Exotismus und Fake News

Die erfundene Kultur von Formosa

08:06 Minuten
Der Innentitel von Ondine Pannets "Enzyklopädie der Insel Formosa" zeigt auf der linken Seite einen Springbrunnen, auf dessen Fontäne ein Fels zu schweben scheint.
Insel der Wunder: Ondine Pannet hat aus George Psalmanaazaars fantastischen Geschichten über Formosa eine Enzyklopädie gemacht. © Vexer Verlag
Ondine Pannet im Gespräch mit Gesa Ufer · 06.12.2021
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Mit Geschichten von der fernen Insel Formosa verzauberte George Psalmanaazaar die Londoner Gesellschaft um 1700. Pech nur, dass es die Insel gar nicht gab. Die Künstlerin Ondine Pannet hat dem Eiland nun eine ganze Enzyklopädie gewidmet.
London, Anfang des 18. Jahrhunderts. Ein exzentrischer Zeitgenosse sorgt mit seinem Auftreten für Erstaunen. Er trägt wallende Kimonos, isst rohes Fleisch, trinkt keinen Alkohol und behauptet, all diese Gewohnheiten zeichneten die Kultur seiner Heimat aus, einer Insel im fernen Asien namens Formosa.

Ein Platz an der Sonne

Dort machten fruchtbare Böden und ein mildes Klima das Leben angenehm. Letzteres lade die Menschen dazu ein, ihre wohlgeformten Körper Luft und Sonne auszusetzen, so behauptet der Mann, der sich George Psalmanaazaar nennt.
Seine Berichte über die Eigenheiten des unbekannten Landes werden zu Bestsellern. Selbst unter Gelehrten in der Londoner Gesellschaft findet er Anklang. Ihnen verspricht er Einblicke in die komplexe Sprache und Schrift seiner Herkunftskultur.
Die Doppelseite in Ondine Pannets "Enzyklopädie der Insel Formosa" zeigt zwei Fotografien von Zimmerpalmen in Blumentöpfen.
Exotik für zu Hause: Ondine Pannets Fotos zeigen, wie langlebig der Traum vom Glück im sonnigen Süden ist.© Vexer Verlag
Doch wie alles andere hat der angeblich Weitgereiste auch diese Sprache selbst erfunden. Die Buchkünstlerin Ondine Pannet war von dieser Geschichte so fasziniert, dass sie dem sagenhaften Formosa eine Enzyklopädie gewidmet hat, in der sie mit Grafiken und Fotos an Psalmanaazaars Berichte anknüpft.

Das Paradies des Passfälschers

Der Hochstapler habe es ursprünglich nur darauf angelegt, einen Pass zu fälschen, der ihm Reisefreiheit in ganz Europa verschaffen sollte, berichtet sie. Dass der Erfolg seiner Geschichten durch zahlreiche Übersetzungen ebenfalls bald Landesgrenzen überwand, mag ihn selbst überrascht haben.
Die Lust am Exotischen habe indessen bis in unsere Zeit überlebt, sagt Pannet. Mit Fotos aus tropisch ausstaffierten Spaßbädern dokumentiert sie, dass Menschen bis heute für paradiesische Traumwelten empfänglich sind. Ebenso wie für spektakuläre Geschichten und Fake News, für die Psalmanaazaar ein frühes Beispiel geliefert hat.
(fka)

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