Faksimileband

Blutregen, Monster und Kometen

Von Eva Hepper · 27.01.2014
Naturkatastrophen war der Mensch früherer Jahrhunderte noch viel hilfloser ausgesetzt als heute. Man versuchte die Katastrophen durch andere Phänomene vorherzusehen, etwa durch Sternenkonstellationen. Ein erst vor wenigen Jahren aufgetauchtes Buch aus dem 16. Jahrhundert versammelt Bilder dieser sogenannten Wunderzeichen. Es ist jetzt als Faksimileband im Taschen-Verlag herausgekommen.
Unbeteiligt prangt das Mondgesicht am Himmel. Bedrohlich allerdings ist seine rote Farbe und unheimlich gar die Richtung seines Blickes: Der zielt genau auf den Betrachter. Tatsächlich kann man sich dem fein gemalten Himmelskörper - mit Augen, Brauen, Nase, Mund und Kinnfalte - kaum entziehen, dabei findet die eigentliche Katastrophe tiefer im Bild statt. In fahlem Grau und Blau ist dort die Silhouette einer zerstörten Stadt zu sehen.
So grauenhaft das Geschehen am Boden, es gibt einen guten Grund, dem Mond alle Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich war er ein unheilvolles Zeichen, wie der mit feinem Strich an den unteren Bildrand gepinselte Text verrät: "Im 1119. Jahr wurde der Mond blutfarben gesehen, und ein Erdbeben dauerte neun Tage in Italien, so dass Städte und Dörfer zerstört wurden."
Gemalt wurde diese Gouache zur Zeit der Renaissance als Auftragsarbeit für eine ganz besondere Publikation, das 1552 erschienene Augsburger Wunderzeichenbuch. Erst vor wenigen Jahren auf dem Auktionsmarkt aufgetaucht, liegt es nun erstmals als Faksimile-Ausgabe vor.
In 167 Bildtafeln versammelt das Kompendium Wunder und besondere Vorkommnisse aus dem Alten Testament, aus historischen Chroniken und der Johannes-Offenbarung. Farbenprächtig koloriert und mit einem Erläuterungstext versehen, berichten diese Illustrationen von Himmelsphänomenen wie Sonnen- und Mondfinsternissen, kosmischen Lichteffekten und Kometen, von Naturkatastrophen wie Sintfluten, Erdbeben, Hagelstürmen und Tier-Plagen sowie von außergewöhnlichen Begebenheiten wie "Blutregen" und dem Erscheinen missgebildeter Kreaturen und Monster.
Drachen kämpfen gegen Ritter und Engel
Für heutige Betrachter haben diese "Wunderzeichen" ihren Schrecken verloren, nicht aber die Bilder ihre Strahlkraft: Mal erscheinen ganze Schlachtengemälde in dramatischen Farben am Himmel – da kämpfen dann etwa Drachen gegen Ritter und Engel vor glutroten Wolken -, mal werden Kometen in prächtigem Gold abgebildet, mal ziehen Heuschrecken als gleichsam ornamentale Struktur durchs Himmelsgewölbe. Selten sah das Unheilvolle so schön aus!
Wie das Buch zustande kam, in welcher Tradition – das Genre geht bis ins 4. Jahrhundert nach Christus zurück – und welchem zeitgeschichtlichen Kontext die Werke zu sehen sind, erläutern Till-Holger Borchert und Joshua P. Waterman in einem eigenen Textband. Auftraggeber und Künstler konnten die Wissenschaftler zwar nicht identifizieren, wohl aber Entstehungsort und -zeit sowie die unmittelbaren künstlerischen Einflüsse von Albrecht Dürer bis Hans Sebald Beham.
Zudem sensibilisieren die Autoren ihre Leser für die Einmaligkeit dieses Prachtbandes. Denn anders als bei anderen Werke des Genres, werden hier zwar die verschiedensten Zeichen versammelt und beschrieben, nicht aber gedeutet und zur Buße gemahnt. So balanciert das Augsburger Wunderzeichenbuch auf der schmalen Kante zwischen mittelalterlichem Aberglauben und neuzeitlichem naturwissenschaftlichem Interesse. Grandios, dass sich das nun in dieser hochwertigen Faksimile-Ausgabe studieren lässt.

Till-Holger Borchert/Joshua P. Waterman: The book of miracles – Das Wunderzeichenbuch – Le livre des miracles
Ins Deutsche übersetzt von Kurt Rehkopf
Taschen Verlag, Köln 2013
568 Seiten, 99,99 Euro