Ex-Premier angeklagt

Von Jörg Paas · 30.11.2011
Kroatien wählt am kommenden Sonntag ein neues Parlament. Fast täglich decken Ankläger der Sonderstaatsanwaltschaft Bestechungsaffären auf. Der Grund: Bis zu Kroatiens EU-Beitritt 2013 will die Regierung die Korruption im Land besiegt haben. Seit vier Wochen steht auch Ex-Premier Ivo Sanader vor Gericht.
Keine Weihnachtsglocken, sondern der Beginn eines Songs, den in Kroatien jeder kennt, zumindest in der Originalfassung: "Moja domovina", auf Deutsch: "Meine Heimat". Im Internet gibt es seit Kurzem eine neue Version:

"Ivo hatte einmal alles, einen Haufen Geld, zwei Asse im Ärmel, seine eigene Partei. Er hat uns beraubt und ist dann nach Slowenien abgehauen. In Salzburg wurde er schließlich geschnappt ... "

Besungen wird hier kein Geringerer als der frühere kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader. "Helfen wir ihm"," heißt es im Refrain, ""schenken wir ihm fünf Kuna, für seine Frau und die beiden Töchter, damit sie friedliche Weihnachten genießen können ... "

Sanader selbst wird die Weihnachtsfeiertage wahrscheinlich hinter Gittern verbringen, in seiner Zelle im Plattenbaugefängnis am Stadtrand von Zagreb. Er ist angeklagt vor Gericht. Ende Oktober begann der Prozess. Die kroatische Justiz wirft ihm Betrug, Korruption und Bandenbildung vor.

Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger Regierungschef auf dem Balkan sich wegen Bestechlichkeit vor Gericht verantworten muss. Sechs Jahre lang, von 2003 bis 2009, war Ivo Sanader der mächtigste Politiker in Kroatien, mit besten Kontakten auch ins Ausland, wie er immer wieder gerne hervorhob.

Sanader: "Ich habe ein sehr gutes Verhältnis mit der Frau Merkel von der CDU, auch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Stoiber ... "

... und er hatte ein großes politisches Ziel vor Augen:

Sanader: "Meine erste Sorge und meine Bemühungen sind dem gewidmet, dass Kroatien so bald als möglich das 28. Mitglied der Europäischen Union wird."

Im Juli 2009 trat Sanader plötzlich ohne Angabe von Gründen von allen politischen Ämtern zurück. Kurz danach tauchten erste Korruptionsvorwürfe auf. Die Staatsanwaltschaft ermittelte weiter und erhob schließlich Anklage.

Vor einem Jahr setzte das Parlament in Zagreb Sanaders Immunität aus. Noch am selben Tag versuchte er, sich ins Ausland abzusetzen. Doch auf der Tauernautobahn holte ihn die österreichische Polizei aus seiner schweren Limousine. Ein halbes Jahr saß Sanader in Salzburg in Auslieferungshaft. Im Sommer wurde er schließlich an sein Heimatland überstellt.

Vor Gericht ist er nun in zwei Fällen angeklagt. Im ersten geht es um die widerrechtliche Annahme von umgerechnet einer halben Million Euro, die Sanader für die Vermittlung eines Bankkredits an den Staat als Provisionsgebühr kassiert haben soll. Im zweiten Fall soll er rund zehn Millionen Euro Schmiergeld angenommen haben – dafür, dass er Ungarn die Führung beim größten kroatischen Erdölunternehmen einräumte.

Der Prozessauftakt wurde im kroatischen Fernsehen live übertragen. Zu sehen war ein blasser Ex-Regierungschef, der auf Krücken in den Gerichtssaal humpelte und seine Unschuld beteuerte:

Sanader: "Diese Anklage ist ganz einfach eine Konstruktion. Man will mir etwas in die Schuhe schieben, was gar nicht stimmt, und das nach zwei Jahrzehnten, in denen ich Kroatien gedient habe, worauf ich stolz bin."

Die Vorwürfe gegen Sanader drohen auch die Partei, deren Vorsitzender er einmal war, mit in den Abgrund zu reißen. Die Kroatische Demokratische Gemeinschaft, abgekürzt HDZ, regiert unter seiner Nachfolgerin Jadranka Kosor nach wie vor das Land, doch ihr Ruf ist schwer angeschlagen.

Am Vorabend des ersten Verhandlungstages gegen Sanader dehnte die Korruptions-Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auch auf die HDZ aus. Alle Parteikonten wurden gesperrt.