Experiment und Luxus

Von Katrin Schumacher · 07.04.2009
Dieser Mann ist absoluter Luxus. Denn Guillaume Paoli ist Hausphilosoph – ein Luxus und ein Experiment, das sich bisher nur eine Institution in Deutschland leistet: das Centraltheater in Leipzig. Dorthin zieht es den gebürtigen Korsen wöchentlich. Er pendelt zwischen Leipzig und Berlin, zur Stärkung der Verbindung von Theater und Philosophie.
Um ihn zu sehen, muss man hoch hinaus. Das Rangfoyer, ein lang gestreckter niedriger Raum, fast unterm Dach. Auf honigfarbenem Parkett stehen altrosa Samtbänke, ein grünes Sofa, eine kleine Bühne. Guillaume Paolis Arbeitsplatz. Jeden ersten Dienstag im Monat lädt der Hausphilosoph zum Diskutieren ein: zur "Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck".

"Ich sehe, dass Sie alle motiviert sind, das ist sehr schön - es ist angebracht, über Motivation zu sprechen."

Heute geht es also um Motivation. Der Gast, ein Hamburger Künstler, erzählt über seine Zeit als Manager in einem Wirtschaftsunternehmen. Die beiden Diskutanten sitzen wie auf dem Sprung, auf den Kanten ihrer samtenen Fauteuilles - hin und wieder unterbricht Guillaume Paoli, stellt Fragen, animiert das Publikum zum Mitreden.

"Das heißt, man möchte gerne, dass der Mensch sich so verhält - und das ist, glaube ich, das Entscheidende in diesem Prozess."

"Das Faszinierende ist, dass es überhaupt keinen Hausphilosophen in Deutschland gibt - im Ausland weiß ich nicht - das heißt also, das ist eine Tätigkeit, die ich selbst eigentlich gestalten und definieren muss. Das entspricht meiner Vorstellung der frei bestimmten Tätigkeit, wofür ich immer gesprochen habe – und natürlich: innerhalb einer Institution ist man dann viel effektiver als wenn man freier Autor ist, was mein Status war bis jetzt."

Zum ersten Mal in seinem Leben hat Guillaume Paoli, Jahrgang '59, einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Keine Stellenausschreibung gab es für den Posten des Hausphilosophen – nur einen Anruf vom Intendanten Sebastian Hartmann.

"Ich weiß, dass ich deshalb gewählt wurde, weil sie meine Schriften kannten, meine Ideen, meine Herangehensweise, sie wussten auch, dass ich mit Theater schon was zu tun gehabt habe, dass ich sozusagen bühnentauglich bin und nicht nur der schreibende Philosoph, der publikumsscheu ist."

In den Salons der Volksbühne in Berlin hat er jahrelang Lesungen veranstaltet – sein großes Thema der letzten Jahre: die Arbeit oder besser: die Nicht-Arbeit.

Prominent wurde er 1996 als Initiator der "Glücklichen Arbeitslosen". Paoli, der Vorzeige-Arbeitslose, wurde jahrelang zu jeder Veranstaltung eingeladen, die mit der Zukunft des Arbeitsmarktes zu tun hatte. Es artete, wie er sagt, in Arbeit aus.

Heute ist es nicht mehr nur die Arbeit, die ihn als philosophischer Inhalt beschäftigt – es sind die Themen, die auf der Straße liegen. So wie Glück, Demokratie, digitale Welten … Themen, zu denen er im Centraltheater an ganz verschiedenen Stellen Diskussionen anregt. Er legt kleine philosophische Feuer, mit Publikumsgesprächen, mit einem Blog auf der Internetseite des Theaters, genauso wie im Austausch mit Dramaturgen und Regisseuren.

"In Frankreich unterbrechen sich ständig die Leute - jemand fängt an, etwas zu sagen, jemand anders unterbricht das sofort. Und die Deutschen können das nicht, weil das Verb ganz hinten im Satz steht – das heißt, man muss warten, bis jemand fertig ist, um wieder zu sprechen. Deswegen sind die Diskussionen zwar nicht so unterhaltsam wie in Frankreich in Deutschland, haben aber dafür mehr Sinn ..."

Etwas, das ihm an Deutschland gefällt. Vor 17 Jahren hat es ihn nach Berlin verschlagen - seine Heimat aber nennt er immer noch Korsika.

Eine Insel, an die ihn der Geschmack von Kastanien erinnert, aus denen man dort Mehl, Crêpes und sogar Bier macht. Wärme, Sonne, Meer – wieso verlässt man Korsika?

"Es ist warm und schön, ja. Das reicht aber nicht, um zu überleben, sondern man muss dann für die Touristen arbeiten. Das sind ziemlich harte Bedingungen, es ist außerdem klein, bevölkerungsarm, und wenn man angefangen hat, in Städten zu leben, dann kann man nicht zurück, also ich auf jeden Fall nicht. Ich bin ein Stadtmensch."

Der Stadtmensch, er trinkt gerne chinesischen Tee und sieht auf lässige Weise aus der Zeit gefallen aus: Die längeren schwarzen Haare und Koteletten, das legere Hemd. Ja, und auch das: ein sehr charmanter französischer Akzent. Wenn er redet, lacht er viel, selbst wenn er laut nachdenkt, leuchten seine Augen. Humor, Ironie, die Hauptzutaten, wenn der knapp 50-Jährige schreibt oder spricht. Auch, wenn er von seinem Anfang in Berlin erzählt.

"Und ich war damals ein Exot – weil da waren so wenig Franzosen, besonders im Ostteil der Stadt war ich wirklich der Exot, es war ein angenehmes Gefühl wirklich, so exotisch zu sein …"

Anfang der 90er, da war er Anfang 30, hatte ein bisschen studiert, ohne Abschluss. Guillaume Paoli ist Philosoph ohne akademischen Hintergrund. Sein Denken ist unkonventionell - geistiges Aikido.

"Aikido ist ein Selbstverteidigungssport, wo man die Energie des Gegners nutzt. Also Sie schlagen mich und ich nehme diesen Schlag um den Gegner zu destabilisieren. Ich habe immer gedacht: das wäre etwas, was man auch auf die intellektuelle Ebene übertragen könnte. Einfach diese Kräfte, die auf uns zukommen, ein bisschen umzudrehen."

Hausphilosoph sein: für Guillaume Paoli im Moment noch ein Experiment, für das Publikum, das da mit ihm denken kann, ein schöner Luxus.