Extremsport

Wo die wilden Kerle fliegen

Die Absprungstelle "High ultimate" im Schweizer Lauterbrunnental. Von der Rampe geht es 700 Meter in die Tiefe
Ein Basejumper stürzt sich in die Tiefe. © Georg Gruber
Von Georg Gruber · 19.09.2014
Das Lauterbrunnental, ein U-förmiges Tal mit Felswänden, die bis zu 700 Meter senkrecht in die Höhe ragen, ist ein Mekka für eine besonders gefährliche Extremsportart, dem Basejumpen. Die Sportler stürzen in die Tiefe und ziehen erst kurz vor dem Boden ihren Fallschirm. Jedes Jahr gibt es Tote.
Der 23-jährige Simon ist einer von ihnen – den Basejumpern. Ein schlanker junger Mann, in Jeans und weißem T-Shirt. Er holt seinen leuchtend grünen Fluganzug und den ordentlich verpackten Fallschirm aus seinem Rucksack.
"Das Basejumpen ist einfach das Ultimative. Für mich ist das Gefühl vom Fliegen, weil man fliegt mit dem Körper und das ist niemals mit was anderem vergleichbar für mich."
Der Blick hinab ins Lauterbrunnental lässt einen schwindeln, 700 Meter geht es senkrecht in die Tiefe, die Bauernhöfe haben nicht einmal mehr Spielzeuggröße.
Das Tal ist erfüllt von Wasserrauschen, wegen der zahlreichen Wasserfälle und der Lütschine, die durch das Tal fließt. Der Staubbachfall ist das Wahrzeichen des Tales, 300 Meter stürzt das Wasser in die Tiefe.
Doch Basejumpern wie Simon reicht es nicht zuzuschauen, wie das Wasser in die Tiefe stürzt. Sie stürzen sich selbst hinab. Rund 20.000 Sprünge jährlich sollen es inzwischen sein. Drei, vier oder fünf Basejumper sterben dabei jedes Jahr. Aber verbieten? "Nein, jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich, solange nicht andere zu Schaden kommen". Das sagen die meisten im Tal, der Gemeindepräsident, der Leiter des Tourismusbüros, auch Bruno Durrer, der Notarzt, der bei Bergunfällen die Toten und Verletzten bergen muss. Er hat seine Wohnung über der Praxis, ist 24 Stunden einsatzbereit:
"Unsere Bevölkerung, die lebt damit, dass man halt Unfälle haben kann, es gibt Lawinenunfälle im Winter, es gibt tödliche Skiunfälle auch, es gibt tödliche Gleitschirmunfälle, Riverraftingunfälle, unsere Bevölkerung ist an und für sich gewohnt, mit einem weltweitern Tourismus und mit Abenteuersportarten umzugehen."

Die Absprungstelle im Lauterbrunnental: Hier geht es rund 700 Meter in die Tiefe
Die Absprungstelle "high ultimate" im Lauterbrunnental: Hier geht es rund 700 Meter in die Tiefe© Georg Gruber
Ins Lauterbrunnental kommen die Basejumper aus aller Welt auch deswegen, weil die Absprungstellen so leicht zu erreichen sind, mit Gondel und Bergbahnen und kurzen Wanderungen.
Simon ist inzwischen in den Anzug geschlüpft, schultert den Fallschirm, prüft die Gurte. Das Risiko sei kalkulierbar, sagt er. Der Flug hinab ins Tal dauert nur 30 Sekunden:
"Der Moment vom freien Fall, der Moment, wo quasi die Erde weg ist, die ersten drei bis fünf Sekunden sind sehr speziell, weil wir nennen das die tote Luft, du bist zwar im Frei, du hast nix, aber du kannst miteinander reden, wenn du willst, also wenn du zu zweit springst, die paar Sekunden kannst du jetzt wie hier ganz normal mit einander reden, und du verstehst es auch. Und das Visuelle ist so, wenn man dem Boden näher kommt, und der groundflash ist da, es ist ein Gefühl, das kann man schlecht beschreiben, aber es ist schon ziemlich cool."
Simon geht auf die Absprungrampe, die von einer Felskante absteht, beschleunigt seine Schritte, springt, breitet die Arme aus, fliegt, fällt – und ist nicht mehr zu sehen.
Wo sie sich zu Tode stürzen
Es gibt nur wenige im Tal, die sich öffentlich kritisch über die Basejumper äußern. Einer von ihnen ist Christian von Almen, seine Familie lebt seit Generationen vom Tourismus. Er sitzt im Biergarten seines Ausflugslokales unter alten Kastanien und fürchtet um den Ruf des Lauterbrunnentales:
"Es muss schon zu denken geben, wenn man nicht mehr gefragt wird, ja wo ist jetzt der Wasserfall, wo Goethe das Gedicht 'Der Gesang der Geister über den Wassern' gedichtet hat, wenn man nicht gefragt wird, hören Sie, wie heißt der Berg dort hinten, oder wo geht der Wanderweg dorthin, wo finde ich den schönsten Ort. Das tut ein bisschen weh. Wo stürzen sich die wilden Kerle zu Tode? Das ist so quasi der Grundtenor."

Für manche endet der Sprung tödlich: Gedenkstein für verunglückten Basejumper im Lauterbrunnental
Für manche endet der Sprung tödlich: Gedenkstein für verunglückten Basejumper im Lauterbrunnental© Georg Gruber
Unten, an der Talstation der Gondel, stehen Touristen und Schaulustige und blicken nach oben:
"I think it's too dangerous."
"Schon ganz schön irre."
"Ich finde das faszinierend, es ist schon mutig, aber auch sehr gefährlich, das Risiko ist sehr hoch."
"Mais, c'est jolie à regarder."
"Die Kohle für die Beerdigung sollte man wenigstens in der Tasche haben, ja, nicht dass noch andere dafür aufkommen müssen."
"Crazy, very crazy."
"Ich glaube, wenn man so was macht, muss man ein bisschen verrückt sein, sonst geht es nicht."
"You just have one life."
"Die brauchen den Adrenalinkick."
Die Basejumper sind von hier aus so groß wie Streichhölzer, die durch die Luft segeln. Wenn sie nah an der Felswand entlangfliegen, kann man sie oft kaum erkennen, erst wenn sie weiter raus gleiten, sind sie gegen den Himmel leichter zu sehen. Und dann, wenn sie endlich den Fallschirm über der Wiese ziehen - etwa 100 Meter über der Erde.
Eine Frau: "Ich finde das spannend, weil sie Sport und die Schönheit der Natur alles in einem haben, und diese Auslotung von Grenzen, das ist einfach spannend und interessant zu sehen, wie das alle meistern, erfolgreich meistern."
Auch Simon ist sicher gelandet und zufrieden mit dem Flug:
"Super, war ein guter Sprung, bin weit gekommen und trotzdem noch hoch und sicher gezogen, also alles ist gut."
Sorgfältig faltet er seinen Fallschirm zusammen. Und macht sich auf, Richtung Gondel. Die ihn wieder nach oben bringt.

Programmhinweis: Das "Nachspiel" sendet am 21.9.2014 um 18:05 Uhr unter dem Titel "Der Tod fliegt mit" ein 30-minütiges Feature über Basejumping im Lauterbrunnental.

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