Ex-Staatssekretär fordert europäische Sicherheitspolitik

Walther Stützle im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und Publizist, Walther Stützle, hat verstärkte Anstrengungen für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik angemahnt.
Hanns Ostermann: Selbstverständlich auch Barack Obama ist lernfähig und muss seinem Amt Tribut zollen. Im Wahlkampf hatte er China immer wieder scharf kritisiert: wegen des bleiverseuchten Spielzeugs, oder der katastrophalen Arbeitsbedingungen. China war der Buhmann. Und heute, wo er Shanghai besucht und anschließend Peking? – Natürlich kritisiert er auch wieder die Lage der Menschen in China, was deren Rechte betrifft, aber vor allem streicht der amerikanische Präsident derzeit die gemeinsamen Beziehungen heraus. Ob Wirtschaftskrise, Klimaschutz, oder globale Sicherheitsfragen, die USA brauchen China. Zu Lasten der transatlantischen Beziehungen? – Gibt es eine Machtverschiebung in der Außen- und Sicherheitspolitik? – Darüber möchte ich mit dem Politikwissenschaftler Walther Stützle reden. Er war unter anderem Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Stützle.

Walther Stützle: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Kann uns das nicht recht sein, wenn Uncle Sam und Maos Erben näher aneinanderrücken, oder könnte das negative Folgen für die transatlantischen Beziehungen haben?

Stützle: Das hat nur dann negative Folgen für die transatlantischen Beziehungen, wenn wir diese Veränderung nicht richtig verstehen und wenn wir als Europa nicht endlich unsere Verantwortung einlösen.

Ostermann: Dann helfen Sie uns dabei, diese Beziehungen zu verstehen, die chinesisch-amerikanischen Beziehungen.

Stützle: Der amerikanische Präsident hat sehr deutlich gemacht zum Auftakt seiner Asien-Reise in Tokyo, dass er den Aufstieg Chinas zur Weltmacht willkommen heißt, dass er ihn kooperativ begleiten will (das muss er auch, denn China ist der größte Gläubiger und ein wichtiger, extrem wichtiger Handelspartner), und dass er alte Sicherheitsbündnisse insbesondere mit Japan, aber er denkt natürlich auch an das europäische Hinterland, an das transatlantische Bündnis, dass er alte Sicherheitsbündnisse durch neue ergänzen will. Und wenn Europa an dem Entstehen und dem Herausbilden dieser Bündnisse Anteil haben will und eigene Interessen einbringen will, dann muss es sich mit einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik engagieren.

Ostermann: Und das bedeutet jetzt konkret auch, weil ja wichtige Personalien derzeit in Brüssel verhandelt werden, das bedeutet derzeit sozusagen für die Sicherheitsinteressen der Europäischen Union und den künftigen Außenminister was, Herr Stützle?

Stützle: Das bedeutet, die Veränderungen in Asien zur Kenntnis zu nehmen und die Europäer dazu zu bringen, sich endlich auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu einigen. Das Interessante an der Asien-Reise des amerikanischen Präsidenten ist ja, dass er über Europa überhaupt nicht spricht. Er spricht davon, dass Amerika eine pazifisch-asiatische Nation sei. Er weiß natürlich, dass 60 Prozent des Exports Amerikas in diese Region gehen und davon fast die Hälfte in den asiatischen Raum. Und er trifft zur gleichen Zeit dort große politische Figuren, die auch für die Gestaltung der transatlantischen Beziehungen von ausschlaggebender Bedeutung sind, nämlich zum Beispiel den russischen Präsidenten, der ja auch eine asiatisch-pazifische Nation vertritt. Europa muss davon Kenntnis nehmen und entweder an der Gestaltung mitwirken, oder den Zug verpassen. Jedenfalls mit dem Besuch eines dänischen Ministerpräsidenten bei der Konferenz der asiatischen Staaten in Singapur, weil er Gastgeber der Klimakonferenz in Kopenhagen ist, damit ist es nicht getan.

Ostermann: Da haben die Europäer wichtige Termine möglicherweise verpasst. – Nun rüstet China enorm auf. Mit seiner Marineflotte untermauert das Land seinen Machtanspruch im Pazifik.

Stützle: Ja.

Ostermann: Das müsste doch eigentlich mit dem Anspruch der Amerikaner in Ostasien und im Pazifik kollidieren, oder nicht?

Stützle: Obama sagt, wir wollen es kooperativ machen. Das ist ja ein wesentlicher Wechsel seit der Amtszeit von Bush Junior. Er sagt, wir wollen es kooperativ mit China machen. Er muss es auch kooperativ mit China machen, weil er ohne chinesische Zustimmung keines der großen internationalen Sicherheitsprobleme im Rahmen der Vereinten Nationen, wo die Chinesen ein Vetorecht haben, gelöst bekommt – denken Sie an das Nordkorea-Problem, Atomwaffen, denken Sie an das Iran-Problem, Atomwaffen, denken Sie an den Afghanistan-Konflikt, in den ja auch die Bundesrepublik verstrickt ist, der auch ohne chinesische Mitwirkung nicht gelöst werden kann. Deswegen ist der Ton auf kooperativ richtig und der Ton auf direkte Diplomatie, und das gilt sogar für das böse Diktaturregime in Birma, die Bereitschaft zur Direktdiplomatie, also sozusagen auch mit denen zu reden, die von Bush noch als die Bösen bezeichnet worden sind. Das ist der neue Stil. Ob er Erfolg haben wird, wissen wir nicht.

Ostermann: Zumal ja auch China, was Birma betrifft oder auch was Nordkorea betrifft, da spielt ja China eine entscheidende Rolle und ich als Laie habe nicht das Gefühl, dass sich das Riesenreich bewegt auf den Westen, westliche Ansprüche hin.

Stützle: Das Gefühl haben Sie nicht alleine, das teile ich mit Ihnen und wahrscheinlich viele unserer Hörer auch, aber das Entscheidende hier ist ja, dass die chinesische politische Führung durch die Entwicklung des Landes ungeachtet aller kritisierungswürdigen inneren Zustände einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass China heute ein stabilisierender Faktor in der internationalen Politik sein kann, und die Tatsache, dass zum Beispiel China ab heute mitwirkt an der Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias mit eigenen Schiffen im Zusammenwirken mit Schiffen der Europäischen Union und der Atlantischen Allianz, ist ja ein Hinweis darauf, dass die Chinesen bereit sind, diese internationale Verantwortung auch wahrzunehmen.

Ostermann: Das sind Pflänzchen der Hoffnung. Aber noch zu einem Beispiel, was Sie eben schon gestreift haben, was den Iran betrifft. Da deutete Barack Obama an, meine Geduld geht so ganz langsam zu Ende. Natürlich müssen wir weiter reden, aber Teheran muss auch reagieren. Wie groß sind da die Gemeinsamkeiten zwischen Peking und Washington?

Stützle: Ich glaube, sie sind größer als sie bei uns gemeinhin wahrgenommen werden, weil beide, sowohl in Peking wie auch in Washington, bei dieser Administration davon ausgehen, dass dieser Konflikt wenn überhaupt nur durch Diplomatie gelöst werden kann und nicht durch militärische Drohgebärden und nur gelöst werden kann – und Obama hat das zum Auftakt seiner Asienreise in Tokyo noch mal ganz deutlich gesagt -, indem die Atomwaffenbesitzer, zu denen China und Amerika gehören, selber aktiv daran arbeiten, alle Atomwaffen auf dieser Erde zu beseitigen, und zur gleichen Zeit den Nationen, die auf Atomwaffen verzichten, die Möglichkeit geben zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, um ihre Energiebedürfnisse zu decken. Diese Doppelpolitik, die Bush Junior nicht befolgt hat, also der Vorgänger von Obama, trifft, glaube ich, auch den Grundton der chinesischen Führung in Peking.

Ostermann: Der Politikwissenschaftler und ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Walther Stützle. Herr Stützle, danke Ihnen für das Gespräch.

Stützle: Danke Ihnen, Herr Ostermann.