Fakten und Fiktionen

Von Natascha Freundel |
Selbst Berliner wissen es oft nicht genau zu sagen: Wo genau war die Grenze? Die niederländische Landschaftsarchitektin Joyce van den Berg hat nun konkrete Pläne für die Nutzung des ehemaligen Grenzstreifens entwickelt, die nun im Deutschen Architektur Zentrum in Berlin vorgestellt wurden.
Fakten und Fiktionen verbindet die Ausstellung in einem Raum. Aus einer "Traumalandschaft" möchte Joyce van den Berg eine Traumlandschaft machen. Die Tatsachen, das wichtigste Resultat der Arbeit von Joyce van den Berg, liegen wie ein aus quadratischen Rastern zusammengesetztes Puzzle auf dem Boden. Aktuelle Luftbilder des ehemaligen Sperrgebiets rund um West-Berlin im Maßstab 1 zu 5000.

Ein Sprung, und man steht in der Mitte der kreisförmigen Karten-Installation, in der bestimmte Flächen von blassgelb bis dunkelbraun markiert sind.

"Jetzt ist das alles Sand bis sehr feinem Sand. Und das
sieht aus, dass die da junge Bäumen stehen da aus, Planzen stehen da aus. Eigentlich ist das ein verlassenes Gebiet, wie das aussieht.
Und das sind dann unterschiedliche Landschaften, so Sumpfgebiete, auch Wasser, Wälder, Außengebiete. Und Innenstadt, das sind dann echt Brachstücke. So verschiedene Landschaften."

Seit einem Berliner Studienaufenthalt vor zehn Jahren beschäftigt der Grenzstreifen die Niederländerin. Sie wollte wissen: Wo liegt das ehemalige Sperrgebiet? Genaue Karten gab es nicht, sie ging in Stasi-Archive, befragte Anwohner. Jetzt weiß man: Das Terrain ist 155 Kilometer lang und zwischen West- und Ost-Berlin etwa 20 Meter breit, zu Brandenburg hin allerdings bis zu 2,5 Kilometern breit.

"Ich hatte die Frage gestellt auch, warum das Gebiet so
breit würde an einen Ex-Stasi-Offizier, und die hatte mir erzählt, der Grund dafür war wegen der Fluchttunnel, so immer wenn ein Fluchttunnel werde entdeckt, würde die Grenze verschoben."

Das hieß vor allem, verbreitert, ausgehend von der administrativen Grenze zu West-Berlin. Diese Grenzstrecke kann seit rund einem Jahr vollständig auf dem "Berliner Mauerweg" mit dem Rad erkundet werden. Joyce van den Berg plant nun einen zweiten Radweg auf der anderen, der DDR-Seite der Sperrzone. Ein Weg mit vielen Winkelzügen.

"Dann entsteht ein Rahmen eigentlich räumlich gesehen, und
dann kann man das Sperrgebiet eigentlich echt richtig gut lesen und auch die Breite erfahren."

An den Wänden des Ausstellungssaals hängen neben Fotos des Ist-Zustands Tableaus einer Utopie. Hier ein trister Sandweg am Waldrand, dort riesige Schmetterlinge, die Gräser, Mohn- und Kornblumen umflattern. Jeder Farbmarkierung auf der Karte am Boden entspricht ein bestimmtes Landschaftsmodell an der Wand.

Hellgelb heißt: Hier soll der Sand, den Grenzer früher begradigten, um Fußspuren zu identifizieren, für frische "Pionierpflanzen" regelmäßig gelockert werden. Knallgelb heißt: Auf Dünen darf Sandsurfing oder Truck-Racing betrieben werden. Da bestaunen Kinder wilde Vögel, Elche und Füchse.

Van den Berg möchte die Phanatasie anstacheln, damit die Wüstenei des Grenzgebiets zu leben beginnt. Sie möchte alle Spuren der Vergangenheit kenntlich machen und sie zugleich parodieren. So verwandelt sie die tiefen Fundamente der ehemals 302 Wachtürme in Biotope für Schattenpflanzen. Und an den Grenzübergängen könnten Motels der ganz besonderen Art entstehen:

"Vorher war da Stau bei den DDR-Zeiten, weil man muss lang
warten. Und ich habe wieder einen neuen Stau gemacht, aber das ist kein Stau, das sind Lastwagen, alle umgebaut, und zusammen sind sie ein großen Hotel. Und von dem Hotel aus, kann man von dem Bett aus echt die Sternenhimmel erleben, und die Ruhe erleben. So der Stau ist Ruhe geworden."

Ganze fünf Tage soll die 155-Kilometer-Rundtour mit dem Rad dauern, will man alle Facetten dieses Streifens wahrnehmen. Natürlich braucht es dafür vier Übernachtungsstationen, van den Berg plant auch Restaurants mit DDR-Menü oder Bänke aus DDR-Autositzen mit Blick auf alte Mauerreste, Wegweiser oder Grenzpfähle. Verlockend sind diese Visionen. Das Berlin-Brandenburgische Sperrgebiet könnte, so van den Berg, ein europaweit einmaliges Naherholungsgebiet werden. Aber:

"Das ist nur gedacht, die Frage zu stellen zu Anfang, wie könnte man heute mit dem Sperrgebiet umgehen. Das ist die Hauptsache, das muss nicht als ein definitiver Plan gesehen werden."