"Experiment Sozialismus: Rückkehr nach Kuba"

Die Revolution in Ehren halten - aber mit Freiheiten

09:59 Minuten
Fischer mit Booten im Meer
Die Fischer in Kuba müssen einen Großteil vom Fang an den Staat abgeben. Die Löhne sind nicht anreichend, um über die Runden zu kommen. © Jana Kaesdorf
Jana Kaesdorf im Gespräch mit Susanne Burg · 22.08.2020
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Ein Exilkubaner kehrt in seine Heimat zurück, um zu beobachten, wie sich das Land verändert hat. Davon erzählt Regisseurin Jana Kaesdorf in ihrem Dokumentarfilm "Experiment Sozialismus". Ihr geht es um ein authentisches Bild von Kuba.
Susanne Burg: "Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba" – das ist ein Dokumentarfilm von Jana Kaesdorf. Als Ich-Erzähler kehrt der Exilkubaner Arsenio, der als Kind in die USA geflohen ist, nun als Erwachsener in seine karibische Heimat zurück. Er reist durch sein Land und schaut sich an, was aus Kubas Planwirtschaft geworden ist. Wir reisen als Zuschauer mit durchs Land und treffen Bauern, Fischer und Akademiker, und sie erzählen von der politischen und wirtschaftlichen Situation. Frau Kaesdorf, was hat Sie überhaupt ursprünglich nach Kuba gezogen? Was hat Sie an dem Land interessiert?
Kaesdorf: Das ist ganz spannend gewesen für mich. Ich glaube, das war auch meine eigene Vergangenheit. Ich stamme aus dem Osten und war zwar noch Kind, als die Mauer gefallen ist, aber dennoch bin ich noch ein bisschen mit dem Sozialismus groß geworden. Ich hatte immer den Wunsch, das Ganze in Kuba noch mal richtig zu erspüren. Gleichzeitig ging davon auch eine Faszination aus – Che Guevara, Fidel Castro und so weiter. Ich wollte da hin und bin dann als Backpackerin vier Wochen unterwegs gewesen. Dort habe ich viele Gespräche mit den Leuten geführt und war fasziniert von dieser Mentalität.
Burg: Das war aber noch als Privatperson, Sie hatten noch kein Filmprojekt im Kopf, oder?
Kaesdorf: Genau, das war komplett privat. Als ich dann wiedergekommen bin, hatte ich immer den Gedanken im Kopf: Ich muss da was draus machen, ich muss das festhalten, diese Stimmung, die ich selber so erlebt habe.

Ein Exilkubaner erzählt

Burg: Und wie entstand dann die Idee für den Film?
Kaesdorf: Tatsächlich durch einen Freund, der mich immer wieder ein bisschen angestachelt hat: "Jana, mach doch was, du wolltest doch was machen, starte ein eigenes Projekt." Ich hatte tatsächlich ein bisschen Motivation von außen gehabt. Dann bin ich viel in Bibliotheken unterwegs gewesen, weil ich erst mal recherchiert habe: Wie war das mit der Geschichte, wie fing das alles an? So habe ich mich voll auf dieses Projekt eingelassen. Ich wollte nicht mit Archivmaterial arbeiten, aber um Kubas Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen. Das ist total wichtig. Also musste ich sie auch einbauen, um zu erklären, warum die ihren Sozialismus überhaupt behalten wollen.
So hatte ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich greife auf Archivmaterial zurück oder ich erzähle es komplett im Hier und Jetzt. Das fand ich viel spannender. Es musste aber auch eine Person her, die das Ganze erlebt. So kam dieser Gedanke eines Ich-Erzählers, der im Exil gelebt hat und beide Kulturen kennengelernt hat – die westliche und die kubanische, den Sozialismus. Das fand ich sehr spannend, das in eine Person zu packen und diese dann mit den Augen eines Erwachsenen durch Kuba zu schicken.

Reformen erlauben Privatbesitz

Burg: Sie waren dann 2016 zum Drehen da. Im Film sieht man, wie Sie mit Menschen reden – mit einem Reisbauern, einem Fischer, einer Journalistin, einem Revolutionär. Seit 2011, noch unter Fidel Castro, gibt es ja zaghafte Reformen: Kuba-Öffnung, die sogenannten Lineamentos. Wie gut funktionieren die?
Kaesdorf: Sie sind absolut ins Stocken geraten. Die Lineamentos wurden bereits 2011 eingeleitet, was man hier gar nicht so mitbekommen hat, wahrscheinlich auch, weil Kuba in einem ständigen Reformprozess ist – auch schon, als Castro noch an der Macht war. Diese offiziellen Lineamentos sind tatsächlich langsam vorangegangen, weil es Probleme gab: Venezuela, dann hat Trump in Amerika die Blockade wieder verschärft, es gab immer wieder Schwierigkeiten. Hurrikane haben den Staat viel Geld gekostet, sodass die Reformen wenig bis gar nicht angelaufen sind. Da haben auch die Ökonomen in Kuba ziemlich Alarm geschlagen und kritisiert, dass es schneller gehen muss.
Die Reformen wurden mittlerweile erweitertm Mit dem neuen Präsidenten habe ich erstmals das Gefühl, dass wirklich was passiert. Sie setzen an sehr vielen Stellen an: am Telekommunikationsgesetz, damit das Internet in Kuba schnell und vor allem kostengünstiger wird, die Agrarreformen, dann dass der Staat massiv Geld sparen muss und Leute aus dem Staatsdienst entlassen und sie aber auch in ein private Unternehmen überführt hat. Das ist jetzt offiziell erwünscht, erlaubt, dass Kubaner Privatbesitz haben dürfen, privat wirtschaften dürfen. Das ist sehr spannend. In den letzten Monaten passiert da wieder einiges.

Festhalten am Sozialismus - mit Lockerungen

Burg: Es wird ja trotzdem noch am Sozialismus festgehalten. Einige sagen, eine Aktualisierung des Wirtschaftssystems wird es nur mit dem Sozialismus geben. Wie verbreitet ist denn diese Meinung wirklich?
Menschenmenge am Verkaufsstand
Auf dem Markt in Camaguey kaufen die Kubaner staatlich subventionierte Lebensmittel.© Jana Kaesdorf
Kaesdorf: Ich war sehr überrascht, als wir dort gedreht haben, weil wir natürlich mit der älteren Generation gesprochen haben, die die Revolution zum Teil noch miterlebt hat. Die hängen sehr am Sozialismus, und die wissen auch, was ihre Vorfahren mit der Revolution erreicht haben. Das Spannende war, dass die neue Generation, also die Jugendlichen ihren Sozialismus genauso behalten wollen. So war der Tenor, so haben wir es wahrgenommen. Sie wollen aber Lockerungen, ganz klar. Sie wollen am Puls der Zeit sein, sie wollen reisen können, sie wollen im Internet surfen können wie jeder andere auch. Sie erkennen die Leistungen der alten Generation an, dass sie sich befreit haben - vom Terror, von der Machtherrschaft der Amerikaner, von diesem Monopol, was die Zuckerindustrie hatte, der ganze Export, von dem die Kubaner wenig abbekommen haben. Die Jugend hält ihre Geschichte in Ehren, und sie will den Sozialismus behalten – aber mit viel, viel mehr Freiheiten.
Burg: Sie haben gesagt, aus Ihrer persönlichen Biografie wollten Sie verstehen, wie der Sozialismus funktioniert. Nun funktioniert er anders als in osteuropäischen Ländern bis zum Fall der Mauer, bis zur Wende. Kuba ist jetzt zwar eine der letzten Bastionen des Sozialismus, aber inwieweit muss man ihn anders als in Osteuropa auch aus der Zeit des Kolonialismus heraus verstehen?
Kaesdorf: Ich finde, diese beiden Arten des Sozialismus, den osteuropäischen und den kubanischen, kann man überhaupt nicht vergleichen. Denn diese Revolution ist damals aus dem Volk heraus entstanden, aus Abhängigkeit vom Terrorregime. Es war wirklich so, dass auf den Straßen gemordet wurde und das Volk irgendwann gesagt hat: Wir haben genug, wie wehren uns mit allem, was wir haben. Bis hin zur Mistgabel sind die da auf den Straßen losgezogen. Der osteuropäische Sozialismus wurde ja mit Verträgen gemacht, mit Übernahmen, im Grunde auch mit Krieg. Insofern gab es da einen ganz anderen Ansatz.

Gedreht ohne Genehmigung

Burg: Wie war das eigentlich, als Sie durchs Land gereist sind? Konnten Sie einfach überall offen drehen, brauchten Sie Drehgenehmigungen?
Kaesdorf: Das war tatsächlich sehr schwierig. Wir hatten keine offizielle Drehgenehmigung, aber wir haben es natürlich versucht. Ich hatte hier viele Gespräche mit der Botschaft, aber man hat uns sehr zurückgehalten. Ich habe sechs Monate auf eine Genehmigung gewartet. Ich wurde dann zu ungeduldig und bin tatsächlich einfach drauflos mit meinem Team.
Burg: Und Sie mussten dann auch immer ein bisschen aufpassen?
Kaesdorf: Wir mussten definitiv aufpassen. Solange man sich in Havanna bewegt hat, war das alles relativ okay. Die sind vertraut mit Kameras. Wir haben mit sehr kleinem Equipment gedreht, im Grunde sahen wir aus wie Touristen mit kleinen DSLR-Kameras. Als wir dann ins Land rausgezogen sind, hatten wir schon das eine oder andere Problemchen. Es war nie so akut, dass wir wirklich Angst bekommen haben. In Guantanamo war es mal haarig, da wollten sie, dass wir das Material löschen. Das war ihnen nicht so ganz angenehm, was wir als Touristen da gemacht haben. Wir wurden auch mal mit dem Auto verfolgt, unser Nummernschild wurde mehrfach aufgeschrieben. Aber es ist nie was passiert.

Nach Jahrzehnten wieder auf der Insel

Burg: Wie haben Sie dann eigentlich die Form für den Film gefunden? Am Anfang erzählt Arsenio erst mal sehr viel und Sie zeigen dazu Bilder von Kuba. Erst später kommen dann auch tatsächlich die Menschen, die Sie getroffen haben, zu Wort. Wie haben Sie an der Form dieses Films gearbeitet?
Kaesdorf: Die Hauptfigur des Films ist eigentlich vollständig im Schnitt entstanden. Ich hatte über sie eine Biografie geschrieben, die aus vielen Gesprächen mit Exilkubanern und auch Kubanern vor Ort bestand. Aber in Gänze ist diese Figur erst im Schnitt entstanden – je nachdem, was ich dann an Material hatte und womit ich arbeiten konnte. Mir war wichtig zu erzählen, dass diese Figur erst mal viele Eindrücke wahrnimmt: Nach Jahrzehnten zum ersten Mal auf dieser Insel prasselt alles an Eindrücken auf diese Figur ein, deswegen erzählt diese Figur auch erst mal sehr viel von der eigenen Geschichte, der Flucht damals in den 90ern und wie dieses Land neu wahrgenommen wird.
Rinder mit Cowboys und einem Transporter auf der Straße
Gemeinschaftlich über Genossenschaften: Durch die Reformen können Bauern in Kuba neue Ländereien bewirtschaften.© Jana Kaesdorf
Dann steigen wir ein in die O-Töne, in die Protagonisten, und die Figur bewertet diese Informationen, die sie bekommt. Zum Beispiel stellt sie irgendwann fest, vielleicht hätten sie damals nicht alle Betriebe verstaatlichen sollen. Was wäre gewesen, wenn man in Teilen Privateigentum zugelassen hätte? Wie hätte sich der kubanische Sozialismus entwickelt? So ist die Figur im Schnitt entstanden.

Ein authentisches Kuba-Bild

Burg: Was die Bilder angeht: Die Karibik und Kuba üben ja auf Filmemacher eine große Faszination aus. Wenn man jetzt mit Wim Wenders' "Buena Vista Social Club" einen der erfolgreichsten Filme als Referenz nimmt, der ja stark mit dem maroden Charme Kubas gearbeitet hat: Welche Bilder wollten Sie finden?
Kaesdorf: Im Grunde wollte ich genau das Gegenteil erzeugen, nämlich ein sehr authentisches Kuba, ein Kuba, das der Reisende erlebt, wenn er durch die Nebenstraßen läuft, durch kleine Orte, kleine Dörfer. Ich wollte nicht nur das bunte und schöne Kuba erzählen, was wir klischeehaft kennen – mit Tanz, mit bunten Autos, mit dieser Leichtigkeit, die dieses Land auch innehält. Ja, das ist ein wichtiger Teil Kubas, ohne Frage, aber das war nicht der Teil, den ich beleuchten wollte, wenn ein Exilkubaner ins Land zurückkommt und erspüren möchte, was hier eigentlich passiert ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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