Fahrgastverband: Strukturfragen überlagern Bahn-Tarifstreit

Moderation: Birgit Kolkmann · 04.12.2007
Im Tarifstreit bei der Deutschen Bahn AG geht es dem Unternehmen nach Ansicht des Fahrgastverbandes Pro Bahn nicht um das einheitliche Tarifsystem. "Das ist nur vorgeschoben", sagte der Verbandsvorsitzende Karl-Peter Naumann. Es gehe um die grundlegende Ausrichtung des Konzerns.
Birgit Kolkmann: Es sind die ersten offiziellen Tarifverhandlungen seit dem 19. Juli. Gestern um zwei nachmittags trafen sich die Chefs von Bahn- und Lokführern in einem Hotel am Potsdamer Platz in Berlin. Es ging um das Angebot der Bahn an die GDL, das die Gewerkschaft schon vorher als Mogelpackung bezeichnet hatte. Den Lokführern ist ja eminent wichtig, einen eigenen Tarifvertrag zu bekommen, der Bahn aber ebenso wichtig, dass sich die GDL einfügt in ein Tarifganzes bei der Bahn. Ist das die Quadratur des Kreises? Nach zehn Stunden gestern vertagte man sich auf jeden Fall auf den heutigen Vormittag. Es könnte einen Durchbruch geben, das wäre auch ganz gut, denn die Drohung steht im Raum, dass nun wieder gestreikt wird, und zwar unbefristet. Und wie sagt der GDL-Vize Weselsky: Die Streikkasse sei gut gefüllt, die reicht so lange, dass es niemand mehr aushält, da sind wir ganz sicher. Karl-Peter Naumann begrüße ich jetzt im Deutschlandradio. Herr Naumann, wird Ihnen da als Vorsitzendem des Fahrgastverbandes Pro Bahn ganz Angst und Bange?

Karl-Peter Naumann: Ja, wenn es wirklich zu einem unbefristeten Streik käme, dann leiden nicht nur die Fahrgäste, dann leidet auch das ganze System Bahn darunter, das heißt, wir brauchen jetzt wirklich konstruktive Verhandlungen von beiden Seiten und auch von beiden Seiten das Bemühen, sich etwas zu bewegen.

Kolkmann: Nun kann aber wohl die Kundschaft bisher doch wohl ganz gut nachvollziehen, was die Lokführer fordern. Haben diese auch insofern einen guten Rückhalt?

Naumann: Was die Forderungen angeht, haben die Lokführer ja in der gesamten Bevölkerung einen guten Rückhalt. Wenn man das dann auf die Streiks und die Streiktage herunterbricht, dann sieht es im Einzelfall doch sehr anders aus.

Kolkmann: Geht es eigentlich bei der Bahn längst um viel mehr, als um einen Machtkampf zwischen zwei Männern, die sich offenbar nicht so furchtbar gut miteinander unterhalten können? Geht es vielmehr um das einheitliche Tarifsystem?

Naumann: Es geht nicht so sehr um das einheitliche Tarifsystem, das ist, glaube ich, nur vorgeschoben. Es geht um die grundlegende Ausrichtung des Konzerns. Hartmut Mehdorn, die Deutsche Bahn AG und auch die anderen beiden Gewerkschaften sprechen sich aus für den Erhalt des integrierten Konzerns, während die GDL hat durchblicken lassen, dass sie sich durchaus auch mit dem Modell, was jetzt ja auch von der Politik favorisiert wird, nämlich die Trennung von Infrastruktur und Verkehr, sehr gut anfreunden kann.

Kolkmann: Nun will die Bahn außerdem auch noch selbst mehr Geld, und zwar für die Tickets. Was ist davon zu halten?

Naumann: Nun, die Fahrpreiserhöhung war ja schon sehr lange angekündigt, und wir haben damals wie heute gesagt, wenn ein Unternehmen so viel mehr verdient, so viel mehr Kunden hat im Güterverkehr wie im Fernverkehr, dann dürfte es eigentlich nicht dazu kommen, dass man die Preise erhöht. Also hier setzt die DB AG ein völlig falsches Signal.

Kolkmann: Hat sich denn das Angebot der Bahn trotz der erhöhten Preise verschlechtert? Ich habe gelesen, nach Rheinsberg könnte Kurt Tucholsky mit der Bahn nicht mehr fahren wegen Baufälligkeit der Strecke. Investiert die Bahn am falschen Ende?

Naumann: Na ja, das ist eben das Problem, wer hat die Macht über die Strecken und über die Infrastruktur. Und was ja angestrebt wird von vielen Fachleuten ist, dass man dem Unternehmen die Verantwortung für die Infrastruktur nimmt und dass man die Infrastruktur wie auch bei der Straße als staatliche Aufgabe wahrnimmt. Wenn man natürlich nur seitens des Landes Berlin-Brandenburg wenige Züge nach Rheinsberg bestellt, um bei dem Beispiel zu bleiben, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn der Infrastrukturbetreiber, der ja von den Trassengebühren die Strecke unterhalten muss, wenig Interesse hat, eine solche Strecke auch dann in einem vernünftigen Zustand zu erhalten.

Kolkmann: Nun geht es ja auch nicht nur um den Verkehr in der Provinz, obwohl der natürlich auch ganz wichtig ist. Ich habe auch gelesen, dass in Darmstadt zum Beispiel nur noch ein Intercity, ein ICE-Paar halten wird. Wird denn da eine wichtige Großstadt in Hessen abgekoppelt.

Naumann: Heute gibt es ja auch kaum ICE-Verkehr in Darmstadt. Darmstadt ist eben die Frage gewesen, wie bindet man diese Stadt an an die Neubaustrecke zwischen Frankfurt und Mannheim. Und hier hat man eigentlich einen ganz vernünftigen Kompromiss gefunden, dass man gesagt hat, man baut eine Ausschleifung, sodass einzelne Züge auch in Mannheim halten können. Das entspricht sicherlich dem Bedarf. Ob es nachher ein Zug pro Stunde ist oder zwei Züge pro Stunde ist, das also dem ganz normalen Grundtakt im Fernverkehr entspricht, das wird man dann nachher noch sehen.

Kolkmann: Nun hat die Bahn ja auch gigantische Projekte in der Planung, zum Beispiel den Tiefbahnhof in Stuttgart oder die Transrapid-Strecke in München. Wenn diese teuren Projekte realisiert werden, was wird dann aus dem bestehenden Streckennetz, wenn der Bund nicht noch mal ordentlich in die Taschen greift?

Naumann: Ja, genau diese beiden Projekte sind Prestigeobjekte, vor allen Dingen auch der regionalen Politik. Und hier wird das Geld, was man für die entsprechenden Bundesländer hat, dann in diesen beiden einzelnen Projekten vergraben. Hier muss einfach die Bundespolitik insgesamt mal nachschauen, welchen Sinn macht das Ganze für das gesamte Netz. Da sollte man sich an der Schweiz orientieren, die schon Ende der 80er Jahre ein Konzept auf die Beine gestellt haben, Bahn 2000, wo man sich gefragt hat, welche Maßnahmen brauchen wir im gesamten Netz, damit es im gesamten Netz sehr viel besser funktioniert, und dann würde man vermutlich zu ganz anderen Ergebnissen kommen.

Kolkmann: Lässt die Bundesregierung, die ja im Prinzip immer noch oder als Bund Eigentümer der Bahn ist, diese Dinge einfach zu sehr laufen?

Naumann: Es gibt keine wirklichen Verantwortlichkeiten. Der Eigentümer ist zugleich die Politik. Als Politik darf man sich nicht einmischen, als Eigentümer müsste man sich einmischen. Das sind einfach auch Verhältnisse, die unklar sind. Und hier brauchen wir mehr wirklich klare Regelungen und auf der anderen Seite eben die Bahn als Unternehmen, die dann glaubt, auch wieder über politische Fragen entscheiden zu müssen, was die Infrastruktur angeht.

Kolkmann: Die Bahn, der Tarifkonflikt und die Privatisierung – das war Karl-Peter Naumann, der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Danke für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur!