Fachkräfte aus dem Ausland

Mit gezielter Anwerbung gegen den Pflegenotstand

08:19 Minuten
"Notruf: Mehr von uns ist besser für alle!" steht bei einer Demonstration von streikendem Pflegepersonal an der Berliner Charite - Campus Virchow Klinikum auf einem Transparent.
"Mehr von uns ist besser für alle!": Pflegekräfte in Berlin protestieren gegen den Personalnotstand. © imago images / Seeliger
Von Kristin Langen · 05.08.2019
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Zehntausende unbesetzte Stellen: Um den Pflegenotstand hierzulande in den Griff zu bekommen, davon sind Träger und Politik überzeugt, braucht es Fachkräfte aus dem Ausland. Die Anwerbung von Pflegekräften ist aber kein Selbstläufer.
Das ist unser Zimmer, Labor", sagt Sidorela Gjini. "Erst einmal muss ich meine Hände desinfizieren."
Geübt zieht sich Sidorela Gjini die Handschuhe an und sucht die nötigen Medikamente zusammen. Es ist kurz nach 14 Uhr und in der Berliner Charité beginnt die Spätschicht. Die junge Frau mit langen schwarzen Haaren und weißem Kittel ist seit über einem Jahr in Deutschland. Nach einem Bachelor als Kranken- und Gesundheitspflegerin und einem Masterabschluss im Pflegemanagement hat die 25-jährige Albanerin sich dafür entschieden, in Deutschland in der Pflege zu arbeiten.
Sidorela Gjini posiert im Laborraum für ein Foto.
Sidorela Gjini im Labor am Campus Virchow-Klinikum der Berliner Charité© Kristin Langen
"Der Grund war, für eine bessere Zukunft", erzählt sie. "Man hat mehr Möglichkeiten bei der Arbeit, man kann besser eine Karriere aufbauen oder, das ist auch klar, das Gehalt hier ist ganz anders, das ist auch ein Grund."

Mehr als jede zehnte Pflegekraft kommt aus dem Ausland

Sidorela Gjini ist eine von 150 Pflegefachkräften, die die Berliner Charité im Ausland angeworben hat. Insgesamt arbeiteten 2018 nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit über 160.000 ausländische sozialversicherungspflichtige Pflegekräfte in Deutschland. Davon sind rund die Hälfte Pflegehelfer. Mehr als jede zehnte Pflegekraft in Deutschland kommt mittlerweile aus dem Ausland - mehr als doppelt so viele wie noch 2012.
Judith Heepe, Pflegedirektorin an der Charité, koordiniert von einem großen, lichtdurchfluteten Büroraum die Pflegearbeit in dem Berliner Krankenhaus.
"Die Unterstützung durch internationale Pflegende ist eine Akutmaßnahme", sagt Judith Heepe, "um eine Entlastung zu schaffen und damit natürlich auch die aktuellen Arbeitsbedingungen besser zu gestalten. Aber sie kann nicht ersetzen, grundlegende Maßnahmen, um den Beruf attraktiver zu gestalten, die da sind: mehr Karriereoptionen, gehaltsrelevante Karriereoptionen. Und sie entbindet uns auch nicht von der Verpflichtung, dass wir in Richtung Digitalisierung mehr machen. Und, dass man deutlich mehr in Ausbildung investieren muss."
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren Ende 2018 rund 40.000 Pflegestellen nicht besetzt. Es dauere momentan bis zu einem halben Jahr, um eine offene Stellen zu besetzen, sagt Andreas Westerfellhaus, der Pflegebeauftragte der Bundesregierung. Die Große Koalition habe deshalb Abkommen mit verschiedenen Ländern abgeschlossen, die eine verstärkte Zuwanderung von Pflegefachkräften aus dem Ausland fördern sollen.
"Also, wenn man sich vorstellt, dass immer weniger Pflegekräfte, immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit leisten müssen, dann sprechen wir von Arbeitszeitverdichtung", erklärt der Pflegebeauftragte. "Und die hat eine Dimension erfahren, wo Menschen krank werden, sie werden überfordert, sie steigen aus, sie gehen möglicherweise in die Teilzeit oder ganz aus dem Beruf oder da wo es geht in Deutschland auch in die Nachbarstaaten. Und diese Spirale gilt es zu stoppen. Das funktioniert nur durch mehr Kollegen."

Anwerbeabkommen und ein Einwanderungsgesetz

Seit 2012 hat die Bundesregierung Anwerbeabkommen mit Vietnam, China, Mexiko und Brasilien abgeschlossen. Außerdem versucht die Bundesagentur für Arbeit Fachkräfte aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, den Philippinen und Tunesien anzuwerben. Anfang Juli 2019 hat das Gesundheitsministerium zusätzlich ein Abkommen mit dem Kosovo unterzeichnet. 1000 Pflegekräfte sollen pro Jahr von dort nach Deutschland kommen. Trotz der Bemühungen laufen die deutschen Anwerbeversuche schleppend.
"In der Analyse ist herausgekommen", sagt Andreas Westerfellhaus, "viel zu viel Bürokratie in 16 Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Berufsanerkennungsverfahren dauern manchmal bis zu 16 oder 18 Monate. Das ist einfach viel zu lange, Die Anforderungen, die dann gestellt werden sind sehr unterschiedlich. Die Visaerteilung dauert viel zu lange, da setzen wir übrigens auch die Hoffnung, dass das Fachkräftezuwanderungsgesetz uns hier Erleichterung verschafft. Das ist das, was die Bundesregierung jetzt in den Gesprächen mit den Trägern erkannt hat und wo sie sagt: Das ist unser Teil, den wir dabei leisten können."
Anfang Juni 2019 hat der Bundestag ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen, mit dem ausländischen Facharbeitern die Einreise und das Arbeiten in Deutschland erleichtert werden soll. Zwar ist weiterhin nicht vorgesehen, dass Geflüchtete, die einen Arbeitsplatz haben, aber in Deutschland nur geduldet sind, eine langfristige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Pflegekräfte aus dem Ausland sollen aber leichter einreisen können, um eine Stelle zu suchen.

Pflegekräfte mit ganz neuen Aufgaben konfrontiert

Bei der Integration in den deutschen Pflegealltag gibt es allerdings, einige Herausforderungen zu meistern, erklärt die Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur der Universität Frankfurt am Main, Christa Larsen:
"Also die Pflege im Ausland übernimmt überwiegend steuernde Tätigkeiten, während in Deutschland die Pflege sehr umfassend tätig wird und eben auch Betten macht oder unterstützt beim Füttern von Patienten und durch die unterschiedlichen Zuschnitte kommt es dazu, dass die Fachkräfte aus dem Ausland sich mit ganz neuen Aufgaben konfrontiert sehen. Dadurch entstehen Konflikte."
Eine Altenpflegerin begleitet eine ältere Frau mit dem Rollator durch den Flur eines Pflegeheims.
Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor.© picture alliance / dpa / Christoph Schmidt
Unterschiedliche Ausbildungssysteme im Ausland und in Deutschland führen laut einer von Christa Larsen und weiteren Wissenschaftlern durchgeführten Studie (Kurzfassung der Studie) zu Missverständnissen. Pflegerische Tätigkeiten wie das Füttern und Waschen von Patienten, übernehmen im Ausland oft Pflegehelfer, während Pflegefachkräfte Aufgaben übernehmen, die in Deutschland von Ärzten ausgeführt werden. Das kann zu Schwierigkeiten führen.
Ausländische Pflegekräfte fühlten sich in Deutschland oftmals nicht ausreichend wertgeschätzt, meint Yvonne Falckner, examinierte Krankenschwester aus Berlin. Ich treffe sie in einer Hotel-Lobby in Berlin-Mitte.
"Also zum Teil werden Pflegekräfte aus dem Ausland auch ausgenutzt", erzählt Yvonne Falckner. "Sie werden zum Beispiel oft angerufen, dass sie einzuspringen haben. Oder es sieht folgendermaßen aus, dass sie Schule haben vormittags und dann noch in den Spätdienst müssen. Und das ist natürlich extrem belastend. Das ist mit wenig Freizeit verbunden, dieses Ankommen."

Mangelnde Wertschätzung und geringe Bezahlung

Eine hohe Arbeitsbelastung, geringe Bezahlung und mangelnde Wertschätzung führten dazu, dass sowohl ausländische als auch deutsche Pflegekräfte Deutschland verlassen und beispielsweise in die Schweiz gehen, sagt Yvonne Falckner. Sowohl die Pflegedirektorin der Charité Judith Heepe als auch der Pflegebeauftragte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus stimmen zu: Damit mehr Menschen aus dem In- und Ausland in Deutschland in der Pflege arbeiten möchten, müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Sidorela Gjini aus Albanien will in Deutschland bleiben und sich hier eine Zukunft aufbauen. Ihr großer Wunsch ist, dass ihr Master-Abschluss in Deutschland anerkannt wird und sie im Gesundheitssektor Karriere machen kann.
"Wenn ich hier angefangen habe, von null an zu investieren, dann habe ich mich auch hier eingewöhnt. Und dann ich fühle mich hier wie in meinem zweiten Haus."
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