Exquisite Funktionalität

Von Michael Schornstheimer · 14.05.2007
Die Architekturschau Interbau sollte 1957 mit dem Westberliner Hansaviertel das neue, demokratische Deutschland repräsentieren. Das heutige Baudenkmal sollte in seiner Modernität in Abgrenzung zur Stalinallee in Ostberlin stehen. Die Akademie der Künste hat junge Künstler zur Ausstellung "die stadt von morgen" eingeladen, sich mit dem Jubiläum auseinanderzusetzen.
Die Reklametafeln im U-Bahnhof Hansaplatz sind abmontiert. Stattdessen hängen dort jetzt große Fotowände. Die Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen vereinzelte Ruinen und bereits leer geräumte, planierte Brachen; Baugruben und neu entstehende Wohnhäuser im Rohbau. Gebäude von dänischen, schwedischen und italienischen Architekten: von Luciano Baldessari, Arne Jacobsen und dem Brasilianer Oscar Niemeyer.

Die Interbau sollte 1957 das neue, demokratische Deutschland repräsentieren. International trat dieser Stil auf, in bewusster Abgrenzung zur neu entstandenen Stalinallee in Ost-Berlin. Ergänzt werden die historischen Fotos von Zitaten ihrer Bewohner.

"Nach meinem Einzug habe ich mich wie ein neuer Mensch gefühlt." Oder: "Wir konnten den ganzen Tag draußen spielen und riefen ab und an zur Mutter: Wirf mir mal ne Stulle runter!"

" In der Zwischenzeit weiß auch ich, was eine Stulle ist, " so Regula Lüscher. Die gebürtige Schweizerin ist seit März Berlins neue Senatsbaudirektorin für Stadtentwicklung. Am Wochenende hat sie den neu gestalteten U-Bahnhof und das Bürgerfest zum 50. Jahrstag der Bauausstellung eröffnet.

" Was ich auch ganz wunderschön finde, die Fotos mit diesen Sesselbahnen, wo man sieht, dass das wirklich eine Ausstellung war und man sich das von oben anschauen konnte (...) Und dann finde ich auch wunderschön die Fotos (...) wo man so sieht, wie sich zwei Architekten einander das Entstehen des Viertels erklären, das sind ja auch immer so bewegende Momente, wenn man dann das erste Mal auf die Baustelle geht und sieht, wie das langsam wird, und das dann auch einem Kollegen erzählen kann, welche Ideen auch damit verbunden sind. "

Mitten im grünen Hansaviertel liegt das Stammhaus der Akademie der Künste. Sie präsentiert keine historische Ausstellung, sondern hat ein Dutzend junger Künstler eingeladen, sich mit dem Jubiläum auseinanderzusetzen.

Die Ausstellungshalle wirkt auf den ersten Blick nahezu leer. Am Anfang steht recht unscheinbar eine matt verglaste Tür, hinter der man eine Reihe von Briefkästen ahnt. Doch zu öffnen ist sie nicht. Auf der Rückseite hat die Österreicherin Dorit Margreiter einen begehbaren Würfel hingestellt, in dem sie einen Film vorführt.

" Die Arbeit hat den Titel "Exquisite Function" und ist ein Versuch, die Architektur über die Interieurs zu definieren und zu beschreiben. Die Architekten, die für das Hansaviertel gebaut haben, sind bekannt dafür, dass sie sehr viele Entwürfe für Tische, Sessel, Möbel, Geschirr entworfen haben und dabei die Möbel auch so benutzt haben, dass sie Modellfunktion für die Architektur haben. "

Vor unseren Augen ziehen im Film Gläser, Vasen und Möbelstücke vorüber. Tonlos. Erst wenn man sich einen Kopfhörer überstülpt, hört man Dorit Margreiter vorlesen: Aussagen von Bewohnern, Zitate wie im U-Bahnhof:

" Wir wohnen im 12. Stock und das ist es, was ich am meisten mag, die Aussicht, ich mag es, so hoch über allem zu sein, dass mir beim Runtersehen schlecht wird. "

Eine andere Videoinstallation verwendet historische Aufnahmen von 1953. Sie dokumentieren den Abriss des kriegszerstörten Hansaviertels. Durch Überblendungen mit Aufnahmen von heute entstehen verblüffende Bilder.

Der Beitrag von Annette Kisling zeigt eine Serie von kleinen Farbfotos, auf denen man erkennt, dass das Hansaviertel an vielen Ecken in die Jahre gekommen ist. Der Putz bröckelt. Die Oberflächen zeigen Risse.

Nahezu leer wirkt die Ausstellungshalle auch deshalb, weil manche Exponate dort gar nicht stehen, sondern nur angekündigt werden. Um den Beitrag von Ute Richter wirklich zu sehen, muss man die Akademie der Künste verlassen, die nächste Straße überqueren, und eine Grünfläche betreten. Dort steht die Skulptur "2 Mütter mit Kindern" des Bildhauers Karl Schönherr. Entstanden ist sie 1970 für die Prager Straße in Dresden. Die Plastik im Stil des sozialistischen Realismus war in den letzten Jahren eingelagert. Die gebürtige Dresdnerin Ute Richter hat sie nun aus dem Magazin befreit und in Berlin ausstellen lassen.

" Dass man sich als Künstlerin eines anderen Kunstwerkes bedient, das hab ich noch nie gemacht. Ich arbeite oft mit Zitaten und diesmal war das so stark, das Bildzitat, dass ich gedacht hab, diese Skulptur, die untergestellt ist, (...) Die ganzen Ikonen der Ostmoderne werden sukzessive zurückgebaut, also abgerissen, und dieses Bild ist einfach frei geworden und damit man nicht in dieser Larmoyanz und diesem Modernevergleich wartet, und diesem Ost-West-Vergleich, ist einfach das Angebot, wir lassen das starke Bild reisen und gucken, was damit passiert."

An der gleichen Stelle befand sich zur Zeit der Bauausstellung die abstrakte Skulptur "Große Nike" von Bernhard Heiliger. Jetzt erregen die "2 Mütter mit Kindern" einiges Aufsehen, ergänzt die Kuratorin Christine Heidemann.

" Und das Faszinierende jetzt ist, die Skulptur steht hier mittlerweile seit einer Woche, und ich gehe hier täglich vorbei, fast immer steht hier jemand, guckt sich das an, lässt sich hier fotografieren, und ganz viele Leute sagen, oh, ist das schön, kann das nicht hier stehen bleiben, (...) es ist wie so ein Witz der Geschichte, dass das jetzt hier angekommen ist und als viel schöner empfunden wird, als das, was eigentlich fürs Hansaviertel geplant war."

Service:

Die Ausstellung "die stadt von morgen - Beiträge zu einer Archäologie des Hansaviertels Berlin" ist vom 16. Mai bis 15. Juli 2007 in der Berliner Akademie der Künste zu sehen.