Louvre ist im Louvre genauestens untersucht worden vor einigen Jahren, und es hat sich erwiesen, dass sie nur wenige Vorzeichnungen oder Änderungen hat. Sie ist in einem Zug gemalt worden und kann aufgrund der Heidelberger Quelle überhaupt nicht mit der "Mona Lisa" verbunden werden, die, wie gesagt, nur zu einem Teil fertig war und dann über Jahre vermutlich überhaupt nicht fertiggestellt wurde und möglicherweise auch niemals fertiggestellt wurde.
von Billerbeck: Abschied von "Mona Lisa", das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt. Der italienische Historiker Roberto Zapperi hat über die "Mona Lisa" geschrieben, und wir sprechen mit dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Nun wissen wir also nach Roberto Zapperi, dass die "Mona Lisa" nicht die "Mona Lisa" war, sondern Pacifica Brandini. In der "FAZ" wurde aber jetzt in einem Artikel, wurden diese Forschungen von Zapperi angezweifelt. Unter anderem wurde da gesagt, was hätte wohl die Frau eines Medici-Prinzen gesagt, wenn der kurz nach der Hochzeit das Bild seiner einstigen Geliebten, mit der er einen illegitimen Sohn hatte, bei dem berühmtesten Maler seiner Zeit in Auftrag gegeben hätte. Das ist ja auch so ein Argument, wo man sich fragt: Stimmt das doch nicht, was der Zapperi da erforscht hat?
Bredekamp: Zapperi hat keine Quelle, keinen Auftrag, in dem nun Giuliani Leonardo bestimmt, dass er dieses Gemälde malen sollte. Es ist ein Indizienbeweis, der viele bisherige Unstimmigkeiten, nochmals gesagt, warum dieses großartige kosmologische Gemälde für eine unbedeutende Frau eines relativ unbedeutenden Seidenhändlers dieses Problem gar nicht mehr aufkommen lässt. Also Zapperi löst eine große Zahl von Punkten, die bisher durch aufwendige Rekonstruktionen und Konstruktionen ausgeschaltet werden mussten. Insofern hat die Eleganz von Zapperis Argumentationen die Schlüssigkeit für sich. Frank Zöllner weist aus seiner Sicht berechtigterweise darauf hin, dass eine schriftliche Quelle fehlt und deswegen ein großes Fragezeichen bleibt. Das trifft in der Tat zu.
Zur psychologischen Problematik, ob eine Ehefrau das Gemälde einer vorherigen Geliebten überhaupt akzeptiert hätte, ist auch ein wichtiges Argument, das man in Rechnung stellen muss. Zapperi stellt sich dem nicht offensiv sozusagen präventiv, sondern argumentiert, die "Mona Lisa" ist derartig entrückt. Es ist ein Bildnis, das ja aus dem Gedächtnis geschieht. Giuliano de' Medici hatte kein Bild der verstorbenen Geliebten, die ihm einen Sohn gegeben hatte, und so ist es ein so neutrales, in der Erinnerung verschwindendes Bildnis, dass es gleichsam nicht als Konkurrenz gegenüber seiner dann neu angeheirateten Frau hätte gewertet werden können.
von Billerbeck: Wenn Sie das Bild jetzt betrachten, sehen Sie es dann anders, nach diesen Forschungen von Zapperi? Hat die "Mona Lisa" plötzlich eine andere Ausstrahlung für Sie?
Bredekamp: Ja, das hat dieses Buch an sich, was in einer so ungeheuren Ruhe und Bescheidenheit geschrieben ist, dass man das Gemälde kaum anders sehen kann als durch die Erfahrung dieses großartigen, ruhigen Buches, das für sich schon eine solche Fülle von Beschreibungen von Lebensumständen birgt, dass es einen anzieht. Ja, wie aus dem Jenseits Grüßende, so ist die Argumentation von Zapperi, aus dem Jenseits grüßende Verhaltenheit, die dennoch in eine unerhörte Präsenz überspringt, lässt erklären, warum dieses Lächeln seit Jahrhunderten die Menschen anzieht und zugleich zutiefst irritiert. Die Pole, in der diese Frauendarstellung zwischen Erinnerung an eine Tote und eine fiktive Präsenz, sind weiter ausgezogen und lassen dadurch die Tiefe des Gemäldes deutlicher erkennen als zuvor. So ist zumindest meine Wahrnehmung des Buches.
von Billerbeck: Horst Bredekamp war das, der Berliner Kunsthistoriker, über die Forschungen von Roberto Zapperi. "Abschied von Mona Lisa" heißt dessen Buch, das jetzt einen neuen Blick auf das berühmteste Gemälde der Welt gestattet. Herr Bredekamp, herzlichen Dank!
Bredekamp: Danke schön!