Exorzismus im 21. Jahrhundert

Wenn die Angst vorm Teufel zur fixen Idee wird

Ein Portrait von Pater Gabriele Amorth. In der rechten Hand hält er ein Kruzifix vor die Kamera.
Pater Gabriele Amorth war der Chef-Exorzist der Diözese Rom. Er starb im September 2016. © AFP
Axel Seegers im Gespräch mit Nana Brink · 10.10.2016
In Deutschland gibt es offenbar Menschen, die meinen, von Dämonen oder vom Satan besetzt zu sein. Solche Fälle schildert Axel Seegers von der Erzdiözese München und Freising. Viele verlangten sogar den "Großen Exorzismus", der hier gar nicht gespendet werde.
In Frankfurt am Main beginnt heute ein spektakulärer Mordprozess gegen fünf Südkoreaner: Sie sollen im Dezember 2015 bei einer Teufelsaustreibung ihre 41jährige Verwandte qualvoll getötet haben.
Doch auch in Deutschland gibt es offenbar Menschen, die meinen, vom Teufel besessen zu sein. Axel Seegers, Leiter des Bereichs Weltanschauungsfragen bei der Erzdiözese München und Freising, schilderte solche Fälle im Deutschlandradio Kultur:
"Es ist richtig, dass sich bei uns eigentlich regelmäßig Menschen an uns wenden, die um einen Exorzismus bitten. Insofern kann ich es nur bestätigen. Meist berichten sie dann, dass Dämonen oder der Satan sie selbst besetzt hält oder zumindest verfolgt. Und sie leiden dann natürlich sehr darunter, und deshalb rufen sie bei uns an und bitten um Hilfe und Unterstützung."

Das Verlangen nach dem "Großen Exorzismus"

Solche Menschen seien oft sehr verzweifelt, berichtete Seegers. Sie hätten oft vergeblich medizinische oder therapeutische Hilfe gesucht. Man versuche dann, gemeinsam mit den Betroffenen weitere Lösungsschritte zu entwickeln:
"Das ist immer so eine schwierige Sache, das heißt, die Menschen, die zu uns kommen, von denen sind manche sind sehr fixiert und wollen nur ein einziges Ritual haben, diesen 'Großen Exorzismus', den wir hier in Deutschland nicht spenden. Sondern wir eben versuchen, mit einer alternativen Methode den Menschen zu helfen."
Der sogenannte 'Große Exorzismus'" muss von einem Bischof genehmigt werden. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich entschieden, das bis auf Weiteres nicht zu tun. Dazu sagte Seegers:
"Wir haben hier in Deutschland meines Wissens keine offizielle Spendung des 'Großen Exorzismus', jedoch viele verschiedene Methoden, die wir hier versuchen. In anderen Regionen der Welt, wo auch andere kulturelle und soziale Zusammenhänge sind, ist es scheinbar selbstverständlich, auch mit einem 'Großen Exorzismus' oder überhaupt mit einem Befreiungsgebet auch Dingen zu begegnen."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Diese Geschichte stammt nicht etwa aus "Rosemarys Baby". Stundenlang musste eine Südkoreanerin in einem Frankfurter Hotel gequält worden sein, weil Verwandte wohl versucht haben, ihr Dämonen auszutreiben. Die Teufelsaustreibung endete mit dem Tod der Frau. Und wegen Mordes müssen sich nun die Angehörigen, darunter zwei Jugendliche und ein Heranwachsender, ab heute vor dem Gericht verantworten.
Viele erinnern sich vielleicht noch an den Fall Anneliese Michel. Die junge Frau starb 1976, nachdem Priester versucht hatten, der Epileptikerin den Teufel auszutreiben. Für die katholische Kirche hatte der Fall traumatische Folgen, und allerdings bildet sie immer noch Exorzisten aus, nicht in Deutschland, aber zum Beispiel in Südamerika. Axel Seegers leitet den Bereich Weltanschauungsfragen bei der Erzdiözese München und Freising. Schönen guten Morgen, Herr Seegers!
Axel Seegers: Guten Morgen!
Brink: Der Frankfurter Fall, wie ich ihn eben gerade beschrieben habe, ist ja kaum vorstellbar, dass so etwas passiert in Deutschland. Hören Sie von solchen Fällen öfter?
Seegers: Es ist richtig, dass sich bei uns eigentlich regelmäßig Menschen an uns wenden, die um einen Exorzismus bitten. Insofern kann ich es nur bestätigen. Meist berichten sie dann, dass Dämonen oder der Satan sie selbst besetzt hält oder zumindest verfolgt. Und sie leiden dann natürlich sehr darunter, und deshalb rufen sie bei uns an und bitten um Hilfe und Unterstützung.

Therapien gegen die Ohnmacht der Menschen

Brink: Was sagen Sie diesen Menschen?
Seegers: Ich würde sagen, sie sind erst mal sehr verzweifelt. Und ich glaube, das ist der Ausgangspunkt, wahrzunehmen, das sind Menschen, die absolut verzweifelt sind, die ohnmächtig sind, die leiden. Und das, was wir, denke ich, als Erstes machen, ist ihnen zuzuhören, das heißt, sie einzuladen zu einem Gespräch. Ihnen zuzuhören, um dann gemeinsam zu überlegen, welche Optionen, welche Lösungen gibt es.
Eigentlich ist es so, dass die meisten natürlich schon vorher bei einem Arzt gewesen sind, das heißt, auch medizinisch abgeklärt sind, dann aber trotzdem weiterhin leiden. Manche von ihnen waren auch in der Therapie, in der Psychiatrie. Und wenn dann gar nichts mehr hilft, die Ohnmacht wirklich ganz groß ist, melden sie sich bei uns. Und wir versuchen dann, mit ihnen gemeinsam weitere Lösungsschritte zu entwickeln, wobei klar ist, nicht gegen Therapie oder gegen Medizin, sondern mit Therapie und Medizin zusammen.

Was antwortet man, wenn jemand meint, vom Teufel besessen zu sein?

Brink: Das Interessante, was Sie gerade erzählt haben, ist, dass sie medizinisch, wie sie sagten, abgeklärt, also Sie nicht glauben, dass es medizinische, sondern religiöse, wenn ich das mal so sagen darf, also dass sie vom Teufel besessen sind. Wie kann man darauf antworten?
Seegers: Mein Problem ist, wenn es ausgeschlossen wird, gegeneinander ausgespielt wird. Ich würde sagen, es gibt medizinische oder psychiatrische Phänomene, und die kann man auch religiös deuten. Das ist kein Widerspruch, sondern das sind Phänomene, die zusammengehören. Genauso – ich kann ein konkretes Beispiel nennen: Eine ältere Dame war mal bei uns und erzählte dann ihre Leidensgeschichte, und unter anderem erklärte sie dann auch, welche Gebete sie spricht. Und, ehrlich gesagt, nach drei, vier Gebeten, die ich durchgelesen habe, wurde mir schon selbst ganz s chlecht.
Und wir haben gemeinsam überlegt, wie kann man Gebete sprechen, die auch positiv sind, die auch wirklich stärkend sind. Und so haben wir zum Beispiel das Gebetsleben der Dame gemeinsam überarbeitet und neue Gebete hinzugenommen. Das eine ist, sozial ausgegrenzt zu sein, das andere ist die Frage der eigenen Spiritualität. Und ein Drittes ist eben, zu schauen: Gibt es Medikamente oder gibt es therapeutische Hilfe, um jemandem zu helfen.

Die Rolle des Bösen in der Katholischen Kirche

Brink: Weil das Gebet angesprochen haben, es gibt ja nun in der Tat, wenn wir zum Beispiel auf die Taufe zurückgehen, das Gebet zum Schutz vor dem Bösen. Das heißt, durchaus spielt das Böse ja in der katholischen Kirche ein große Rolle, auch in den Gebeten.
Seegers: Richtig. Aber man muss natürlich davon ausgehen, dass das Böse oder Böses täglich geschieht, und wir auch täglich davon erleben, das erleben und darunter leiden. Und ich glaube, die vornehmste Aufgabe der Kirche ist es, zunächst einmal auch zu beten und für Menschen da zu sein. Und genau das geschieht, dass Menschen, die sich an uns wenden, wir ihnen zuhören, uns Zeit nehmen und auch gemeinsam miteinander beten beziehungsweise auch füreinander beten, und dass dann natürlich das, was Leiden schafft, auch mit in diesen Gebeten und den Gedanken vorkommt, ist für mich selbstverständlich.
Brink: Wird das angenommen? Haben Sie Erfolg mit der Art, wie Sie vorgehen?
Seegers: Das ist immer so eine schwierige Sache, das heißt, die Menschen, die zu uns kommen, manche sind sehr fixiert und wollen nur ein einziges Ritual haben, diesen Großen Exorzismus, den wir hier in Deutschland nicht spenden. Sondern wir eben versuchen, mit einer alternativen Methode den Menschen zu helfen.
Denen ist oftmals nicht zu helfen, weil sie wie gesagt genau das erwarten, und das wird dann schwierig. Die Menschen, die zu uns kommen, sich uns anvertrauen und wir einen gemeinsamen Weg gehen, erlebe ich sehr oft sehr positive Entwicklungen.

Der "Große Exorzimus" und die katholische Weltkirche

Brink: Weil Sie es angesprochen haben, den Großen Exorzismus, die deutsche Bischofskonferenz hat ja entschieden, das nicht zu tun bis auf Weiteres. Allerdings ist es immer noch Praxis in der katholischen Kirche. Das befremdet viele. Ich muss ganz ehrlich sagen, es befremdet mich auch als Katholikin. Warum hält die Kirche daran fest?
Seegers: Man muss sehen, dass dieser große Exorzismus 1999 neu geschrieben wurde, aus dem 17. Jahrhundert stammte der ursprüngliche. Und die katholische Kirche ist natürlich eine Weltkirche.
Wir haben hier in Deutschland meines Wissens keine offizielle Spendung des großen Exorzismus, jedoch viele verschiedene Methoden, die wir hier versuchen. In anderen Regionen der Welt, wo auch andere kulturelle und soziale Zusammenhänge sind, ist es scheinbar selbstverständlich, auch mit einem großen Exorzismus oder überhaupt mit einem Befreiungsgebet auch Dingen zu begegnen.
Brink: Wie sieht das dann aus? Können Sie mir ein Beispiel geben?
Seegers: Wenn ich jetzt, ein einfaches Beispiel, nach Afrika schaue, in Afrika ist es ja selbstverständlich, dass dort in vielen Regionen man von Geistern, von Dämonen, von Ahnen spricht, und auch in dieser ganzen kulturellen Arbeit oder in der ganzen kulturellen Zusammenarbeit erleben wir, dass hier dort auch das Gebet für die Ahnen oder auch gegen Dämonen sehr selbstverständlich ist.
Brink: Vielen Dank, Axel Seegers, Leiter des Fachbereichs Weltanschauungsfragen bei der Erzdiözese in München und in Freising. Schönen Dank, Herr Seegers!
Seegers: Bitte, gern, einen schönen Tag!
Brink: Danke, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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