Kommentar zum Fall Toni Leistner

Die Rivalen-Nummer ist nicht mehr zeitgemäß

04:02 Minuten
Herthas Neuzugang Toni Leistner im Training
Hertha BSC stellte sich nach Fan-Anfeindungen hinter Neuzugang Toni Leistner. © dpa / picture alliance / Engler
Von Thomas Wheeler |
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Nach der Verpflichtung von Toni Leistner haben einige Hertha-Fans den Ex-Unioner beschimpft und ihn aufgefordert, den Klub zu verlassen. Thomas Wheeler kritisiert, dass die Lokalrivalität auch von den Profivereinen forciert werde.
Fußballfans machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Wenn ihnen was stinkt, hauen sie es raus. In ihrer ganz eigenen Sprache. Das nennt man dann wohl Fankultur.

Nun haben ein paar Hertha-Fans es gewagt, Neuzugang Toni Leistner auf ihre Art zu vermitteln, dass er sich aus ihrem Verein verpissen möge. Pfui! Das gehört doch in die Toilette.

Fall offenbart Missverständnisse des Profifußballs

Aber machen wir uns mal ehrlich, wie es so schön Neudeutsch heißt, bleiben locker und geschmeidig! Seit wann unterhalten sich Fans wie im Literatursalon?

Nun offenbart der Fall Leistner gleich mehrere hausgemachte Missverständnisse des Profifußballs. Die pöbelnden Fans nehmen Hertha BSC als ihren Verein für sich in Anspruch.
Ich denke, dafür müssten sie zumindest mal Mitglieder sein. Mal abseits davon verraten derlei fäkal-verbale Fehltritte natürlich etwas über ein Menschenbild. Ein respektvoller Umgang ist das sicherlich nicht. 
Hier kommt allerdings noch etwas ganz anderes, für viele sogar etwas sehr Wichtiges zum Tragen: Lokalrivalität.

Fans vergessen nicht

Leistner hat früher für Union gespielt, die Hertha sportlich längst als Nummer eins in der Hauptstadt abgelöst haben. Und er hat mit seiner Bindung zu den Rot-Weißen auch nie hinter dem Berg gehalten, als er den Verein bereits verlassen hatte.
Dass einige Herthaner verärgert sind, nun, wo er die Seiten gewechselt hat, ist nachvollziehbar. Selbst wenn er jetzt meint, das sei lange her. Fans vergessen nicht.

Lokalrivalen vermarkten Unterschiede

Erinnern wir uns nur an den Trouble bei diversen Transfers zwischen Schalke und Dortmund. Lokalrivalen befeuern und vermarkten ständig dieses ganze Gedöns um Eigenheiten und Unterschiede.
Vor allem, wenn ein Derby vor der Tür steht, sind sie sich für nichts zu schade, aber auch sonst pushen sie Rivalen-Denken. Lässt sich im Milliardengeschäft Fußball schließlich auch viel Geld mit verdienen.

Vieles ist geheuchelt

Vieles ist davon geheuchelt. Einerseits spielen Vereine vor den Kulissen Rivalität und hinter den Kulissen leben sie Kollegialität. Kann man sich im selben Vermarktungsboot sitzend, solche Rivalen-Nummern überhaupt noch leisten oder sind sie nicht mehr zeitgemäß? 

Fußball verkörpert Emotionen. Er lebt davon. Dadurch verkauft er sich weltweit so gut wie keine andere Sportart. Deshalb bin ich dafür, dass Medien und Vereine Spielerwechsel von einem Klub zum anderen nicht künstlich aufblasen, sondern nüchtern betrachten, wie jeden anderen Arbeitsplatzwechsel.

Und wer jetzt meint, ich würde mit solch einer Haltung überdrehten Fans einen Freifahrtschein ausstellen, dem sei gesagt. Ich lehne es natürlich ab, wenn jemand aufgrund seiner früheren Vereinszugehörigkeit beleidigt oder, noch schlimmer, körperlich bedroht wird. 

Für eine Versachlichung!

Die Vereine sollten ihren Fans endlich reinen Wein einschenken, statt Rivalität zu forcieren. Und sie sollten diese nicht, bewusst oder unbewusst, mit dem üblichen Geschwafel über deren angebliches Fehlverhalten missverstehen, sondern ernst nehmen.
Eine Versachlichung müsste jedoch auch mit einer gewissen Ehrlichkeit einhergehen. Auch wenn Ehrlichkeit zum Fußball genauso wenig passt wie all der moralische Kram.
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