Explosion aus Farben und Formen

Von Volkhard App |
In der Schau im Bonner Kunstmuseum sind Bilder vom globalen Leben, riesige Wandgemälde und Collagen des Künstlers Franz Ackermann zu sehen. Die Ausstellung präsentiert eine Fülle von Farb- und Formeinschübe.
Welche Farb- und Formexplosionen! Gegenständliche und ungegenständliche Motive hat Franz Ackermann in bunter, ornamentaler Pracht ineinandergeschachtelt, feine Linien gehen in knallige Flächen über und umgekehrt. Und zwischendurch noch kleine Fotofragmente.

Und wieder ist da der Wunsch, in diesen Bildern vom globalen Leben, in den riesigen Wandgemälden und Collagen lesen und die Zusammenhänge völlig entschlüsseln zu können. Es fehlt ja nicht an Wirklichkeitsbezügen: Hier sind Häuser angedeutet, abstrahierte Stadtpläne tauchen als Sprengsel auf, eine Flugzeugturbine verweist auf das Generalthema Reisen, auf eine Bildfläche wurde sogar eine Karte Südamerikas geklebt. Der unermüdlich durch Länder und Kontinente gereiste Künstler lässt zweifellos seine Erfahrungen durchscheinen. Und doch verstellt immer wieder eine Fülle von Farb- und Formeinschüben und Motivwechseln den direkten inhaltlichen Zugang. Stefan Gronert, Kurator der Bonner Ausstellung:

"Die Bilder sind Angebote für unterschiedliche Zugänge und Sichtweisen. Man wird nicht einen Einzigen finden, um ein Bild ‚lesen‘ zu können, sondern es gibt verschiedene. Und das ist die Stärke. Da stellt sich dann auch die Frage nach der Identität: der des Bildes und der des Betrachters."

Es drängt sich der Eindruck auf, als kämpften auf Ackermanns Bildern Elemente einer realistischen Malerei mit der Position einer autonomen, völlig abgeschotteten Kunst:

"Kann man durchaus sagen. Kampf klingt mir zu hart, aber es ist doch eine Auseinandersetzung, die nicht leicht konsumierbar ist. Es sind zwar schöne, verführerische Farben, aber das Formenspiel und auch das Bezugssystem dieser Bilder sind so vielfältig, dass sie für den Betrachter, sein Sehen und seinen Kopf, eine ständige Dynamik darstellen."

Seit den frühen Neunzigerjahren hält Ackermann seine auf Reisen gewonnenen Eindrücke zunächst auf Aquarellen fest – und beginnt damit oft schon vor Ort im Hotelzimmer. Es sind keine abbildhaften Skizzen, denn Ackermann kartografiert zugleich seine eigenen Befindlichkeiten, sodass diese poetisch verdichteten, kaum dechiffrierbaren Blätter zu Recht "mental maps" heißen. Sie sind mit ihrem Ideenreservoir die Keimzellen seiner Wandarbeiten und überbordenden Installationen. Eine 1:1-Abbildung von Reiseeindrücken finde bei ihm nun mal nicht statt, sagt Ackermann - was aber niemanden von der Bildbetrachtung abhalten soll:

"Es ist zwar teilweise überwuchernd und überfordernd, aber im Detail ist doch alles sehr kontrolliert und es ist ausformuliert, sodass das klassische Moment der Bildbetrachtung oder des Sehgenusses durchaus vorhanden ist."

Das Thema Reisen beschäftigt ihn im Spannungsfeld sozialer Gegensätze. Im ersten Raum des Bonner Kunstmuseums liegen Palmblätter, und er wirkt sogar wie eine Hotellounge an fernen Gestaden. Ein paar Räume weiter steht dagegen ein Käfig – vielleicht einer, in dem Migranten an einer europäischen Küste festgehalten wurden.

Eine Welt zwischen Luxustourismus und Flüchtlingstragödie. Man könnte den Künstler hier für einen dezidierten Gesellschaftskritiker halten, der gegen eine falsche Globalisierung antritt und gegen eine touristische Vermarktung kämpft, die eine Form des Kolonialismus ist und die mit dem Geld der besser Gestellten ferne Kulturen nivelliert. Ackermann:

"Kritik ist an der Stelle gar nicht so bedeutend, weil sich dieses Bewusstsein in den letzten zwei, drei Jahren bei uns allen massiv verschärft hat. Das heißt: Ich bin nach wie vor hier im Museum Künstler und ich versuche, bestimmte Phänomene - und dazu gehört der globale Tourismus - adäquat in meiner Bildwelt zu thematisieren und eben nicht die Augen zu verschließen vor negativen Randerscheinungen."

Er ist einer, der sich der Eindeutigkeit gerne entzieht: auch medial. Selten ist die Vielfalt seines Oeuvres derart vor Augen geführt worden wie in Bonn. Seine Bilder wirken dynamisch nicht nur durch Farbe und Form – in einigen Installationen rotieren die Gemälde auch, angetrieben durch Motoren. Urbane Fotos sind in die Collagen einbezogen, und da läuft separat ein Video über eine Busfahrt durch eine trostlose Gegend Südamerikas, in der jedes öffentliche Leben ausgestorben scheint.

Touristische Sehenswürdigkeiten werden vorgeführt und Reklameschriften an Fassaden in Tokio. Auch allmächtige Imperien wie "CNN" und "Google Earth" sind vertreten – als sollte der ganze Kosmos in die Ausstellungsräume geholt werden. Die Frage, was Ackermann denn nun eigentlich sei – Zeichner, Maler oder Installationskünstler – wirkt angesichts dieser geballten Medienvielfalt altertümlich:

"Ich glaube, dass ich dazu tendiere, diese Gattungsgrenzen aufzulösen, sodass diese Begrifflichkeiten, diese Nischen und dieses Spezialisieren zunehmend in Frage gestellt werden."

Ganz ungewohnt sind von diesem Künstler die puren geometrischen Formen, die fast schon eine Reminiszenz an Konzept-Kunst und Minimal Art darstellen. Aber auch dies ist nur eine Facette in seinem Werk. Eine Wand spielt auf Indien an, auf dem Boden liegen Decken aus dem Himalaya. Wie Ackermann überhaupt viele Gegenstände integriert, meist sind es schäbige Alltagsobjekte: Möbel aus entrümpelten Wohnungen oder auf dem Abfall gefundene Isolierwatte. Kurator Stefan Gronert:

"Es ist der Versuch, die Malerei, die vielfach in einem schöngeistigen Raum angesiedelt ist, wieder in Beziehung zu setzen zu unserer gesellschaftlichen Realität."

Noch immer werden Möbel herbeigeschafft, und Felgen wird man auch noch ins Museum liefern. Ackermann auszustellen, macht Mühe. In Bonn hat sie sich gelohnt, weil der Künstler hier mit all seinen Möglichkeiten präsentiert wird. Das ist eindrucksvoll, auch wenn er sich Festlegungen gerne entzieht und seine Form- und Farbexplosionen manchem Betrachter den Boden unter den Füßen wegreißen.