Fachanwalt plädiert für Bürgerbeteiligung bei Großprojekten

Franz Günter Siebeck im Gespräch mit Nana Brink |
Franz Günter Siebeck, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in München, sieht nur eine begrenzte Möglichkeit für Bürger, ungeliebte Großprojekte zu stoppen oder Einfluss auf Details zu nehmen. Es sei "frustrierend", dass Planordnungsverfahren in Bezug auf Standort und Trasse im Grunde genommen eine Farce seien, sagte Siebeck.
Nana Brink: Der Bürger hat sich letztes Jahr lautstark zu Wort gemeldet. Ich sage nur "Stuttgart 21”. Auch die Proteste rund um den neuen Großflughafen in Berlin-Schönefeld haben sich daran ein Beispiel genommen. Offenbar hat "Stuttgart 21” auch das Innenministerium auf den Plan gerufen, denn Innenminister de Maizière will die Bürgerbeteiligung bei Bauprojekten, wie er kürzlich gefordert hat, anders organisieren, manche sagen auch einschränken. Die Frage ist nun: Protest hin oder her, können die Bürger wirklich etwas ändern, wenn die Planungen solcher Großprojekte politisch durchgesetzt sind?
Am Telefon ist jetzt Franz Günter Siebeck, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in München. Einen schönen guten Morgen, Herr Siebeck!

Franz Günter Siebeck: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Sie vertreten seit 40 Jahren die Interessen von Bürgern und Kommunen. Können Bürger Großprojekte überhaupt stoppen?

Siebeck: Manchmal schon, aber meist eben auch nicht. Und vor allen Dingen, sie können gegen die Standorte und gegen die Trassenführung praktisch wenig ausrichten, wenn die vorher von der Politik, sagen wir mal, festgelegt sind.

Brink: Dann nehmen wir doch ein konkretes Beispiel. Sie sind derzeit auch mit dem Flughafen Schönefeld beschäftigt. Das soll der neue Großflughafen hier in Berlin werden.

Siebeck: Ja, seit Jahren.

Brink: Viele Bewohner befürchten eine zu hohe Lärmbelastung. Wie sehen Sie das?

Siebeck: Hier in Berlin war es doch so: Es hat 1994 ein standortvergleichendes Raumordnungsverfahren gegeben und da waren zwei Standorte sehr gut geeignet und Schönefeld war absolut ungeeignet. Dann kamen drei Politiker, der damalige Verkehrsminister Wissmann, der damalige Regierende Bürgermeister Diepgen und der damalige Minister Stolpe, und haben einen sogenannten Konsensbeschluss 1996 gefasst und gesagt, das interessiert uns nicht, der Flughafen kommt nach Schönefeld. Das, meine ich, ist eine politische Entscheidung gewesen, die mit keiner Sachfrage irgendwie zu begründen war.

Brink: Das klingt aber sehr frustrierend!

Siebeck: Ja, das ist auch frustrierend. Schauen Sie, am 20. Dezember letzten Jahres hat der Herr Wowereit ein Interview in der "Berliner Zeitung" gegeben, wo er ziemlich klipp und klar gesagt hat, als er das Amt und auch den Aufsichtsratsvorsitz 2001 übernommen hat, da hat man schon gewusst, dass das der falsche Standort war, aber da seien die Dinge halt so festgezurrt gewesen, dass man gar nichts mehr hätte machen können.

Brink: Sind dann Planfeststellungsverfahren Ihrer Meinung nach eine Farce?

Siebeck: Ich will mal so sagen: Was den Standort und die Trasse betrifft, der Sache nach im Grunde genommen schon. Das hat – wann war das? – 2007 der damalige Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Dr. Hien, in einem Vortrag mal gesagt, das gibt es auch schriftlich, bezogen auf eine Autobahn: Außer ein paar zusätzlichen Otterndurchlässe kann man da eigentlich praktisch nicht viel gewinnen.

Brink: Der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat ja zu "Stuttgart 21" gesagt, die Verfahren von Planfeststellungen von Großprojekten sind viel zu komplex, um sie dem Bürger eigentlich zu vermitteln. Liegt er damit richtig?

Siebeck: Da liegt er, mit Verlaub, absolut falsch. Das habe ich ihm auch geschrieben, weil ich mich über diese Bemerkung sehr geärgert habe. Die Bürger sind durchaus intelligent und sachkundig genug, um diese Grundsatzfragen zu begreifen. Die begreifen sehr wohl, wenn die Raumordnungsbehörden zwei Standorte für gut befinden aus 20 verschiedenen Kriterien, und dann kommen drei Politiker, die von der Sache her keine Ahnung haben, und sagen, basta, wir machen es aber dahin. Das versteht der Bürger schon.

Brink: Hat er Ihnen geantwortet?

Siebeck: Ja, höflichkeitshalber hat er geantwortet.

Brink: Aber nicht in der sachlichen Frage. Nun würde mich interessieren: Wie kommen wir denn da heraus? Zum Beispiel in Braunschweig sehen wir ja gerade: dort wird ein Stadion umgebaut, dort gibt es eine sehr breite Bürgerbeteiligung. Also könnte man ja sagen, es geht ja doch.

Siebeck: Es geht ja auch manchmal, aber ich meine, bei diesen großen Vorhaben, auch die jetzt da auf uns zukommen mit den Energieleitungen und ähnlichen Geschichten, müsste der erste Schritt wie seinerzeit in Brandenburg ein standortvergleichendes Verfahren sein, an dem aber die Bürger zu beteiligen wären, und die mit einem verbindlichen, meinetwegen auch gerichtlich anfechtbaren Ergebnis ändern. Das könnte man vor der Planfeststellung, vor die Klammer ziehen. Dann hat man den Standort fest und dann kommt mir bitte kein Politiker und sagt, nein, ich mag das aber da und dahin haben, sondern das ist dann aus sachlichen Gesichtspunkten. Und vor diesem Zeitpunkt – das ist mir ganz wichtig, sowohl was "Stuttgart 21" betrifft wie auch viele andere Objekte, zum Beispiel auch Schönefeld – müssten Investitionen in größerem Umfang und die Bindung an Planungs- und Bauaufträge unzulässig sein.

Brink: Das war ja auch eine der Erkenntnisse von "Stuttgart 21". Vermittler Heiner Geißler, der ja gesagt hat, die Planfeststellungsverfahren müssten erst in Sack und Tüten sein, bevor Verträge geschlossen werden, also nicht so, wie es die Bahn gemacht hat.

Siebeck: Hier ist es doch überall genau umgekehrt. Man macht – und das ist ja kein Versehen, dass das umgekehrt ist, sondern das macht man ja ganz gezielt; das hat ja auch der Herr Dürr im Zusammenhang mit diesen Bahnprojekten gesagt – das macht man ganz gezielt, diese Verträge, Werkverträge. Der normale Bürger weiß das vielleicht gar nicht. wenn Sie einen Werkvertrag schließen für ein Projekt, was Sie hinterher nicht durchführen dürfen, den Gewinn, den entgangenen, den müssen Sie dem Unternehmer immer zahlen. Millionen können das sein. Das ist diese wirtschaftliche Festlegung, die man vorher hat, wo man dann sieht, wie der Herr Wowereit sagt, 2001 war da aus solchen Gründen eben schon an Schönefeld nichts mehr zu machen.

Brink: Abschließende Frage: Wo stehen wir denn europäisch, was die Mitbestimmung der Bürger an solchen Großprojekten angeht?

Siebeck: In Deutschland, wo wir da im europäischen Vergleich stehen? Ich habe das nicht selber untersucht, aber in dem Vortrag vom Herrn Hien, der ja als Präsident des Bundesverwaltungsgerichts da einen Überblick hat, der hat damals – das war eine Fachtagung für Verwaltungsjuristen – uns gesagt, wir stehen da ziemlich schlecht im europäischen Vergleich.

Brink: Würden Sie dann die Bürger weiterhin aufrufen, mutig zu demonstrieren, um etwas zu verhindern, oder sich schon im Vorfeld besser zu interessieren?

Siebeck: Das würde ich unbedingt, denn es gibt immerhin eine ganze Reihe Objekte, wo allein der Widerstand dann so viel Zeit gekostet hat, dass der Betreiber, oder vielleicht auch die Politik eingesehen hat, dass es Unfug ist. Zum Beispiel in Wackersdorf habe ich das erlebt. Da hat dann der Herr Bennigsen-Foerde von RWE gesagt, wir steigen aus, das wird nichts, und dann war es auch nichts.

Brink: Franz Günter Siebeck, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in München. Schönen Dank für das Gespräch.

Siebeck: Bitte sehr! Auf Wiederschauen.