Fänger im Karpaten-Roggen
Ukrainische Literatur hat Konjunktur. Alle lieben Juri Andruchowytsch, den klugen, charmanten Kulturvermittler. Selbst mancher Bestseller hat mittlerweile einen ukrainischen Migrationshintergrund. So begeistert die Engländerin Marina Lewycka mit ihrer "Kurzen Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" inzwischen auch deutsche Leser. Und dann gibt es junge Autoren wie Ljubko Deresch, die so radikal begabt wirken, dass die auf wohltemperiertes Mittelmaß geschulten Abkömmlinge deutscher Schreibakademien dagegen alt aussehen.
Nach "Kult" ist nun der erste der bisher vier Romane des 22-Jährigen erschienen. Deresch war gerade fünfzehn, als er "Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet" schrieb - ein Sommerferienbuch gewissermaßen, flott im Juni und Juli 2000 entstanden. Es ist ein kleiner Roman voll "perfidem Teenagerhass, bei dem man nicht von großherziger Vergebung, sondern vom schnellen, qualvollen Tod des Feindes träumt". Mit frühreifen erzählerischen Mitteln inszeniert das "Wunderkind" der ukrainischen Literatur ein Stück pubertärer Phantastik. Wie in "Kult" geht es um den Kampf gegen das Böse - nur dass es diesmal nicht aus fernen Galaxien daherkommt, als von Lovecraft entlehnter Wurm Yog-Sothoth.
Das Buch spielt im schwülen Sommer des Jahres zwei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: Der fünfzehnjährige Misko liegt in einer Datscha des Karpatenkaffs Midni Buky, liest Poe und hört alte Pink-Floyd-Musik. Eine schöne Freundin hat er auch schon für sich gewonnen, und alles könnte gut sein - wäre da nicht der Feind. Misko zählt sich zu den "Freaks"; diese werden drangsaliert von den kurzhaarigen, prolligen "Pazany", und der schlimmste von ihnen ist Fedja Kruhowyj, eine Verkörperung des Gemeinen, Hässlichen, Gewalttätigen, wie sie im Buche steht.
Bevor es zum Showdown kommt, ereignet sich eine Idylle vor dunklem Hintergrund - eine Berg- und Rucksacktour mit Freundin Dswinka, hinauf zu einem See in den Karpaten. Die erhabene Natur dort oben weiß nichts von Hyperinflation und Kettensägen. Es kommt zu einer gewaltig romantischen Liebesszene, bei der Blitze am Himmel zucken und aus dräuenden Gewitterwolken eine Donnerfuge dröhnt. Die ganze Welt scheint in Aufruhr zu geraten, wenn zwei Fünfzehnjährige die körperliche Liebe am Lagerfeuer entdecken. Das ist groß instrumentiert, schöner Bombast, wie ihn Pink Floyd nicht besser hinbekommen hätten. "Teufel auch, ich bin ein Mann", kann Misko anschließend ausrufen. Der Leser ist gerührt.
Nach einem Zwischenspiel im böse verwunschenen "Hyazinthenhaus", in dem ein verlotterter Junkie fürchterliche Seemannsgeschichten erzählt, entwickelt sich das letzte Drittel des Romans zum an Horrorfilmen geschulten Vergeltungsdrama. Misko und seine Freunde haben es satt, in permanenter Angst vor Fedja zu leben.
"Wir wollen nur ein Schwein fertigmachen, das uns alle schon ordentlich angeschissen hat... Wir sind unschuldig wie Engel."
Die Umsetzung des Mordplanes am Tag der Jugend hätten Stephen King oder Marilyn Manson nicht in makabreren Details ausmalen können. Der Feind ist hin - aber die Unschuld auch. So werden Engel vernichtet.
"Anbetung der Eidechse" ist ein Initiationsspektakel, bei dem man sich an Filme von David Lynch erinnert fühlen kann, "Blue Velvet" etwa mit dem urbösen Dennis Hopper. Auch der Schauerromantiker Edgar Allan Poe ist eine feste Bezugsgröße. Und natürlich "Pink Floyd". "Is there anybody out there?", heißt es in "The Wall” - Misko betreibt seinen eigenen Kult mit dem Gesamtkunstwerk. Das Gefühl des Eingemauertseins ist ihm bestens vertraut.
Der Roman ist mit nostalgischer Popkultur garniert. Dereschs Helden vertrauen den Ikonen der Sattelzeit des Rock: Jim Morrison, dessen Poem "Celebration of the Lizard" im Titel zitiert wird, Jimi Hendrix oder Syd Barrett. Man könnte annehmen, dass diese Musik der Deresch-Generation so fern liege wie Beethoven. Das Gegenteil ist der Fall, was nebenbei wohl einiges über den Zustand der Pop-Kultur aussagt, die im Recycling der Originale stagniert.
Der manisch aufgekratzte Grundton und die Sprachspielereien verraten das karnevalistische Vorbild Andruchowytschs. Es mangelt nicht an galizischem Postmodernismus und ukrainischem Jägerlatein über Hexen und Zellophan-Herrinnen, während die tumbe Landbevölkerung mit satirischen Seitenblicken bedacht wird. Wer Zwischentöne bevorzugt, sollte von diesem Spektakel die Finger lassen. Es ist überhitzte pubertäre Phantastik - allerdings mit einer Sprachmacht objektiviert, die angesichts des Alters des Autors schlicht verblüfft. Sicher gibt es im Übereifer entgleiste Formulierungen ("Ich hüllte mich in Ausweglosigkeit wie in eine crazy Verpackung von Christo"), und gelegentlich nervt das Übermaß an Krassheiten und Obszönitäten, wiedergekäutem Material aus Trash-Vorlagen.
Trotzdem ist dieser Fänger im Karpaten-Roggen lesenswert. Die alten, oft ein wenig verbraucht klingenden Geschichten vom Erwachsenwerden, von jugendlicher Rebellion, erster Liebe und dem Kampf zwischen Gut und Böse - sie wirken wieder frisch in der aufgebrochenen Wirklichkeit Osteuropas. Übergangsgesellschaften sind fruchtbringend, jedenfalls in erzählerischer Hinsicht.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Ljubko Deresch: Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet
Roman. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck
Edition Suhrkamp 2006
201 S., 10 Euro
Das Buch spielt im schwülen Sommer des Jahres zwei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: Der fünfzehnjährige Misko liegt in einer Datscha des Karpatenkaffs Midni Buky, liest Poe und hört alte Pink-Floyd-Musik. Eine schöne Freundin hat er auch schon für sich gewonnen, und alles könnte gut sein - wäre da nicht der Feind. Misko zählt sich zu den "Freaks"; diese werden drangsaliert von den kurzhaarigen, prolligen "Pazany", und der schlimmste von ihnen ist Fedja Kruhowyj, eine Verkörperung des Gemeinen, Hässlichen, Gewalttätigen, wie sie im Buche steht.
Bevor es zum Showdown kommt, ereignet sich eine Idylle vor dunklem Hintergrund - eine Berg- und Rucksacktour mit Freundin Dswinka, hinauf zu einem See in den Karpaten. Die erhabene Natur dort oben weiß nichts von Hyperinflation und Kettensägen. Es kommt zu einer gewaltig romantischen Liebesszene, bei der Blitze am Himmel zucken und aus dräuenden Gewitterwolken eine Donnerfuge dröhnt. Die ganze Welt scheint in Aufruhr zu geraten, wenn zwei Fünfzehnjährige die körperliche Liebe am Lagerfeuer entdecken. Das ist groß instrumentiert, schöner Bombast, wie ihn Pink Floyd nicht besser hinbekommen hätten. "Teufel auch, ich bin ein Mann", kann Misko anschließend ausrufen. Der Leser ist gerührt.
Nach einem Zwischenspiel im böse verwunschenen "Hyazinthenhaus", in dem ein verlotterter Junkie fürchterliche Seemannsgeschichten erzählt, entwickelt sich das letzte Drittel des Romans zum an Horrorfilmen geschulten Vergeltungsdrama. Misko und seine Freunde haben es satt, in permanenter Angst vor Fedja zu leben.
"Wir wollen nur ein Schwein fertigmachen, das uns alle schon ordentlich angeschissen hat... Wir sind unschuldig wie Engel."
Die Umsetzung des Mordplanes am Tag der Jugend hätten Stephen King oder Marilyn Manson nicht in makabreren Details ausmalen können. Der Feind ist hin - aber die Unschuld auch. So werden Engel vernichtet.
"Anbetung der Eidechse" ist ein Initiationsspektakel, bei dem man sich an Filme von David Lynch erinnert fühlen kann, "Blue Velvet" etwa mit dem urbösen Dennis Hopper. Auch der Schauerromantiker Edgar Allan Poe ist eine feste Bezugsgröße. Und natürlich "Pink Floyd". "Is there anybody out there?", heißt es in "The Wall” - Misko betreibt seinen eigenen Kult mit dem Gesamtkunstwerk. Das Gefühl des Eingemauertseins ist ihm bestens vertraut.
Der Roman ist mit nostalgischer Popkultur garniert. Dereschs Helden vertrauen den Ikonen der Sattelzeit des Rock: Jim Morrison, dessen Poem "Celebration of the Lizard" im Titel zitiert wird, Jimi Hendrix oder Syd Barrett. Man könnte annehmen, dass diese Musik der Deresch-Generation so fern liege wie Beethoven. Das Gegenteil ist der Fall, was nebenbei wohl einiges über den Zustand der Pop-Kultur aussagt, die im Recycling der Originale stagniert.
Der manisch aufgekratzte Grundton und die Sprachspielereien verraten das karnevalistische Vorbild Andruchowytschs. Es mangelt nicht an galizischem Postmodernismus und ukrainischem Jägerlatein über Hexen und Zellophan-Herrinnen, während die tumbe Landbevölkerung mit satirischen Seitenblicken bedacht wird. Wer Zwischentöne bevorzugt, sollte von diesem Spektakel die Finger lassen. Es ist überhitzte pubertäre Phantastik - allerdings mit einer Sprachmacht objektiviert, die angesichts des Alters des Autors schlicht verblüfft. Sicher gibt es im Übereifer entgleiste Formulierungen ("Ich hüllte mich in Ausweglosigkeit wie in eine crazy Verpackung von Christo"), und gelegentlich nervt das Übermaß an Krassheiten und Obszönitäten, wiedergekäutem Material aus Trash-Vorlagen.
Trotzdem ist dieser Fänger im Karpaten-Roggen lesenswert. Die alten, oft ein wenig verbraucht klingenden Geschichten vom Erwachsenwerden, von jugendlicher Rebellion, erster Liebe und dem Kampf zwischen Gut und Böse - sie wirken wieder frisch in der aufgebrochenen Wirklichkeit Osteuropas. Übergangsgesellschaften sind fruchtbringend, jedenfalls in erzählerischer Hinsicht.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Ljubko Deresch: Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet
Roman. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck
Edition Suhrkamp 2006
201 S., 10 Euro