"Ich versuche zu staunen"
Der Schauspieler Fabian Hinrichs ist dieses Jahr alleiniger Juror des Alfred-Kerr-Darstellerpreises, der während des Berliner Theatertreffens verliehen wird. Wir haben mit ihm über Eitelkeit bei Schauspielern, gute Inszenierungen und sein nebenberufliches Studium gesprochen.
Susanne Burkhardt: Schönen guten Tag, Fabian Hinrichs!
Fabian Hinrichs: Guten Tag, ich grüße Sie!
Burkhardt: Sie selbst wurden 2012 mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis ausgezeichnet für Ihre Rolle in Polleschs Volksbühnenproduktion "Kill your Darlings! Streets of Berladelphia". Damals hat Nina Hoss Sie nominiert und Sie waren 37 Jahre alt – ist das bei Schauspielern auch so wie bei uns Journalisten, dass der Nachwuchsbegriff sehr dehnbar ist?
Hinrichs: Offensichtlich. Aber ich weiß nicht genau, in der Begründung hieß es ja, dass ich noch so ein Versprechen sei, was hoffentlich nicht abwertend gemeint war für alle anderen, die älter sind und dann wohl kein Versprechen mehr sind. Deswegen, ich habe mich da sehr gefreut. Es gibt wohl Vorgaben, aber wie strikt die sind, weiß ich nicht genau.
Burkhardt: In der Begründung damals hieß es auch: ein Mensch mit Haltung, einem Selbstverständnis, der sich ganz meiner Einordnung entzieht, der mit dem Publikum in bemerkenswerter Leichtigkeit und Selbstsicherheit spielt und dabei gänzlich uneitel bleibe. Haben Sie sich darin wiedererkannt?
Theaterkritik erfasst oft weder Atmosphäre noch Raum
Hinrichs: Ja, das ist ja mit auch sehr wohlwollenden Zuschreibungen immer so eine Sache. Ich denke, man läuft ja sowieso immer dissoziativ mit seiner Identität durch die Welt und gleichzeitig gilt für mich immer der Satz von Nietzsche: Nur wer mich liebt, darf mich kritisieren. Das heißt, ein Wohlwollen ist immer Voraussetzung dafür, aber ob ich mich da jetzt wiederfinde – es ist sowieso mit diesen Beschreibungen ist es ja immer so eine Sache. Kunst kann man ja nicht verstehen, das ist immer dieses Missverständnis, dass irgendwelche Sinnzuschreibungen kommen. Auch bei Theaterkritik ist es oft so, dass weder Atmosphäre, Raum – ganz selten werden diese Ebenen überhaupt erfasst und sei es auch nur, dass man beschreibt, dass man sie gar nicht erfassen kann. Aber ganz oft sind es einfach die Handlung, der ganze prosaische Inhalt und so weiter. Das ist oft ein Mangel, deswegen kann man sowieso keine Sinnzuschreibung abgeben über jemanden, der auf der Bühne steht.
Burkhardt: Und kann, was ja auch in der Zuschreibung stand, gänzlich uneitel zu bleiben, was Nina Hoss Ihnen da zuschrieb, ein Schauspieler muss doch eitel sein, der auf die Bühne geht, oder nicht?
Bedürftige Extrovertiertheit trifft auf mangelnde Intelligenz
Hinrichs: Also Brandauer hat das mal so schön gesagt, warum sind es die Schauspieler, die dieses Paket wieder tragen? Das meinte er bezogen auf die #metoo-Debatte. Oft sind es die Schauspieler, die dieses Paket der Eitelkeit tragen. Nun muss man aber auch sagen, dass sich in dem Beruf des Schauspielers oft Leute sich den erwählen, weil sie einen gewissen Mangel haben – das ist jetzt meine Deutung – und weil sie grundsätzlich erkannt werden wollen als Mensch. Nicht auf der Straße, sondern als Mensch. Wenn sich das paart, also so eine gewisse bedürftige Extrovertiertheit sich paart mit einer unterdurchschnittlichen Intelligenz, dann gibt es oft eine sehr ungute Mischung, die aber umso lauter und umso deutlicher hervordringt in die Öffentlichkeit. Das ist oft das Ungute, das ist ja wie bei Sportlern oder so.
Ich meine, wenn wir hier darüber reden, ist der Schauspielberuf ein sehr gefährdeter Beruf. Wenn beim Theatertreffen vor zwei Jahren über die Arbeit des Schauspielers gesprochen wird auf einem Podium, und es ist nicht ein Schauspieler eingeladen, sondern Regisseure, dann ist das schon eine Machtverschiebung, die in den letzten 50, 60 Jahren vor sich ging, die vielleicht gar nicht mehr umzukehren ist, aber was natürlich wünschenswert wäre. Dazu gehört aber auch, deswegen hat das schon einen Bezug zu Ihrer Frage, dass die Schauspieler eigenverantwortlicher werden und sich mehr Wissen aneignen und nicht nur die Schauspielerei, sondern in mehreren Welten zu Hause sind. Das heißt, dass sie mündiger werden, es gar keiner Regie mehr bedarf, sondern eines Autors, also das wäre die richtige Entwicklung. Leider geht es genau in die andere Richtung, dass sie willfähriges Werkzeug von narzisstisch schwer belasteten Menschen sind, die inszenieren. Gäbe es halt kräftige Autoren, dann hätten wir dieses Problem gar nicht, dann gäbe es einen Autor und man würde es einfach selber machen.
Frei nach Bacon: Das Problem ist nicht der erste Pinselstrich
Burkhardt: Okay, aber es gibt ja ein paar von diesen Autoren, zum Teil haben Sie mit denen gearbeitet, René Pollesch ist einer davon. Jetzt interessiert mich, Sie sind jetzt selber Juror, entscheiden also darüber, wer von den jungen Schauspielern oder Nachwuchsschauspielern beim Theatertreffen, die dort zu sehen sind, wer den Alfred-Kerr-Preis dann bekommt. Bereiten Sie sich darauf vor, googeln Sie die erst mal vorher, was haben die bis jetzt so gemacht, oder gehen Sie völlig unvoreingenommen in die Vorstellung, gucken sich das an und entscheiden dann spontan?
Hinrichs: Ich versuche, da fällt mir auch ein Satz von Francis Bacon ein, der hat mal gesagt, sinngemäß, ich kann es nicht mehr genau: Also das Problem sei nicht der erste Pinselstrich auf der weißen Leinwand, sondern die Leinwand erst mal zu reinigen von allen, allen Klischees. Und ich versuche auch, da reinzugehen – also vielleicht über das Stück lese ich noch mal ein bisschen was und so, wenn es ein Stück gibt. Aber ich möchte mich nicht vorher über das Ensemble oder so informieren.
Ich versuche da zu staunen und ich möchte mich selber frei machen – das ist natürlich eine Bewertung – aber von diesem ständigen Daumen rauf und Daumen runter, mit dem wir überall die ganze Zeit zu tun haben. Dieser Evaluierungswahnsinn, von dem möchte ich mich etwas frei machen, sondern einfach da sitzen. Das war auch übrigens ein Grund, warum ich das angenommen habe, weil ich mal wieder schauen wollte, was so los ist.
"Ich gehe nicht viel ins Theater"
Burkhardt: Gehen Sie sonst gerne ins Theater oder oft?
Hinrichs: Nee, kann ich nicht behaupten. Ich geh nicht viel ins Theater, aber ich denke trotzdem, dass ich nicht viel verpasse. Das meine ich nicht zynisch, sondern, ich denke, das Wichtige bekomme ich irgendwie mit. Aber oftmals ertrage ich es ganz schwer, also ich liebe es und ich kann es ganz schwer ertragen oft, weil ich dann einen relativ engen Geschmackshorizont hab.
Burkhardt: Kann man Sie derzeit überhaupt auf der Bühne sehen?
Hinrichs: Ja, ich mache vielleicht bald mal wieder selber ein Stück, ich bereite mit René wieder was vor …
Burkhardt: … mit René Pollesch.
Hinrichs: Genau. Ich finde nicht, dass das nicht, es nicht geben soll, dass man zum Beispiel Onkel Wanja inszeniert, warum nicht? Das finde ich nicht falsch, nur oft fühle ich mich da trotzdem nicht so zu Hause. Ich kann, also vieles geht mich nicht wirklich etwas an und deswegen bin ich da auch eng. Theater war nie, schon lange nicht meine ökonomische Basis …
Theater ist reine Liebhaberei im guten Sinne
Burkhardt: Das ist das Fernsehen dann …
Hinrichs: Ich hab Film und Fernsehen und kann da auch tolle Sachen machen, und Theater ist dann wirklich nur reine Liebhaberei im guten Sinne, also Leidenschaft. Ich möchte nicht Chef sein, ich möchte aber auch keinen Chef haben zum Beispiel. Ich brauche niemanden, der mir sagt, mach das mal lauter oder so, oder leiser. Ich möchte eine Partnerschaft und das ist selten, und dann hängt es von den Texten ab, also außer René Pollesch wüsste ich gar nicht, wer schreiben kann. Das ist wirklich sehr selten, dass mir Texte begegnen, die mich etwas angehen. Das ist das Grundproblem des zeitgenössischen Theaters, denke ich, dass die Autoren fehlen.
Burkhardt: Das sagt der Schauspieler Fabian Hinrichs. Er ist derzeit in allen Premieren des Berliner Theatertreffens zu finden, denn am Ende, am 21.05., entscheidet er, wer den Alfred-Kerr-Nachwuchsdarstellerpreis erhält. Sie sind auf der Bühne derzeit nicht zu finden, dafür aber im Fernsehen als Tatortkommissar in der Rolle des Felix Voss, in dem Film "Ich töte niemand" an der Seite von Dagmar Manzel als Ermittlerteam. Da sieht man eine ganz starke Nähe zwischen Ihnen und der Schauspielerin, das hatte fast was kammerspielartiges. Ist diese Nähe so einfacher vor der Kamera herzustellen?
Hinrichs: Ja und Nein, weil, Leidenschaft fürs Einfühlungsspiel habe ich schon, aber das, denke ich, ist im Film einfach viel besser aufgehoben. Ich bin immer Freund von diesem Ausdruck von Kant über Gefühlsgedanken, ich finde das muss das Theater, das muss eine gewisse Ebene der Abstraktion haben. Das sage wirklich nur ich für mich, das können andere wirklich, ganz – natürlich – ganz anders sehen. Das sehen ja auch sehr viele ganz anders. Für meine Meinung, das ist ein ganz einfacher Mechanismus. Man steht auf einer Bühne und es ist ein großer Raum. Da muss man ja, ob nun groß oder etwas größer, laut sprechen. Und allein dieses laute Sprechen, was ja auch oft dann versucht wurde zu kompensieren mit Mikroports – was ich furchtbar finde, das wäre wie die Oper mit Mikroports – weil die Stimme ja, die Stimme in diesem kultischen Raum Theater, das ist ganz, ganz wichtig.
Man muss sich auf der Bühne anschreien
Nun spricht man also lauter, wenn es nicht verstärkt ist mit Mikrofonierung. Und das alleine ist ja schon eine Verfremdung. Wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, ich begehre Sie, ich liebe Sie oder die Hecke muss geschnitten werden - wenn ich Ihnen das eigentlich intim mitteilen möchte und dann muss ich Sie halb anschreien, ist das ja eine absolute Verfremdung. Das heißt, die meisten naturalistischen Texte funktionieren so überhaupt nicht – meiner Meinung nach – auf jeden Fall für mich nicht als Zuschauer. Im Film hat man ja ganz andere Mittel zur Verfügung.
Das Merkwürdige ist ja, dass der Film eine so technische Erfindung, eine solche Künstlichkeit hat, dass da wieder Natürlichkeit durch absolute Künstlichkeit erzeugt wird. Das heißt, um Leute so abbilden zu können, wie sie ungefähr aussehen, oder die inneren Landschaften so abzubilden, also das was man erst mal nicht sieht, sondern was man nur spüren kann - dazu bedarf es eines riesigen technischen Apparates. Und dann entsteht so etwas, was Sie sagen, Kammerspiel.
Auf der Bühne ist das meiner Meinung nach so gut wie gar nicht herzustellen. Das heißt, man braucht eine ganz andere – meiner Meinung nach – Abstraktionsebene. Und das dann aber eben – das meinte ich eingangs mit der Entmachtung der Schauspieler – jetzt mittlerweile hinter Masken und mit Stimmen vom Band vorkommt. Das ist wie Romane, die über die Banalität des Alltags klagen, und einfach als Roman selbst nur banal sind. Wenn man die Leere und die Entindividualisierung der Gesellschaft und Entpersönlichung abbilden möchte, hilft es nicht, zehn Leute hinter Masken und vom Vocoder gesprochen zu zeigen.
Das Wilde und Unvorhergesehene
Das ist eine Entwicklung, die gab es ja schon im letzten Jahrhundert, Edward Craig hat ja gesagt, in der Kunst darf nichts zufällig sein. Diese ganzen Marionettengestalten, was letztendlich einfach nur Allmachtsfantasien von Regisseuren sind, die es in der bildenden Kunst nicht so recht geschafft haben. Eigentlich ist ja gerade das Wilde, das Unvorhersehbare in diesem durchweg rationalisierten und funktionalen Leben, gesellschaftlichen Leben, auch das ist ja der einzige utopische Gehalt von Kunst und eben auch von Theaterkunst. Das ist ja das Einzige, was noch da ist. Wenn man jetzt das auch noch wegradiert, was ist denn dann noch da? Also das finde ich ganz interessant, dass man das überhaupt nicht in der Rezeption fast gar nicht erkennt, dass da so unsauber gedacht wird, das sehe ich sehr kritisch und das macht mich auch etwas traurig.
Burkhardt: Also ich habe jetzt da rausgehört, dass Sie eine schwierige Liebesbeziehung zum Theater haben. Ist das der Grund dafür, dass Sie derzeit an einer Fernuni Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaften studieren?
Hinrichs: Ich finde es immer wichtig – eigentlich egal, was man macht, aber als Künstler sowieso –, dass man in mehreren Welten zu Hause ist. Und deswegen studiere ich, weil ich habe viel mehr Zugänge zu mir, zur Welt. Das wäre mir sonst zu stumpf, einfach so. Ich könnte übrigens auch als in dem, was ich im Theater zum Beispiel mache, gar nicht so – das kann man mögen oder nicht –, aber ich könnte das gar nicht so machen, wenn ich nicht lesen würde.
Burkhardt: Herr Hinrichs, Sie waren ab 2000 fünf Jahre im Ensemble der Berliner Volksbühne, später als Gast dort zu sehen. Haben Sie denn Hoffnung, dass jetzt, wo Chris Dercon weg ist, so erfolgreiche Stücke wie Polleschs "Kill your Darling!" zum Beispiel wieder dort im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz zu sehen sein könnten?
"Ich entscheide mich immer für die Hoffnung"
Hinrichs: Mein freundschaftlicher Bekannter Sepp Bierbichler hat mal gesagt: Was, du hast noch Hoffnung? Ich hab da so gelacht. Ich habe eigentlich... ich entscheide mich doch immer für die Hoffnung als Ausgleich zu sonstigen pessimistischen Gedanken, die ich den ganzen Tag habe. Deswegen hoffe ich schon, ich habe das jetzt wenig mitverfolgt, wer sich am Rande so bemerkbar macht. Ich hoffe, dass jetzt nicht so diese Diktatur des Mittelmaßes fortgeführt wird, sondern dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Ich würde mich natürlich immer für René Pollesch aussprechen. Man muss halt mit diesem Raum umgehen können. Es hilft nichts, wenn man ein kleineres Theater leitet und irgendwelche Gruppen einlädt. Das ist ein großer, fast archaischer Raum, der Fragen hat. Und die muss man irgendwie beantworten können. Mann muss schon da jemanden finden, der in mehreren Welten zu Hause ist.
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