Exilanten im eigenen Land
Das Leben im Exil, in Flüchtlingslagern, dazu die häufigen Durchsuchungen durch israelische Soldaten an Checkpoints: Diese Themen kommen in den Arbeiten palästinensischer Künstler häufig vor. Einige Installationen, Videoarbeiten, Kalligrafien und Plastiken werden nun in Paris ausgestellt. Auffällig ist die große Zahl von Frauen, deren Werke für die Schau ausgewählt wurden.
Künstlerin Larissa Sansour ist 1973 in Jerusalem geboren. In ihrem Video schwebt sie als Astronautin auf Trommelmusik durch den Weltraum. Am Ende hisst sie die palästinensische Flagge auf dem Mond. Ein surrealistisches Bildnis dafür, dass die Welt die palästinensische Kunst entdeckt? Oder macht derzeit die palästinensische Kunst einen großen Schritt in Richtung Zukunft? Frage an Kuratorin Mona Khazindar:
"Die Künstlerin wird Astronautin. Eine Art Remake von Kubricks '2001: Odyssee im Weltraum'. Die Künstlerin landet mit der palästinensischen Flagge auf dem Mond. Aber in dem Moment, wo die Künstler-Astronautin einen Fuß auf dem Boden aufsetzt, verliert sie den Kontakt mit der Bodenstation in der Hauptstadt Jerusalem. Die Astronautin ruft deshalb ständig: Jerusalem, Jerusalem, ich höre sie nicht mehr, ich höre sie nicht mehr."
Die Disco-Musik stammt vom 45-jährigen Sherif Waked, einem Kind Nazareths. In seinem berühmten Haute-Couture-Defilee zeigt er Hemden mit eingebauten Rollläden und Gucklöchern. Sein "Chic Point" ist eine bitterböse Persiflage auf die israelischen Check-Points, an denen tagtäglich Palästinenser auf entwürdigende Weise durchsucht werden. Die Ausstellung zeigt uns den Nahen Osten als einen Osten, der uns nahe liegt - und sehr nahe geht. Zeitgenössische Kunst mit tiefen historischen Wurzeln:
"Die Staffelmalerei im abendländischen Stil hat in den arabischen Ländern Anfang des 20. Jahrhunderts angefangen. In Palästina hat man vor der Ölmalerei sehr lange die Kunst der Ikonenmalerei betrieben. Die zeitgenössische Kunst entstand nicht aus dem Nichts. Es gibt viel Kontinuität, es gibt eine Tradition der Künste und dekorativen Künste in Palästina - wie die Stickerei, die sie auch in vielen Werken der Ausstellung finden können. Stoffe werden oft eingesetzt."
Ein nacktes Flüchtlingszelt als Stoff, aus dem die palästinensischen (Alb-)Träume sind. Emily Jacir erblickte 1970 in Chicago das Licht der Welt. Sie hat palästinensische und israelische Freiwillige gemeinsam die Namen jener palästinensischen Dörfer auf das Zeltdach sticken lassen, die 1948 zerstört, entvölkert und besetzt worden sind, so der Begleittext. Raedeh Saadeh unterzieht sich auf einem fotografischen Doppelporträt zusammen mit ihrem Kuschelbären einer Bluttransfusion. Palästinensische Kunst als "Notaufnahme":
"Gibt es eine palästinensische künstlerische Ästhetik? Das ist eine gute Frage. Es gibt Themen, die in allen Werken wiederkehren. Das Thema Exil, die Flüchtlingslager, das tägliche Leiden, die Erniedrigungen, die Checkpoints. Und dann - um nur von der Ästhetik zu reden: Es gibt ein Vokabular, es gibt ähnliche Bilder, die oft wiederkommen. Ich denke an Ölbäume, an die Kontrollpunkte. Das sind Themen, mit denen sie in diesen Werken immer wieder konfrontiert werden. Egal, ob sie von Palästinensern stammen, die dort leben, in den besetzten Gebieten, oder von Palästinensern, die im Ausland leben."
Die 1936 in Jerusalem geborene renommierte Künstlerin Samia Halaby lässt bunte, mit Öl bemalte Leinwand-Fetzen als eine Art Trauerweide von der Wand hängen. Das ist ihr Palästina. Khalil Rabah schickt ein Flugzeug mit der Aufschrift "United States of Palestine Airlines" auf die Reise in das geträumte gelobte Land. Steve Sabella vermischt inneres und äußeres Exil zu einer neuen Heimat. Hunderte kleiner Bruch- und Fundstücke ergeben das fotografische Mosaik "Im Exil":
"Ich wurde in der Altstadt von Jerusalem geboren. Aber ich wurde in meiner eigenen Stadt entfremdet. All die Jahre konnte ich meine Entfremdung nur auf einem Weg ausdrücken: Indem ich die Stadt, in der ich lebe, als Exil darstelle. Ein ständiges geistiges Exil. Ich betrachte mich als Exilant in meinem eigenen Land."
Rana Bishara schickt uns mit einem Wiegenlied in eine Himmelszelt-Hölle aus Stacheldraht und zerplatzenden Luftballons. Eine Anspielung auf den Einsatz der israelischen Armee im Gazastreifen. Es stellt sich die Frage, ob palästinensische Kunst nicht nur engagiert und pro-palästinensisch, sondern auch untergründig anti-israelisch sein muss. Eine Frage, auf die Kuratorin Mona Khazindar auch nach dreimaligem Nachfragen keine klare Antwort geben will.
"Natürlich ist das eine engagierte Kunst. Aber das ist eine Kunst, wo die Werke keine Forderungen stellen. Das sind keine polemischen Werke. Sagen wir, das ist eine Kunst, welche die aktuelle Situation der Palästinenser heute widerspiegelt."
So bleibt am Ende das Paradox: Überzeugende, mitreißende Werke und eine einseitige Schau. Großartige Künstler in einem goldenen Käfig, mit der Aufschrift: pro-palästinensische Kunst.
Service/Info:
Die Ausstellung "Palästina - Die Kreation in allen möglichen Zuständen" ist vom 23. Juni bis 22. November 2009 im Institut du Monde Arabe in Paris zu sehen.
"Die Künstlerin wird Astronautin. Eine Art Remake von Kubricks '2001: Odyssee im Weltraum'. Die Künstlerin landet mit der palästinensischen Flagge auf dem Mond. Aber in dem Moment, wo die Künstler-Astronautin einen Fuß auf dem Boden aufsetzt, verliert sie den Kontakt mit der Bodenstation in der Hauptstadt Jerusalem. Die Astronautin ruft deshalb ständig: Jerusalem, Jerusalem, ich höre sie nicht mehr, ich höre sie nicht mehr."
Die Disco-Musik stammt vom 45-jährigen Sherif Waked, einem Kind Nazareths. In seinem berühmten Haute-Couture-Defilee zeigt er Hemden mit eingebauten Rollläden und Gucklöchern. Sein "Chic Point" ist eine bitterböse Persiflage auf die israelischen Check-Points, an denen tagtäglich Palästinenser auf entwürdigende Weise durchsucht werden. Die Ausstellung zeigt uns den Nahen Osten als einen Osten, der uns nahe liegt - und sehr nahe geht. Zeitgenössische Kunst mit tiefen historischen Wurzeln:
"Die Staffelmalerei im abendländischen Stil hat in den arabischen Ländern Anfang des 20. Jahrhunderts angefangen. In Palästina hat man vor der Ölmalerei sehr lange die Kunst der Ikonenmalerei betrieben. Die zeitgenössische Kunst entstand nicht aus dem Nichts. Es gibt viel Kontinuität, es gibt eine Tradition der Künste und dekorativen Künste in Palästina - wie die Stickerei, die sie auch in vielen Werken der Ausstellung finden können. Stoffe werden oft eingesetzt."
Ein nacktes Flüchtlingszelt als Stoff, aus dem die palästinensischen (Alb-)Träume sind. Emily Jacir erblickte 1970 in Chicago das Licht der Welt. Sie hat palästinensische und israelische Freiwillige gemeinsam die Namen jener palästinensischen Dörfer auf das Zeltdach sticken lassen, die 1948 zerstört, entvölkert und besetzt worden sind, so der Begleittext. Raedeh Saadeh unterzieht sich auf einem fotografischen Doppelporträt zusammen mit ihrem Kuschelbären einer Bluttransfusion. Palästinensische Kunst als "Notaufnahme":
"Gibt es eine palästinensische künstlerische Ästhetik? Das ist eine gute Frage. Es gibt Themen, die in allen Werken wiederkehren. Das Thema Exil, die Flüchtlingslager, das tägliche Leiden, die Erniedrigungen, die Checkpoints. Und dann - um nur von der Ästhetik zu reden: Es gibt ein Vokabular, es gibt ähnliche Bilder, die oft wiederkommen. Ich denke an Ölbäume, an die Kontrollpunkte. Das sind Themen, mit denen sie in diesen Werken immer wieder konfrontiert werden. Egal, ob sie von Palästinensern stammen, die dort leben, in den besetzten Gebieten, oder von Palästinensern, die im Ausland leben."
Die 1936 in Jerusalem geborene renommierte Künstlerin Samia Halaby lässt bunte, mit Öl bemalte Leinwand-Fetzen als eine Art Trauerweide von der Wand hängen. Das ist ihr Palästina. Khalil Rabah schickt ein Flugzeug mit der Aufschrift "United States of Palestine Airlines" auf die Reise in das geträumte gelobte Land. Steve Sabella vermischt inneres und äußeres Exil zu einer neuen Heimat. Hunderte kleiner Bruch- und Fundstücke ergeben das fotografische Mosaik "Im Exil":
"Ich wurde in der Altstadt von Jerusalem geboren. Aber ich wurde in meiner eigenen Stadt entfremdet. All die Jahre konnte ich meine Entfremdung nur auf einem Weg ausdrücken: Indem ich die Stadt, in der ich lebe, als Exil darstelle. Ein ständiges geistiges Exil. Ich betrachte mich als Exilant in meinem eigenen Land."
Rana Bishara schickt uns mit einem Wiegenlied in eine Himmelszelt-Hölle aus Stacheldraht und zerplatzenden Luftballons. Eine Anspielung auf den Einsatz der israelischen Armee im Gazastreifen. Es stellt sich die Frage, ob palästinensische Kunst nicht nur engagiert und pro-palästinensisch, sondern auch untergründig anti-israelisch sein muss. Eine Frage, auf die Kuratorin Mona Khazindar auch nach dreimaligem Nachfragen keine klare Antwort geben will.
"Natürlich ist das eine engagierte Kunst. Aber das ist eine Kunst, wo die Werke keine Forderungen stellen. Das sind keine polemischen Werke. Sagen wir, das ist eine Kunst, welche die aktuelle Situation der Palästinenser heute widerspiegelt."
So bleibt am Ende das Paradox: Überzeugende, mitreißende Werke und eine einseitige Schau. Großartige Künstler in einem goldenen Käfig, mit der Aufschrift: pro-palästinensische Kunst.
Service/Info:
Die Ausstellung "Palästina - Die Kreation in allen möglichen Zuständen" ist vom 23. Juni bis 22. November 2009 im Institut du Monde Arabe in Paris zu sehen.