Extremismus-Prävention

Auf dem linken Auge blind?

Randalierer stehen vor einen Wasserwerfer der Polizei.
Wird in Deutschland genug gegen Linksextremismus getan? Ausschreitungen nach dem Schanzenfest in Hamburg am 5.09.2010. © dpa/Angelika Warmuth
Von David Donschen · 06.11.2017
Dass es Präventionsprojekte gegen Rechtsextremismus gibt, ist weitgehend unstrittig. Beim Linksextremismus sieht das anders aus: Während etwa Innenminister de Maizière mehr Projekte gegen Linksextremismus fordert, sehen andere hier keinen Bedarf. Eine Verharmlosung?
Welche Gefahr geht vom Linksextremismus aus? Geht es nach Hubertus Knabe, reicht ein Blick aus seinem Fenster, um diese Frage zu beantworten.
Von seinem Büro in Berlin-Hohenschönhausen aus schaut er auf eine graue Gefängnismauer samt Stacheldraht. Bis 1989 gehörte sie zum ehemaligen Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit. Heute ist die Anlage eine Gedenkstätte. Der Historiker Knabe leitet sie seit 2001.

Linke Gewalt ist nicht nur ein Problem der Vergangenheit

In den Zellentrakten des Stasi-Knastes wird Besuchern gezeigt, wie der sozialistische Staat mit seinen politischen Häftlingen umging. Isolationshaft, Schlafentzug, psychologische Zermürbung. Alles im Namen einer vermeintlich linken Ideologie.
Stasigefängnis in Berlin Hohenschönhausen
Zellen und Zellengang im Stasigefängnis in Berlin Hohenschönhausen.© imago/Rolf Kremming
Knabe wünscht sich, dass all das Mahnung für die jetzige Generation ist. Denn linke Gewalt ist für ihn nicht allein ein Problem der Vergangenheit:
"Wir sehen mit Sorge, dass die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten im Steigen begriffen ist. 2016 war das ein Plus von zehn Prozent. Und deswegen ist es glaube ich wichtig, darüber aufzuklären, wohin bestimmte Gedanken oder Politikkonzepte eigentlich führen. Und das kann man anhand der DDR ganz gut erklären."

Wird Linksextremismus verharmlost?

Aus der Vergangenheit lernen. Dafür hat Knabe in der Gedenkstätte vor sechs Jahren ein Präventionsprogramm gestartet. Thema: "Linksextremismus heute".
In drei Stunden sollen Schüler in Seminaren ein Bild davon bekommen, was linksextrem bedeutet. Mehr als 20.000 Jugendliche haben an den Workshops bereits teilgenommen.
Gezeigt bekommen sie unter anderem Zahlen des Innenministeriums. Aussage der Materialien: Es werden mehr Menschen durch linke Gewalt verletzt als durch rechte Täter.
Eine Botschaft, die bei den Seminarteilnehmern ankommt. So wie bei diesem Fachabiturienten aus Niedersachsen:
"Also, es ist schon ein großes Problem. Wie die Kriminalstatistik, die wir heute gesehen haben, schon gezeigt hat, ist die Gewaltanwendung auf beiden Seiten bei Links- und Rechtsextremismus fast gleich groß. Und gerade dadurch, dass dieses Phänomen vernachlässigt wird und von einigen Parteien auch verniedlicht wird, entsteht natürlich die Gefahr, dass es noch weiter zunimmt."

18 Projekte gegen Linksextremismus gefördert

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU, M) verlässt zusammen mit dem Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe (r), am 04.09.2017 nach seinem Besuch die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen in Berlin.
Innenminister de Maiziere besucht Stasi-Gedenkstätte© Bernd von Jutrczenka/dpa
Der niedersächsische Fachabiturient liegt damit ganz auf der Linie von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der war im September auf Wahlkampftour und machte Halt in der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Am Ende des Besuchs war für ihn klar: Mehr solcher Projekte gegen Linksextremismus müssen her.
Was de Maizière nicht erwähnte: Vor einigen Jahren hatte eine Parteifreundin bereits Ähnliches vor. 2010 legte die damalige CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ein eigenes Förderprogramm auf, das sich explizit gegen islamistischen und linken Extremismus richtete. 18 Projekte zum Thema Linksextremismus bekamen damals Geld vom Bund.
Drei Jahre später war es mit der Förderung dann aber schon wieder vorbei. Das Bundesfamilienministerium ging nach der der Wahl 2013 von der CDU an die SPD. Die neue SPD-Familienministerin Manuela Schwesig sah anders als Schröder keinen großflächigen Bedarf für die Arbeit gegen Linksextremismus.

"Eine klare Zäsur in der Prävention gegen Extremismus"

Das Projekt in der Gedenkstätte Hohenschönhausen war eines der wenigen, das überlebte. Auch unter Schwesig gab es Fördergelder. Trotzdem kritisiert Gedenkstättenleiter Knabe die ehemalige SPD-Ministerin:
"Die Amtsübernahme durch Frau Schwesig war eine klare Zäsur in der Prävention gegen Extremismus. Frau Schwesig hat damals bei irgendeiner öffentlichen Gelegenheit gesagt: 'Es gibt gar keinen Linksextremismus'. Und das ist sicherlich Unsinn."
Gestützt wurde Schwesigs Abkehr damals von einer wissenschaftlichen Auswertung. Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts stellten 2014 fest, dass "der Bedarf für einen flächendeckenden Programmbereich zur Prävention von Linksextremismus aktuell nicht gegeben ist".

Es gibt kaum Projektträger

Zugleich beschrieben die Forscher, dass es in dem von Kristina Schröder aufgelegten Bundesprogramm erhebliche Probleme gegeben hätte, überhaupt Projektträger für die Arbeit gegen Linksextremismus zu finden.
Viele der Träger hätten ein Problem mit dem Begriff "Linksextremismus" gehabt. Es sei nicht klar gewesen, wer oder was damit genau gemeint ist.
Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende, Manuela Schwesig, spricht am 25.06.2017 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) beim SPD-Sonderparteitag zum Beschluss des Wahlprogramms für die Bundestagswahl zu den Delegierten. 
Fuhr als Familienministerin die Linksextremismus-Prävention herunter: Manuela Schwesig, heute Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Auch das Projekt der Gedenkstätte Hohenschönhausen wurde 2014 vom Deutschen Jugendinstitut evaluiert. Die Wissenschaftler kritisierten unter anderem eine "einseitige Materialauswahl" in Hohenschönhausen.
Kritik, die Knabe nicht nachvollziehen kann. Er hält das Deutsche Jugendinstitut selbst für politisch befangen. Knabe ist sich sicher: Es brauche nicht weniger, sondern mehr Projekte gegen Linksextremismus.

"Es gibt einfach mehr Probleme von rechts als von links"

Sophia Oppermann ist da anderer Meinung. Oppermann ist Geschäftsführerin des Vereins "Gesicht zeigen", der seit 17 Jahren Bildungsarbeit gegen Rassismus macht.
Uwe-Karsten Heye, Vorstandsvorsitzender von "Gesicht Zeigen!", präsentiert die neue Plakatkampagne gegen wachsende rechte Gefahr
Uwe-Karsten Heye, Vorstandsvorsitzender von "Gesicht Zeigen!", präsentiert die neue Plakatkampagne gegen wachsende rechte Gefahr © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Für Oppermann ist ganz klar, warum es ein so deutliches Übergewicht an Projekten gegen Rechtsextremismus gibt:
"Es gibt halt auch meiner Ansicht nach mehr Probleme von rechts als von links. Also, ich glaube, die Todeszahlen sind mittlerweile bei, ich weiß es gar nicht genau 120, 130 Todesfälle rechtsextremer Gewalt seit der Wende und nicht linksextremer Gewalt. Und um das nochmal zu beantworten: Nein, ich glaube nicht, dass wir mehr Projekte im Bereich Präventionsarbeit gegen Linksextremismus brauchen."

Klaus Schröder plädiert für übergreifende Extremismusprävention

Für einen ganz anderen Weg in der Präventionsarbeit plädiert Professor Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin. Der Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat hält nichts von der Unterscheidung in Links und Rechts:
"Ich persönlich würde immer Extremismusprävention insgesamt nehmen und nicht zwischen links und rechts differenzieren. Sie haben etwas Gleiches. Sie bekämpfen nämlich beide das System. Was sie dann vorhaben, das ist was anderes. Und das kann man aber auch in der Präventionsarbeit herausarbeiten. Ich wiederhole: Ich würde Extremismusprävention betreiben. Die jungen Menschen dagegen versuchen zu impfen, dass sie extremismusanfällig werden, zu welcher Seite hin auch immer."
Mehr zum Thema