Ex-Mitarbeiter Wolfgang Richter

"Die OSZE ist so stark, wie die Staaten es wollen"

Flaggen der OSZE-Mitgliedstaaten stehen in Hamburg.
Flaggen der OSZE-Mitgliedstaaten stehen in Hamburg. © dpa / picture alliance / Christian Charisius
Wolfgang Richter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 08.12.2016
Die OSZE sei die größte Sicherheitsorganisation der Welt und habe nach dem Kalten Krieg eine Brücke zwischen Ost und West geschlagen, lobt Wolfgang Richter, der lange Jahre selbst für die OSZE arbeitete. Zugleich fordert er eine Stärkung der Organisation.
Liane von Billerbeck: Wir übernehmen den Vorsitz der OSZE in stürmischen Zeiten. Einer der Gründerstaaten der OSZE hat einen der wichtigsten Grundsätze, nämlich die Unverletzlichkeit der Grenzen, nicht nur in Frage gestellt, sondern verletzt. So hatte es Frank-Walter Steinmeier im Bundestag gesagt und Russland gemeint. Und das war vor der Übernahme des OSZE-Vorsitzes, den Deutschland noch bis zum Jahresende innehat.
Heute treffen sich die Außenminister der OSZE-Staaten in Hamburg, der Organisation also, die man vor allem wegen ihrer Beobachter kennt, jene Beobachter, die in diesem unsicheren und unwegsamen Gebiet, wie zum Beispiel in der Ostukraine mit vielen Akteuren immer wieder versuchen, die Lage zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass der Krieg nicht ausweitet. Einer, der weiß, wie das ist, ist mein Gesprächspartner Wolfgang Richter, Oberst a.D. Er war von 2005 bis 2009 militärischer Leiter der deutschen Delegation bei der OSZE, und 2008 an der Georgien-Mission der OSZE beteiligt. Jetzt arbeitet der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Richter, schönen guten Morgen!
Wolfgang Richter: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Die OSZE versteht sich ja als weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation und als stabilisierenden Faktor in Europa – zu Recht?

"Weltweit die größte Sicherheitsorganisation"

Richter: Ich denke ja. Weltweit ist sie die größte Sicherheitsorganisation. Sie umspannt ja drei Kontinenten, von Nordamerika über Europa bis Wladiwostok, man sagt ja auch, von Vancouver bis Wladiwostok. Sie umfasst 57 Teilnehmerstaaten, davon vier von fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern und Nuklearwaffenstaaten. Also, das kann man mit Sicherheit sagen, ist faktisch richtig. Das andere, sie ist ein stabilisierender Faktor. Es ist gelungen, mit der OSZE und ihrer Vorgängerorganisation, der KSZE, eine Brücke nach dem Kalten Krieg zu schlagen zwischen Ost und West.
Die Kooperation hat in den 90er-Jahren funktioniert. Es ist danach schwieriger geworden, Sie haben ja in Ihrem Eingangstext darauf hingewiesen. Aber die OSZE verfügt über feste und eingespielte Dialogstrukturen. Sie hat insofern funktioniert, als andere Foren aufgrund der Krise, die Sie angesprochen haben, den Dialog eingestellt haben – ich denke hier an den NATO-Russland-Rat oder die G8. Und dass sie Entscheidungen im Konsens trifft, ist sicherlich schwierig, aber es kann auch eine Stärke sein. Die Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine ist ein Beispiel dafür. Klar, der Konflikt ist nicht gelöst, aber er ist eingehegt worden, eine Friedenslösung ist in Sicht. Aber die Umsetzung bleibt schwierig.
von Billerbeck: Viele Abers waren da in den Sätzen eben drin. Ist denn die OSZE gut genug dafür aufgestellt, um ihre Aufgabe erfüllen zu können?
Richter: Zunächst einmal hat sie sich feste Dialogstrukturen gegeben, die sich in der Krise bewährt haben. Sie haben insofern funktioniert. Die OSZE verfolgt ja einen umfangreichen Sicherheitsbegriff: Drei Dimensionen, das heißt, es geht nicht nur um die harte Sicherheit, die militärische Zurückhaltung, die durch vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und die konventionelle Rüstungskontrolle sichergestellt wird. Es geht auch um die Wirtschafts- und Umweltdimension, und es geht auch darum, sich gemeinsame Standards gegeben zu haben im Bereich der Menschenrechte, der Demokratieentwicklung und der Rechtsstaatlichkeit. Dass das noch nicht überall zufriedenstellend umgesetzt worden ist, ist auch klar. Auf der anderen Seite wird daran ständig gearbeitet, nicht nur durch den Dialog selbst, sondern auch durch eine Feldpräsenz, die eigentlich einmalig ist.
Es gibt Missionen und Büros in 17 Staaten. Es gibt autonome Institutionen, die über diese Normen wachen, Wahlbeobachtung zum Beispiel betreiben, aber auch die nationalen Minderheiten im Blick haben oder die Medienfreiheit, was jetzt gerade wieder ein wichtiges Thema geworden ist. Und die OSZE hat reiche Erfahrungen im Konfliktmanagement. Das ist, glaube ich, insgesamt schon ein Asset, wo man sagen kann, dass – die OSZE ist eigentlich gut aufgestellt, aber sie ist eben so stark, wie die Staaten es wollen.
von Billerbeck: Das heißt, wenn die Staaten ihr nicht mehr Macht, mehr Möglichkeiten geben, dann kann sie die auch nicht haben.

"Sie hat bis jetzt keine Rechtspersönlichkeit"

Richter: Ja. Natürlich ist jede Organisation immer so stark, wie die Staaten sie unterstützen und wie sie es haben wollen. Das ist völlig klar. Die Staaten haben ja nicht Souveränität an die OSZE abgegeben, wie sie das in der Regel –
von Billerbeck: Brauchte sie mehr Befugnisse?
Richter: Man kann natürlich sagen, sie könnte zwei Dinge tun. Sie hat bis jetzt keine Rechtspersönlichkeit, keine völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit. Sie ist eine politische Vereinbarung, sie hat also keinen Vertragscharakter oder keine rechtsverbindliche Charta. Trotzdem haben auch die politischen Vereinbarungen insofern funktioniert. Es wäre aber vernünftig gewesen, ihr einen Rechtsstatus zu geben, schon, um die Rechtssicherheit auch der Beamten der OSZE zu sichern, aber auch, um den Dialog zu verstetigen und rechtlich abzusichern. Darum muss man, glaube ich, weiter ringen. Und das Zweite ist, für das Krisenmanagement wäre es sicherlich gut, wenn man dem Generalsekretär oder dem Vorsitz mehr Befugnisse gibt, zum Beispiel Expertenteams zur Faktenfeststellung sofort zu entsenden, ohne auf eine langwierige Konsensentscheidung warten zu müssen.
von Billerbeck: Wenn Sie jetzt gerade den Konflikt in Syrien beobachten, wäre da so eine Organisation hilfreich, dass da etwas getan werden könnte zur Befriedung dieses Konfliktes, oder geht das in so einer akuten Situation kaum?
Richter: Ich glaube, es braucht einen günstigen Moment in der Geschichte, um eine Organisation dieser Art zu schaffen. Da war der politische Wille in den Jahren Anfang der 70er-Jahre durchaus da, trotz ideologischer Differenzen eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit zu rufen, die sich dann doch Mindeststandards gab zumindest und trotz ideologischer Spaltungen in Europa und auch militärischer Konfrontation eine Brücke zu bilden. Dies scheint mir, diese kritische Masse an politischem Willen ist im Nahen Osten derzeit nicht gegeben. Insofern wäre das zwar wünschenswert, ich würde das auch unterstreichen, ich glaube nur nicht daran, dass das im Moment realistisch ist.
von Billerbeck: Deutschland hat ja in diesem Jahr den Vorsitz inne, noch bis zum Ende 2016. Wenn Sie mal Bilanz ziehen als ein Mann, der selbst für die OSZE gearbeitet hat, welche Spuren hat dieser Vorsitz hinterlassen?

"Deutschland hat antizyklisch gehandelt"

Richter: Ich denke, Deutschland hat sozusagen antizyklisch gehandelt und hat in einer Zeit von Konflikten und Krisen mit neuen NATO-Russland-Spannungen, mit der Ukraine-Krise und auch mit militärischen Eskalationsgefahren ein Motto gesetzt, das gegen diesen Trend gerichtet ist, und das Motto heißt Dialog erneuern, Vertrauen wieder aufbauen und Sicherheit wiederherstellen. Nun kann man sich die Frage stellen, ist das gelungen. Nun wird man natürlich nicht am Ende sagen, ja, in einem Jahr ist die völlige Trendwende erreicht. Aber der Dialog ist zumindest gefestigt, er ist intensiviert worden. Territorialkonflikte, die wir ja nicht nur in der Ukraine, sondern auch an anderer Stelle haben, konnten eingehegt werden. In der Ukraine selbst ist es natürlich gelungen, eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Sonderbeobachtungsmission dort wurde personell, politisch und finanziell gestärkt in diesem Jahr.
Es gibt eine allgemeine politische Akzeptanz des Minsk-Abkommens und dieser Sonderbeobachtungsmission. Insofern kann man sagen, es hätte sicherlich schlechter kommen können. Die Friedenslösung ist in Sicht, aber die Umsetzung bleibt schwierig. Nehmen Sie den Berg-Karabach-Konflikt. Da gab es im April ein kurzes Aufflammen, aber ein sehr blutiges Aufflammen. Den hat Deutschland, übrigens in Kooperation mit Russland und anderen Staaten, deeskaliert. Es gab auch praktische Schritte im Transnistrien-Konflikt. Ich hoffe, dass wir morgen oder übermorgen in Hamburg entsprechende Entscheidungen oder Erklärungen haben, die in Richtung Konfliktlösung weisen. Das scheint möglich zu sein.
Und Ähnliche gibt es bei den Genfer Gesprächen zu den Georgien-Konflikten, wo es zumindest gelang, das Regime für die Verhinderung von Zwischenfällen zu stärken. Und nach vier Jahren Unterbrechung sind nun wieder Gespräche entstanden, die in einer vernünftigen Atmosphäre stattfinden. Das ist, glaube ich, auch ein Erfolg.
von Billerbeck: Wolfgang Richter war das, heute bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik, hat er lange Jahre selbst für die OSZE gearbeitet. Wir sprachen am heutigen Tag, wo sich die Außenminister der OSZE-Staaten, 50 von ihnen, in Hamburg treffen. Herr Richter, ich danke Ihnen!
Richter: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.