Existenzen am Rande

Städte wie Erlangen, Haldensleben, Erfurt, Marburg und Bensheimhaben haben ganze Quartiere zu alkoholfreien Zonen erklärt. Der Grund: Vielerorts sind die Innenstädte zu Orten öffentlicher Trinkgelage geworden. Passanten fürchten sich vor randalierenden Jugendlichen, Geschäftsleute fürchten um ihre Kunden, Kommunalpolitiker fürchten um den Ruf ihrer Städte und so weiter. Dem Vorbild von Illmenau, Hamburg und Freiburg wollen andere Städte folgen. Wieder andere machen da nicht mit. Sie haben massive rechtliche Bedenken gegen ein Alkoholverbot.
Freiburg
Von Uschi Götz

Kurz vor Mitternacht in der Freiburger Innenstadt. Es ist kalt, es regnet und doch ist die Stadt voller junger Leute. Acht Polizeibeamte stehen mitten in der Innenstadt am Martinstor.
An jedem Wochenende und vor Feiertagen sorgen sie von elf Uhr nachts bis sechs Uhr morgens, dass das Alkoholverbot eingehalten wird:

"Hier in der Innenstadt ist Alkoholverbot, deswegen sprechen wir sie gerade an. Und wegen den Bierflaschen."

Die Beamtin Dorothea Roth kontrolliert drei junge Frauen. Pädagogik–Studentinnen. Alle drei sind mit einer Bierflasche in der Hand unterwegs – mitten in der Alkoholverbotszone. Das Bier muss weg, erst dann können sie weiter gehen:

"Wir stehen jetzt hier mit einer Flasche und wollen Bier trinken bevor wir jetzt weitergehen, aber man kann schon verstehen, also finde ich."

"Haben sie gerade einen Ausweis dabei?"
"Ja, klar. Geht Führerschein auch?"
"Bitte?"
"Einen Führerschein auch?"

Wenige Meter weiter zwingt ihr Kollege Gregor Jungblut einen bereits angetrunkenen Jugendlichen, sein Bier auszuschütten:

"Kippen sie es gerade da rein!"
"Ich kippe ungern Bier weg."
"Das tut jetzt nichts zur Sache."
"Dann kippen sie es weg."
"Ne, kippen sie es weg."
"Ne, konfiszieren sie es, keine Ahnung."
"Wenn ich es konfisziere, dann kostet …"
"Ich wusste das echt nicht."
"Sie schütten das jetzt aus, und werfen die Bierflasche in Mülleimer."
Gewa – City – gewaltfreie Innenstadt, nennt sich das Freiburger Konzept, zudem auch die polizeilichen Sonderschichten an Wochenenden gehören.
Alkohol ja, aber nur in den Lokalen.

"Kommen Sie aus Freiburg?"

Die Polizisten tragen schwarze Wollmütze, unter ihren Anoraks Schutzwesten und in den bereitstehenden Polizeiautos liegen Schlagstöcke griffbereit. Nicht selten eskaliert die Situation in den Morgenstunden, dann, wenn Betrunkene aus den Diskotheken und Clubs kommen. Schichtführer Sascha Dages:

"Man ist darauf gefasst, dass es auch die Friedlichkeit verlassen kann, aber prinzipiell ist der Ansatz der, dass wir uns vorher zeigen, Präsenz zeigen und dadurch erst gar nicht zu etwas kommt. Deswegen werden wir nicht nur hier stehen, sondern im Innenstadtbereich ein paar Streifen laufen, um schon alles vorher ein bisschen unten zu halten."

Streife wird nur im sogenannten Bermudadreieck gelaufen. Nur dort gilt das Freiburger Alkoholverbot. Eine kleine Fläche, etwas größer als ein Fußballfeld. Auf dieser kleinen Fläche finden sich viele Diskotheken, Clubs und Schnellrestaurants. Jugendliche aus dem Freiburger Umland strömen an Wochenenden in die Lokale. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Harry Hochuli, Leiter des Freiburger Innenstadtreviers:

"Jetzt geschehen natürlich an anderen Stellen auch unter Alkohol Delikte, aber im Bermudadreieck kommen weitere begünstigende Faktoren hinzu. Das ist zum einen die Enge zum anderen die große Anzahl von Personen, die Dort fluktuieren und dann natürlich die Massierung von Gaststätten."

Seit fast einem Jahr darf in diesem Bereich nicht mehr öffentlich Alkohol getrunken werden.

"Wir wollen den Freiburgern und den Besuchern der Stadt Freiburg nicht das Trinken verbieten. Wir stellen fest, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Gewalt und Alkohol, wobei Ursache- Wirkprinzip für den einen nicht nachgewiesen ist, für uns aber sich so darstellt, das ist zumindest ein begünstigender Faktor im Alkohol zu finden.
Also, wer Alkohol in großer Menge trinkt, der neigt eher dazu hinterher Gewalttätigkeiten zu begehen."

Innerhalb von zehn Jahren hatte sich die Zahl der Gewaltdelikte in der Freiburger Innenstadt verdreifacht. Seit das Alkoholverbot verhängt worden war, ist die Zahl der alkoholbedingten Gewalttaten nach Angaben von Grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon im Bermudadreieck um rund 16 Prozent zurückgegangen; Im Sommer dieses Jahres hat nun der Freiburger Gemeinderat einer Verlängerung des Alkoholverbots um weitere zwei Jahre zugestimmt. Dieter Salomon:

"Die Zahlen sind noch nicht belastbar, weil die Wochenenden die wir in dem halben Jahr tatsächlich belastbar prüfen konnten, sind so wenige, dass wir den Versuch jetzt nochmals verlängert haben um zwei Jahren um härtere Datenmaterialien zu kriegen. Aber wir gehen davon aus, dass diese Maßnahme erfolgreich ist."

Dennoch räumt Salomon ein:

"Wir wissen natürlich, dass so etwas rechtlich nicht unproblematisch ist, deshalb haben wir das auch ausführlich geprüft und verhängen das Alkoholverbot deshalb nicht auf die ganze Stadt. Die Erfahrungen zeigen, dass die Ansprache, die die Polizei an die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen macht, dazu führt, dass wir eigentlich noch nie Alkohol beschlagnahmen mussten, sie wurden auf die neue Rechtslage hingewiesen, darauf aufmerksam gemacht, sie könnten entweder aus dem Bezirk rausgehen mit dem Alkohol oder den Alkohol abgeben und da gab es keine Aggressivität und Gewalttätigkeit, sondern die haben das im Wesentlichen eingesehen."

Zurück in den kleinen Bereich, ins Freiburger Bermudadreieck. Es ist fast zwei Uhr nachts, die Sonderschicht der Polizei hat mittlerweile viel zu tun. Immer mehr Betrunkene tauchen auf, sie pinkeln an Hauswände. Ben Dalmann klärt einen fast Gleichaltrigen auf:

"Welche Toilette ist denn noch offen?"
"Es gibt genug Bars hier ... und das ist auch keine Rechtfertigung hier irgendwo hinzupinkeln."

Und weiter geht’s. Die Polizisten verteilen Broschüren an scheinbar Unwissende Schwarz auf weiß steht zu lesen, wo und warum es ein Alkoholverbot in Freiburg gibt:

"Hallo, ihren Ausweis bitte!"
"Ja, das können sie gerne haben. Yes!"
"Sie wissen das mit dem Alkoholverbot?"
"Ja ich trinke ja nichts davon – Scheiße."

Bald ist die Schicht zu Ende. In wenigen Stunden beginnt für das "Gewaltfreie Innenstadt-Team" die nächste Sonderschicht. Das Konzept scheint aufzugehen, dank einem Höchstaufgebot der Polizei. Der Beamte Bernd Weisinger bestätigt diesen Eindruck:

"Es wird eher weniger durch die Präsenz, durch das, dass wir halt fest stehen. Und man merkt es halt auch, wenn mal eine Nacht oder ein Wochenende keiner da ist, dann geht es grad wieder los."


Hamburg
Von Verena Herb

Nachmittags am Hamburger Hauptbahnhof. Passanten eilen mit ihren Koffern zu ihren Zügen, der Blumenverkäufer an der Ecke bindet gerade einen Strauß für eine Kundin, die beobachtet, wie sich ein Mann eine Flasche Bier öffnet. Der prostet seinem Gegenüber zu, beide schlagen die Bierflaschen aneinander. Die Frau schüttelt den Kopf, dreht sich wieder um, und bezahlt ihren Strauß. Alkohol, mitten am Tag. Kein ungewohntes Bild, auch nicht am Hamburger Hauptbahnhof.

Am Eingang zu den U-Bahnschächten stehen kleine Gruppen von Menschen, viele mit Bier- oder eine Weinflasche in der Hand. Einigen sieht man den regelmäßigen Konsum an, manch einer muss sich am Geländer der Treppe festhalten. Wenige Minuten später kommen zwei Uniformierte auf die Gruppe zu: DB Sicherheit steht auf ihren Namensschildern. Nach kurzer Zeit sind die Männer vom U-Bahneingang verschwunden. Herumlungern – nicht erlaubt.

"Beim Hauptbahnhof hat man die Fläche sozusagen privatisiert. Die Bahn ist zuständig, und die Bahn kann die Menschen da verweisen."

Erklärt Markus Schreiber. Er ist der Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte. Die Möglichkeit hätte er für seinen Ordnungsdienst auch gerne.

"In unserem Fall handelt es sich ja um öffentliche Wegefläche, nicht um eine private. Aber im Grunde müsste man das als Öffentlichkeit das genauso machen können, dass man sagt: das muss tatsächlich der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, der Platz. Und das tut er nicht, wenn sich keiner mehr langtraut. Nur noch kräftige, stark gebaute Männer ..."

Die Situation am Hauptbahnhof ist eine besondere, erklärt Kai Voet van Vormizeele. Er ist der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft.

"Was wir am Hauptbahnhof hatten, hat was zu tun mit der Bekämpfung der offenen Drogenszene. Dass damit die ein oder andere Alkoholszene mitgegangen ist, weil ja auch häufig Überschneidungen vorhanden sind, ist klar. Aber es gibt kein konzertiertes Vorgehen gegen Alkohol um den Hauptbahnhof herum."

Um den Hauptbahnhof herum, da liegt die Verantwortung wieder beim Bezirk. Und Markus Schreiber hätte gerne die Möglichkeit eines konzertierten Vorgehens, und das auch nicht nur auf das Gelände um den Hauptbahnhof beschränkt. Zu seinem Bezirk gehören nicht nur das Bahnhofsviertel in St. Georg, sondern auch die Reeperbahn – der Kiez – auf St. Pauli. Und Viertel, in denen eher sozial schwache Menschen wohnen, wie zum Beispiel Rothenburgsort oder Veddel. Auch dort lungern Menschen herum, konsumieren Alkohol, und "verbreiten ein ungutes Gefühl" oder Angst, wie Schreiber erläutert. Da handelt es sich in der Tat nicht um privaten Grund, sondern:

"Das heißt die öffentliche Wegefläche, die eigentlich öffentlich sein soll, wird der Öffentlichkeit entzogen. Und das führt mich dazu zu sagen, dass man es eigentlich nicht haben muss, dass man diese Trinkgelage, Saufgelage, Menschen, die eben zunehmend betrunken sind, und sich lange Zeit an einer Stelle aufhalten... das muss man aus meiner Sicht nicht dulden. Und es wäre wünschenswert, wenn wir ne Handhabe bekommen, zu sagen, ihr dürft hier nicht mehr stehen."

Bisher obliegt diese Entscheidung den Mitarbeitern des bezirklichen Ordnungsdienstes der Stadt. Und die können gemäß Ordnungsrecht eingreifen.

"Ist diese Gruppe von fünf Personen, die jetzt seit drei Stunden da steht und Alkohol trinkt, ist das noch zulässig? Oder ist das gerade nicht mehr zulässig? Wenn sich jemand niederlegt und sich da hinlegt, ist das sicherlich nicht zulässig. Wenn jemand steht ist es eher zulässig. Aber das zu beurteilen ist für einzelne Mitarbeiter sehr schwer."

Weshalb Markus Schreiber, und ebenso einige seiner Bezirksamtskollegen, eine Änderung des Hamburger Wegegesetzes fordern, in dem kategorisch festgelegt ist: Dies ist öffentliche Wegefläche, die muss auch allen Personen öffentlich zugänglich sein.
Die Behörde für Stadtentwicklung lehnt eine Änderung des Wegerechts ab: das Wegegesetz regele keine Fragen des sozialen Verhaltens, und dabei solle es bleiben. So ein Sprecher.
Ähnlich sieht es auch CDU-Innenexperte Kai Voet van Vormezeele:

"Wie haben bis jetzt ausreichende gesetzliche Bestimmungen dafür, wenn es wirklich zu Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommt. Dann können wir nach Polizei und Ordnungsrecht dort eingreifen. Ich glaube aber nicht, dass wir zurzeit hier eine besondere schwere Lage haben, dass wir neue gesetzliche Vorschriften brauchen dafür."

Und spricht da ganz im Sinne der schwarz-grünen Koalitionsvereinbarung:

"Im öffentlichen Raum wird es keine Verdrängung sogenannter randständiger Gruppen geben. Die bestehenden ordnungsrechtlichen Regelungen bieten eine gute Handhabe gegen Störungen im öffentlichen Raum und sollen nicht weiter ausgeweitet werden."

Also alles gut in der Freien und Hansestadt Hamburg? Nein – das nicht. Aber Gesetze sollen dafür nicht geändert werden. Vielleicht aber neue geschaffen. So plädiert die Hamburger SPD für ein Alkoholverbot an öffentlichen Plätzen. Und will dadurch den Bezirken "etwas an die Hand geben", wie SPD-Innenexperte Andreas Dressel erklärt:

"Es geht darum, bestimmte räumlich beschränkte Bereiche, das kann auch mal, und wird auch in der Regel dann kleiner sein als ein Stadtteil – sondern bestimmte Straßenzüge, bestimmte öffentliche Plätze wo es sich ballt, wo es auch zu Belästigungen kommt von völlig Unbeteiligten. Dass man da eine Möglichkeit hat als Ultima Ratio, dass auch ein Bezirk sagen kann: Hier nicht. Vor allem eben an bestimmten Wochenendnächten beispielsweise ..."

Es ist ein Ansatz, der aber nicht durchsetzbar scheint: Dessen ist sich jedenfalls Kai Voet van Vormizeele sicher:

"Es klingt ja im ersten Moment ganz nett. Aber wenn man sich mal ansieht, wie eine Großstadt gerade im Sommer lebt, auch draußen lebt, der wird ganz schnell feststellen, dass es sehr schwierig ist, eine Trennlinie zu ziehen zwischen dem was sozusagen unerwünschter Gebrauchsexzess ist und zwischen dem, was in einer Großstadt abends an der Alster ganz üblich ist: Nämlich, dass die Menschen draußen auf der Wiese sitzen, sich mit nem Glas Prosecco dahin setzen ... oder jetzt im Winter mit Glühwein ... Ich glaube, das ist in der Praxis faktisch gar nicht zu trennen und deshalb glaube ich, ist ein reines Alkoholverbot hier an den Außenflächen nicht angebracht."

Und auf dem Kiez erst recht nicht. Da stimmt allerdings auch der Sozialdemokrat Dressel zu:

"Ja, wir können jetzt nicht einfach ganz St. Pauli trockenlegen. Wer das macht, der gefährdet auch den einzigartigen Charakter dieses Stadtteils."

So sieht es auch Markus Schreiber, der Bezirksamtschef aus Hamburg-Mitte:

"Ein absolutes Alkoholverbot ist nicht umsetzbar. Das hilft glaube ich nicht weiter. Und zumal auf St. Pauli geht´s aus meiner Sicht gar nicht. Die nächste Stufe ist dann, dass man sagt, ihr dürft hier auch nicht mehr bumsen!"
Die Chancen für ein absolutes und auch ein eingeschränktes Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen sind sehr gering. Ob es irgendwann eine andere Regelung, zum Beispiel durch die Änderung des Wegerechts geben wird, bleibt abzuwarten. Derzeit, so scheint es, wird alles beim alten bleiben.


Ilmenau
Von Ulrike Greim

Das "Lagern von Personengruppen" ist der kleinen Stadt im Thüringer Wald, Ilmenau, eine eigene Verordnung wert. Seit dem Sommer dieses Jahres ist sie in Kraft. Sie soll einige Innenstadtplätze wieder attraktiver machen für Touristen und Mütter mit Kindern, für ältere Passanten. Denn die, so führen es die Stadtoberen an, machen zurzeit eher einen Bogen um manche Plätze, fühlen sich gestört durch das, was da in den wärmeren Monaten stattfindet.

"Über allen Gipfeln ist Ruh", dichtete Johann Wolfgang Goethe nahe Ilmenau beim Blick über die Berge. Ruhe und Beschaulichkeit kann sie mitunter ausstrahlen: die 21.000 Einwohnerstadt Ilmenau, in die bis heute Goethe-Touristen aus aller Welt kommen. Und da störe es, wenn auf den Plätzen der Innenstadt Menschen sitzen und liegen, schwatzen und Bier trinken, sagt die Stadt, und erlässt eine Verordnung, die korrekt ausgedrückt so klingt:

"Das Verbot des übermäßigen Alkoholgenusses in Verbindung mit Lagern, längerem Verweilen von Personengruppen."

Frank Jäger leitet das Ordnungsamt der Stadt Ilmenau. Lange habe er sich die Klagen der Anwohner angehört, sagt er. Auch die geschätzten Touristen hätten die Nase gerümpft.

"Es gab in der Kernstadt insbesondere auch von Geschäftsleuten Probleme: 'bei und traut sich keiner mehr ins Geschäft, weil hier Personengruppen liegen und exzessiv Alkohol zu sich nehmen'."

Diese "Personengruppen" wollen nicht ins Bild von Ruhe und Beschaulichkeit passen. Denn sie treffen sich in den wärmeren Monaten ab mittags gern bis spät in die Nacht, vor allem am Wochenende. Obwohl viele von ihnen Arbeit oder einen Ausbildungsplatz haben, sagt der Ordnungsamtschef. Auch eine Wohnung. Das sei es also nicht. Was dann? Frank Jäger holt Luft.

"Die Personengruppe, die sich dort trifft, ist eher dem linken Spektrum zuzuordnen, sie ist auch dem Spektrum 'Punk' zuzuordnen, deswegen auch das äußere Erscheinungsbild."

Während Frank Jäger in seinem Büro neben dem adretten Rathaus sitzt, frieren sich zwei Jugendliche am umstrittenen Wetzlarer Platz die Füße ab.

Die eine, freundliches Gesicht, Palästinenser-Tuch um den Hals, etliche der dunklen Strähnen sind rot gefärbt. Der andere: schlank und sportlich, über den Ohren kurz geschoren, die andere Haare schillern grün.

"Wer sich hier getroffen hat, das war eigentlich mehr multikulturell. Das waren einfach Freunde. Das kann man jetzt nicht 'links/rechts' einordnen. Das waren einfach Freunde, die sich gern getroffen haben, die gern zusammen gelacht haben. Und mehr halt nicht. In der Sonne. Schönes Wetter war."

"Ich war auf dem Sportgymnasium, das hat auch keiner gedacht, halt. Deutscher Meister und so was. Das kann sich bestimmt keiner denken, wenn er mich so sieht."

Die beiden gehen ans Gymnasium. Also, so die Botschaft: keine Penner, keine Schnorrer. Nur eben bunt.

"Es gibt immer Leute, die sich an irgendwas dran ärgern. Weil sie halt Vorurteile haben oder weil sie halt nicht mit den Leuten reden: 'was macht ihr eigentlich hier, was wollt ihr hier?' Sie sehen halt nur die Bierflaschen und die Zigaretten und junge Leute, die sowieso 'noch nichts von der Welt wissen'. Und dann wird sich halt drüber aufgeregt."

Ordnungsamtschef Frank Jäger habe es im Guten probiert, sagt er. Er sei hingegangen, habe geredet, auch mal eine Flasche Bier mit getrunken. Doch die jungen Menschen haben weder freiwillig gehen wollen, noch hatten sie Lust, in einen der Jugendclubs der Stadt auszuweichen. Also erteilten er und seine Mitarbeiter, dann gemeinsam mit der Polizei - niemals allein - Platzverweise. Wer dennoch wiederkommt, muss zahlen, sagt die Verordnung, notfalls bis zu 5000 Euro.

"Man geht beim ersten Mal - weil man ja auch die Personengruppen kennt, relativ kulant rein, ich sag mal: mit 'nem 30-Euro-Schein. In der Fortführung dann kommen schon Erhöhungen auf 50 Euro etc.."

Und nun? Wohin gehen die beiden nun?

"Wir haben absolut keinen Platz mehr, wo wir uns treffen können. Das einzige, was es noch gäbe, wären Jugendclubs. Aber - wie das 'blaue Wunder' - das ist dann rechtsradikal, da kann man auch nicht hingehen. Meiner Meinung nach frisst Ilmenau so ihre Kinder, halt."

Frisst Ilmenau seine eigenen Kinder? Oder setzt die Stadt ihnen einfach nur Grenzen?
"Wir leben in einer Gesellschaft, wo sehr viel Orientierungslosigkeit herrscht. Und insofern denke ich: wenn ich jemandem sage ‚das macht man nicht’, dann ist es nicht verkehrt."

Ingrid Albrecht stört sich daran, wenn Jugendliche auf dem Gehweg liegen und - wie man hört - auch schon einmal Passanten eine Bierflasche nachwerfen.

"Ich bin hundertprozentig überzeugt: das löst die Problematik nicht, aber es ist trotzdem ein Stückchen Struktur, die man probiert, diesen Menschen zu geben."

Einen der Beteiligten kennt sie näher. Denn sie ist Suchtberaterin der Diakonie und er sitzt notgedrungen auch das ein oder andere Mal bei ihr: ein junger Mann, alkoholkrank, der im Gefängnis war. Immerhin habe er dort eine Lehre machen können.

"Das zeigt uns ja, dass diese Struktur ihm geholfen hat. Er hat dort die Ausbildung gemacht, seinen Abschluss. Leider kam er her und ist wieder in die Szene gegangen und war alles vergebens. Ich will da nur sagen: mehrere Maßnahmen, unterschiedliche Maßnahmen, müssen da durchgeführt werden. Nicht nur Erzählen, nicht nur Verbot, aber das gehört alles dazu."

Strukturen, Verbote - die beiden jungen Leute auf dem Wetzlarer Platz feixen. Was soll das? Und überhaupt: exzessiver Alkoholkonsum? Davon könne keine Rede sein, pro Nase zwei Bier, das sei nicht viel. Bierflaschen nachwerfen, Zigarettenkippe hinterher schnippen? Das ist eher üble Nachrede.

"Vielleicht gab es mal jemanden, der an dem Abend viel getrunken hat, aggressiv war, oder so. Aber das ist wirklich ein Ausnahmefall. Die anderen sind damit auch nicht einverstanden. Aber ich hab das noch nicht mitgekriegt. Und ich war eigentlich jeden Abend hier. Also ich gehör’ dazu, so mehr oder weniger."

Jugendliche Subkultur werde diskriminiert. Darum gehe es. Dabei wolle man einfach nur da sein. Wenn die Stadt sie weghaben wolle, müsse sie ihnen ein angemessenes Haus zuweisen, sagen die beiden. Ingrid Albrecht nennt dies ein Spiel.

"Es ist so: sie delegieren ihren Leidensdruck an uns. Und wir agieren alle. Wir probieren zu agieren. Aber das wird nie das sein, was die wollen. Eigentlich müssen wir sie dazu bringen, dass sie sagen, was sie wollen. Dann wäre es ideal. Dann könnte man ihnen richtig helfen."

Jetzt liegt Schnee in Ilmenau. Über den Wipfeln des Waldes ist Ruh. In der Stadt: der Weihnachtsmarkt. Wenn es wieder wärmer wird, wird man sehen, wer den längeren Atem hat, die Jugendlichen oder das Ordnungsamt.

"Ich glaub nicht, dass das irgendwen zurückschreckt. Weil: es ist einfach Platz. Und ich glaub' nicht, dass wir uns so leicht vertreiben lassen."