Exportschlager Demokratie
„Angenommen, es werden freie und gleiche Wahlen abgehalten, und die Sieger sind Rassisten, Faschisten und Separatisten.“ So beschrieb der amerikanische Diplomat Richard Holbrooke das demokratische Dilemma im Jugoslawien der neunziger Jahre.
Doch Wahlen sind ein Risiko, das man minimieren kann. Robert Mugabe, der Diktator von Simbabwe, lässt gerade die Stimmzettel so lange auszählen, bis das Ergebnis stimmt. Wladimir Putin lässt die Kandidaten der Opposition gar nicht erst zur Wahl antreten. Und Kurt Beck geht dem Risiko gleich ganz aus dem Weg, und lehnt eine Abstimmung der SPD-Mitglieder über den nächsten Kanzlerkandidaten der Partei ab. Es könnte ja der Falsche gewinnen.
Wie immer hat Klaus Wowereit eine ganz eigene, vielleicht die leichtfertigste Methode, mit dem Risiko unkontrollierter Willensbildung beim Volk umzugehen: Berlins Regierender Bürgermeister lässt im Zuge eines Volksentscheids über die Zukunft des innerstädtischen Flughafens Tempelhof abstimmen. Und verkündet gleichzeitig, das Ergebnis der Abstimmung nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Sollte eine Mehrheit für den Erhalt des Flughafens stimmen, was wäre dann? Wowereit: „An den Argumenten Für oder Wider die Schließung von Tempelhof ändert das Zustandekommen eines Volksentscheides nichts.“ Das ist eine Mischung aus Mugabe und Beck.
Die Demokratie geht an ihrer Hybris zugrunde, meinte Thukydides, daran, dass sie sich nicht mehr an ihre eigenen Regeln hält. Vielleicht wollte die Europäische Union ihn deshalb so gern in der Präambel ihrer Verfassung zitieren. Doch daraus wurde nichts, und wieder lag es an denen, die falsch gestimmt hatten. Jetzt heißt die ehemalige Verfassung „Vertrag von Lissabon“, soll die Union demokratisch neu legitimieren, und wird gerade deshalb nur den Iren zur Abstimmung vorgelegt. In vier Wochen wird ihn das deutsche Parlament abnicken. Methode Beck, die Menschen stimmen beim Thema Europa schließlich nicht verantwortungsbewusst genug ab. Aber tun sie das je?
Vielleicht geht die Demokratie aber auch an ihrer Heuchelei zugrunde, an ihrer kurzfristigen, billigen Empörung. Wer die Olympischen Spiele nach Peking vergibt, hat sich mit den politischen Gegebenheiten dort doch längst arrangiert. Vor allem muss, wer sich entrüstet, wer gar von Boykott spricht, diesen sich auch leisten können. Redet endlich mit den Tibetern, lautet Angela Merkels moralisch lupenreine Botschaft an China, aber kauft uns bitte vorher noch den Transrapid ab. In Wahrheit wäre es uns am liebsten, Dalai Lama hin, Dalai Lama her, die Tibeter ließen uns endlich in Ruhe Geschäfte machen. Von einem China-Boykott halten Volkswagen und Adidas, kommerzielle Partner der Spiele, verständlicherweise denn auch gar nichts.
Oder die Demokratie geht an ihrer Wankelmütigkeit zugrunde, daran, dass die Volksvertreter mal für eine Agenda 2010 sind und mal dagegen, dass die fünf Parteien bald schon gar nicht mehr zu unterscheiden sind, dass sie wie CSU-Chef Erwin Huber die Wiedereinführung der Pendlerpauschale fordern, weil die eigene Wahl vor der Tür steht.
Oder an der Scheinheiligkeit. Dass ein rechtspopulistischer Politiker in Holland gegen die Muslime in seinem Land wettert, das gilt zwar als abstoßend und rassistisch, das müsse aber gesagt werden dürfen. In einer liberalen Demokratie müsse jeder soviel Meinungsfreiheit ertragen. Dass ein rechtspopulistischer Politiker in Deutschland keinen schwarzen Fußballspieler in der Nationalmannschaft mag, auch das ist abstoßend und rassistisch, aber nun nicht mehr Ausdruck von Meinungsfreiheit, sondern von Volksverhetzung. Erst im vergangenen Jahr übrigens scheiterte die deutsche Justizministerin Zypries bei dem Versuch, das deutsche Holocaust-Leugnungsverbot auf die Europäische Union auszuweiten.
So lange es noch nicht zugrunde gegangen ist, exportieren wir unser feines liberales, parlamentarisches, durch faire Wahlen legitimiertes politisches System. Demokratie-Export eben, zum Beispiel nach Afghanistan. Und was passiert, wenn die Afghanen im kommenden Jahr den westlichen Präsidenten Hamid Karsai ganz demokratisch aus dem Amt wählen und ein radikales Regime an die Macht bringen möchten? Wenn Holbrookes demokratisches Dilemma plötzlich in einem Land auftaucht, in dem die Bundeswehr steht? Helfen dann die deutschen Soldaten beim Stimmenzählen à la Mugabe? Oder greifen wir dann lieber auf die Methode des Berliner Regierenden Bürgermeisters zurück und ignorieren Volkes Willen?
Demokratien werden offenbar missionarisch, wenn ihre Institutionen längst in der Krise stecken, wenn die Hybris sie bereits befallen hat. Der Export ist Ausdruck des Mangels, nicht des Überflusses. Doch, wenn all die Becks und Wowereits und Merkels und Zypries und Hubers die Demokratie exportiert haben, von wo holen wir sie uns dann wieder zurück? Denkt auch jemand mal an Demokratie-Import?
Moritz Schuller, Journalist, geboren 1968 in München, in Berlin aufgewachsen, Studium der Altphilologie in Oxford und der Vergleichenden Literaturwissenschaften in Yale, dort Ph.D 1998. Freier Journalist bei der „Süddeutschen“, der „FAZ“ und der „Welt“, seit 2002 beim „Tagesspiegel“, heute als Verantwortlicher Redakteur Meinung/Politische Literatur.
Wie immer hat Klaus Wowereit eine ganz eigene, vielleicht die leichtfertigste Methode, mit dem Risiko unkontrollierter Willensbildung beim Volk umzugehen: Berlins Regierender Bürgermeister lässt im Zuge eines Volksentscheids über die Zukunft des innerstädtischen Flughafens Tempelhof abstimmen. Und verkündet gleichzeitig, das Ergebnis der Abstimmung nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Sollte eine Mehrheit für den Erhalt des Flughafens stimmen, was wäre dann? Wowereit: „An den Argumenten Für oder Wider die Schließung von Tempelhof ändert das Zustandekommen eines Volksentscheides nichts.“ Das ist eine Mischung aus Mugabe und Beck.
Die Demokratie geht an ihrer Hybris zugrunde, meinte Thukydides, daran, dass sie sich nicht mehr an ihre eigenen Regeln hält. Vielleicht wollte die Europäische Union ihn deshalb so gern in der Präambel ihrer Verfassung zitieren. Doch daraus wurde nichts, und wieder lag es an denen, die falsch gestimmt hatten. Jetzt heißt die ehemalige Verfassung „Vertrag von Lissabon“, soll die Union demokratisch neu legitimieren, und wird gerade deshalb nur den Iren zur Abstimmung vorgelegt. In vier Wochen wird ihn das deutsche Parlament abnicken. Methode Beck, die Menschen stimmen beim Thema Europa schließlich nicht verantwortungsbewusst genug ab. Aber tun sie das je?
Vielleicht geht die Demokratie aber auch an ihrer Heuchelei zugrunde, an ihrer kurzfristigen, billigen Empörung. Wer die Olympischen Spiele nach Peking vergibt, hat sich mit den politischen Gegebenheiten dort doch längst arrangiert. Vor allem muss, wer sich entrüstet, wer gar von Boykott spricht, diesen sich auch leisten können. Redet endlich mit den Tibetern, lautet Angela Merkels moralisch lupenreine Botschaft an China, aber kauft uns bitte vorher noch den Transrapid ab. In Wahrheit wäre es uns am liebsten, Dalai Lama hin, Dalai Lama her, die Tibeter ließen uns endlich in Ruhe Geschäfte machen. Von einem China-Boykott halten Volkswagen und Adidas, kommerzielle Partner der Spiele, verständlicherweise denn auch gar nichts.
Oder die Demokratie geht an ihrer Wankelmütigkeit zugrunde, daran, dass die Volksvertreter mal für eine Agenda 2010 sind und mal dagegen, dass die fünf Parteien bald schon gar nicht mehr zu unterscheiden sind, dass sie wie CSU-Chef Erwin Huber die Wiedereinführung der Pendlerpauschale fordern, weil die eigene Wahl vor der Tür steht.
Oder an der Scheinheiligkeit. Dass ein rechtspopulistischer Politiker in Holland gegen die Muslime in seinem Land wettert, das gilt zwar als abstoßend und rassistisch, das müsse aber gesagt werden dürfen. In einer liberalen Demokratie müsse jeder soviel Meinungsfreiheit ertragen. Dass ein rechtspopulistischer Politiker in Deutschland keinen schwarzen Fußballspieler in der Nationalmannschaft mag, auch das ist abstoßend und rassistisch, aber nun nicht mehr Ausdruck von Meinungsfreiheit, sondern von Volksverhetzung. Erst im vergangenen Jahr übrigens scheiterte die deutsche Justizministerin Zypries bei dem Versuch, das deutsche Holocaust-Leugnungsverbot auf die Europäische Union auszuweiten.
So lange es noch nicht zugrunde gegangen ist, exportieren wir unser feines liberales, parlamentarisches, durch faire Wahlen legitimiertes politisches System. Demokratie-Export eben, zum Beispiel nach Afghanistan. Und was passiert, wenn die Afghanen im kommenden Jahr den westlichen Präsidenten Hamid Karsai ganz demokratisch aus dem Amt wählen und ein radikales Regime an die Macht bringen möchten? Wenn Holbrookes demokratisches Dilemma plötzlich in einem Land auftaucht, in dem die Bundeswehr steht? Helfen dann die deutschen Soldaten beim Stimmenzählen à la Mugabe? Oder greifen wir dann lieber auf die Methode des Berliner Regierenden Bürgermeisters zurück und ignorieren Volkes Willen?
Demokratien werden offenbar missionarisch, wenn ihre Institutionen längst in der Krise stecken, wenn die Hybris sie bereits befallen hat. Der Export ist Ausdruck des Mangels, nicht des Überflusses. Doch, wenn all die Becks und Wowereits und Merkels und Zypries und Hubers die Demokratie exportiert haben, von wo holen wir sie uns dann wieder zurück? Denkt auch jemand mal an Demokratie-Import?
Moritz Schuller, Journalist, geboren 1968 in München, in Berlin aufgewachsen, Studium der Altphilologie in Oxford und der Vergleichenden Literaturwissenschaften in Yale, dort Ph.D 1998. Freier Journalist bei der „Süddeutschen“, der „FAZ“ und der „Welt“, seit 2002 beim „Tagesspiegel“, heute als Verantwortlicher Redakteur Meinung/Politische Literatur.

Moritz Schuller© Doris Spiekermann-Klaas