Explosion der Familie

Von Bettina Ritter |
"Explodiert" heißt das Werk, mit dem sich der 36-jährige Schweizer Andreas Liebmann beim diesjährigen Theatertreffen präsentiert. Darin geht es um eine Familie, die durch eine längere Reise der Mutter zerfällt.
"Ich höre gern immer dieselben Songs, das ist ganz gut."

"Beim Schreiben ist es oft so, dass ich einen Song habe, und der läuft dann stundenlang, der gleiche."

Amy Winehouse, das ist derzeit der Soundtrack zu Andreas Liebmanns Leben und Schreiben. Sie begleitet ihn, wenn er Tag für Tag am Laptop sitzt und an seinem dritten Theaterstück arbeitet. "Explodiert" heißt es und kommt demnächst als Buch heraus. Es geht um eine Familie, die durch eine längere Reise der Mutter zerfällt. Am Ende steht die wortwörtliche Explosion; die Menschen explodieren, scheinbar ohne Fremdeinwirkung. In seinen Stücken geht es um das Auseinanderbrechen der eigenen Welt und das Wieder-Zusammensetzen, erzählt Liebmann und rührt in einer Schale voll Milchkaffee.

"Das Sich-Auflösen und Sich-Wieder-Positionieren, das kommt immer wieder vor. Durch Unfälle oder zu viel Wahrnehmung, zu viel gehört, zu viel gesehen, oder durch eine Unsicherheit über sich selbst. Dass man gar nicht weiß, wer man ist, oder wo man ist."

Identitätsprobleme – das kennt Andreas Liebmann aus eigener Erfahrung. Der mittelgroße, jungenhafte Schweizer wird vor 36 Jahren in Zürich geboren, wächst dort behütet als jüngster Sohn einer Musiker- und Ärztefamilie auf. Eine Reise nach Bolivien konfrontiert ihn mit seiner Herkunft. Nie habe er sich so schweizerisch gefühlt, sagt er und schüttelt verwundert den blonden Kopf mit dem Drei-Tage-Bart.

"Da hab ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich mich als Schweizer fühle, und dass ich überhaupt nicht so ein Weltbürger bin, wie ich es gerne wäre. Ich bin erstmal im Umgang mit anderen nicht sehr konfrontativ oder ruppig, das teile ich mit sehr vielen Schweizern. Tendenziell sind die Deutschen offensiver, was ich auch mag. Das tut mir sehr gut, umgeben zu sein von Deutschen."

Seit mehr als neun Jahren ist Liebmann nun schon von Deutschen umgeben. Nach der Ausbildung zum Schauspieler in Zürich und einem ersten Engagement am Theater in Zwickau zieht er 1999 nach Berlin. Hier wohnt er in einer bescheidenen Zweier-WG im Arbeiter- und Migrantenviertel Neukölln. Ein guter Kontrast zum aufgeräumten, geordneten Zürich, wo er auch noch eine Wohnung hat, sagt Liebmann und zieht den Reißverschluss seines grau-weiß gestreiften Kapuzenpullis hoch.

"Zürich ist halt schön. Aber was ich an Berlin vor allem mag ist, dass es so ne Weite hat, dass es künstlerisch unglaublich breit ist. Ich finde, das Spektrum der Experimente ist viel größer. Und ich mag in Berlin, dass man die Geschichte so stark spürt und die ganzen Brüche und dass einfach ganz unterschiedliche Landschaften da sind."

Der Start in Berlin für Andreas Liebmann ist hart. In zwei freien Produktionen soll er eine Hauptrolle spielen. Beide Stücke werden kurz vor der Premiere abgesagt. Für ihn aber kein Grund aufzugeben.

"Also, ich hatte eigentlich nur mit scheiternden Projekten angefangen. Irgendwann gab es dann einen Schritt hin zu mehr eigenen Projekten, zu mehr Selbständigkeit, so dass es gar nicht mehr darauf ankommt, wer bietet mir jetzt irgend ne Rolle an oder so."

Liebmann gründet zusammen mit zwei anderen Schauspielern die Performance-Gruppe "Gaststube". Für das Trio schreibt er eigene Stücke. In ihnen geht es unter anderem um die permanente Veränderung der Lebensumstände und wie der Einzelne damit umgeht; ob er daran wächst oder zerbricht. Auch die großen Theater werden auf ihn aufmerksam. Das Schauspielhaus Zürich und die Berliner Schaubühne inszenieren zwei seiner Stücke. Für Liebmann ist es eine neue Erfahrung, seinen eigenen Text aus der Hand zu geben, aber durchaus eine positive.

"Wenn ich ihn abgebe, dann ist auch klar, dass das, was auf der Bühne stattfindet, nicht das ist, was ich erwarte. Das ist dann ja auch ein Genuss. Das ist dann ja auch was Schönes. Also, das ist dann ja nicht nur: Oh, der verhunzt mein Stück, das finde ich eh eine für mich nicht nachvollziehbare Haltung."

Für kommende Stücke arbeitet Liebmann daran, die lineare Erzählstruktur aufzubrechen. Das Leben laufe ja auch nicht linear und geordnet, sagt er und zeigt auf seinen Laptop. In einem Dialog, an dem er gerade schreibt, läuft ein einziger Satz von oben nach unten über die gesamte Seite. Zum Teil stehen nur einzelne Buchstaben in einer langen Reihe untereinander.

"Die Welt ist voll von Geräuschen, die sich nicht aufeinander beziehen, voll von Farben, die sich nicht aufeinander beziehen und voll von Handlungen, die gegenläufig sind. Und so ne Dramatik kann man nur herstellen, wenn man ne ganz bestimmte Lupe drauf macht. Aber man kann den Rahmen auch anders machen. Und dann gibt’s halt ne andere Form."

Von seiner Arbeit als Autor, Schauspieler und Performance-Künstler kann Liebmann inzwischen leben. Für ihn allein und seine zwei Zimmer in Berlin und Zürich reicht es. Eine eigene Familie hat er nicht, sagt er, dafür aber zwei Neffen und eine Nichte. Ansonsten brauche er keine Hobbys, meint er und fährt sich durch die kurzen, blonden Haare.

"Ich trenne das nicht so stark. Für mich ist auch Arbeit nicht richtig Arbeit, es ist nicht so anstrengend. Also, Kochen ist genauso anstrengend. Es klingt jetzt ein bisschen kokett, aber eigentlich möchte ich das Leben schon gerne so sehen."