Failed states

Von Jörg Lau |
Wenn der Außenminister bei seiner Arabien-Tour einen unerwarteten Schlenker in die Hauptstadt des Jemen macht, hat das nichts mit den weltberühmten antiken Lehmhochhäusern zu tun. Hier gibt es auch nichts zu holen für die üppige Wirtschaftsdelegation, die Westerwelle mitbringt. Das Öl des Jemen wird in spätestens zehn Jahren erschöpft sein. Guido Westerwelle besucht Sana'a, weil der Jemen die neue Terrorbasis der Al Kaida zu werden droht.
Im Jemen stellt sich dem Westen das zentrale Sicherheitsproblem unserer Tage mit aller Macht. Schwache Staatlichkeit ist die eigentliche Herausforderung – im Englisch der Terrorexperten: failed states. Mit Schurkenstaaten – also Ländern unter der Knute von antiwestlich gesinnten Tyrannen wie etwa Iran und Nordkorea – kann man immerhin verhandeln. Und man kann im Fall des Scheiterns ihren Regierungen drohen. Man kann sie sanktionieren, isolieren oder eindämmen.

All das funktioniert nicht, wo es praktisch keine Staatlichkeit mehr gibt. Im Jemen beherrscht der Präsident nur noch einen Teil des Landes um die Hauptstadt herum. Im benachbarten Somalia am Horn von Afrika sieht es nicht viel besser aus. Dort kontrolliert die "Übergangsregierung" noch etwa ein Fünftel des Staatsgebietes. Sie wird von der Al-Shabab-Miliz bedrängt, die mit Al-Kaida zusammenarbeitet. Diese Miliz unterstützt auch die jemenitischen Islamisten bei ihrem Kampf gegen den Staat. Von der im Jemen stationierten "Al Kaida auf der arabischen Halbinsel" wiederum erhalten die somalischen Dschihadisten Waffen und Geld.

Die Terroranschläge zum Jahreswechsel haben diese Zone zerfallender Staatlichkeit in unsere Schlagzeilen gebracht: Der Detroiter "Unterhosen-Bomber", der nur knapp bei seinem Versuch scheiterte, ein amerikanisches Passagierflugzeug in die Luft zu sprengen, soll im Jemen mit Sprengstoff ausgerüstet worden sein. Und der junge Mann, der den dänischen Karikaturisten Westergaard mit der Axt zu ermorden versuchte, war ein somalischer Asylbewerber. Er soll für die Al-Shabab-Terrororganisation Geld gesammelt haben.

Als wäre das alles noch nicht genug, ließen deutsche Sicherheitsbehörden am vergangenen Wochenende wissen, auch deutsche Islamisten würden im Jemen in einer Terrorschule ausgebildet. Einige von ihnen sind Konvertiten zum Islam. Bis zu 30 gewaltbereite Islamisten, berichtete die Frankfurter Allgemeine, hätten die Koranschule durchlaufen, manche seien bereits nach Hause zurückgekehrt.

Was kann der Westen tun, um die Gefahr einzuhegen, die von failed states ausgeht? Das Beispiel Afghanistan zeigt, dass allzu große Ambitionen fehl am Platz sind. Nach acht Jahren des milliardenschweren und waffenbewehrten Wiederaufbaus reicht auch dort der Aktionsradius der Regierung Karsai nicht weit über Kabul hinaus. Die Präsenz der Wiederaufbautruppen spielt zudem den Aufständischen in die Hände, die sich als Befreier von fremder Besatzung geben können.

Im Jemen und in Somalia kann man die Terroristen darum sicher nicht mit einer Interventionsarmee bekämpfen. Statt sich in einen weiteren Bürgerkrieg verstricken zu lassen, wird der Westen die Terroristen verstärkt mit Lenkbomben und Geheimoperationen unter Druck setzen.

Zugleich muss man die Unterstützung für die bedrängten Regierungen hochfahren – ohne allerdings den Eindruck zu erwecken, dass es sich dabei um Marionettenregime des Westens handelt. Denn die Tatsache, dass der Westen allzu oft die korruptesten und brutalsten Regime der Region unterstützt, ist der größte Propagandatrumpf der Al Kaida.

Mit Bomben und Gewehren alleine ist dieser Kampf nicht zu gewinnen, wie heute vor allem die Militärs sagen. Die Bevölkerung holt man langfristig nur durch bessere Lebenschancen auf die Seite des Staates. Wo aber Koranschulen für die Mehrheit die einzige Bildungsmöglichkeit sind, wie im Jemen und in Somalia, da wachsen immer mehr junge Radikale heran.

Die FDP stellt heute nicht nur den Außen-, sondern auch den Entwicklungsminister. Sie hat damit eine einmalige Chance zu einem Politikwechsel: Entwicklungshilfe kann endlich nicht mehr nur als Mildtätigkeit, sondern als harter Faktor in der Sicherheitspolitik verstanden werden.

Jörg Lau war Literaturredakteur der "tageszeitung" und ist Mitarbeiter der "Zeit" in Berlin. Letzte Buchveröffentlichung: "Hans Magnus Enzensberger. Ein öffentliches Leben".