Ex-Kanzlerberater: Krisenmanagement der Regierung problematisch
Da es im Kanzleramt keine Planungsabteilung mehr gebe, wäre es angesichts der gleichzeitig auftretenden Krisen in Japan, im Nahen Osten und an den Finanzmärkten notwendig gewesen, dass sich "Frau Merkel wenigstens dann Ersatzstäbe beschafft, um so etwas zu bewältigen", sagt der Ex-Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Brandt und Schmidt, Albrecht Müller.
Christopher Ricke: Ein guter Jongleur, der kann mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft halten. Ein guter Politiker muss das auch können, mehrere Themen gleichzeitig im Kopf, auf dem Schreibtisch und auch in den Medien halten. Dazu braucht es gute Planung, effektives Krisenmanagement. Ich spreche mit dem Publizisten Albrecht Müller, er war unter den Kanzlern Brandt und Schmidt Leiter der Planungsabteilung und auch heute ist er ein linker Vordenker. Herr Müller, ist denn die Politik in diesen Tagen nur gefordert, ist sie vielleicht schon überfordert?
Albrecht Müller: Sie sollte nicht überfordert sein und sie darf es auch nicht, und die Apparate sind eigentlich normalerweise so ausgestattet, dass es möglich sein muss, einer Bundeskanzlerin oder einem Bundeskanzler oder Ministern so zuzuarbeiten, dass sie auch eine Zusammenkunft von solchen Krisen bewältigen können.
Ricke: Die Fachleute in den Ministerien, im Kanzleramt, die müssen ja ihre Chefs einmal füttern, aber gleichzeitig auch auf Diät halten, damit sie in den vielen Informationen, die es gibt, nicht ertrinken. Wie gelingt das?
Müller: Ihre Feststellung ist richtig, aber es gelingt und gelang – ich kann das nur mal aus der Vergangenheit berichten. Es gab ja auch Krisen. Es gab die Entführung der deutschen Flugzeuge, es gab die RAF und dergleichen mehr. Ich war auch bei Helmut Schmidt Leiter der Planungsabteilung, und in dieser Zeit war das ja besonders manifest. Das war nicht weniger anstrengend, nicht weniger kompliziert als das, was heute passiert. Das Kernkraftwerk ist ja in Japan hochgegangen und nicht in Deutschland. Ich bestreite nicht, dass es eine große Herausforderung ist, aber wir haben uns jeden Morgen selbstverständlich in der morgendlichen Lage getroffen und tagsüber haben wir die Entscheidungen oder die Beratungen vorbereitet. Da gibt es im Bundeskanzleramt Fachabteilungen. Es gab damals eine intakte Planungsabteilung, die noch mal quergedacht hat zum anderen, und ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin muss in der Tat so intelligent und so aufnahmebereit sein, dass sie auch ein solches Bündel von Anforderungen auf einmal bewältigt.
Ricke: Eine solche Planungsabteilung in der Struktur, wie Sie sie beschreiben aus der früheren Zeit, die gibt es heute nicht mehr. Warum?
Müller: Ja, das ist der Fehler von Herrn Kohl, der sie abgeschafft hat. Aber das ist nicht im System begründet. Man kann, man muss sich halt diese Denkkapazitäten in einem Regierungsapparat halten, und wenn das abgeschafft wird und gestrichen wird, dann ist das in der Verantwortung jener, die das getan haben. Ich hätte mal unterstellt, dass sich Frau Merkel wenigstens dann Ersatzstäbe beschafft, um so etwas zu bewältigen.
Ricke: Dann lassen Sie mich versuchen, die, die Regierungsverantwortung tragen, zu verteidigen. Nehmen wir mal zwei aktuelle Fälle. Fangen wir mit der Atomkatastrophe an. Die Kanzlerin hat doch schnell reagiert, die ältesten Reaktoren sind zügig vom Netz genommen, hier haben sich doch gute Vorbereitungen und mutiges Handeln perfekt ergänzt.
Müller: Ja wieso? Die Vorbereitungen waren doch gerade darauf ausgerichtet, dass man ihre Laufzeit verlängern kann. Das heißt, Vorbereitungen für diesen Fall, dass man die Laufzeit kürzen soll, oder sie gerade abschaltet, sind offenbar doch nicht gelaufen, denn die Frau Merkel war ja noch stolz darauf, dass sie diese Verlängerung gemacht hat. Also das kann ich nicht sehen, dass diese Vorbereitung korrekt gemacht war. Dies ist eine Entscheidung im Interesse der landtagswahlkämpfenden CDU-Leute und hat mit der Sache wenig zu tun.
Ricke: Ja dann probieren wir es mal mit Fall zwei: Libyen. Da hat sich Deutschland im Weltsicherheitsrat der Stimme enthalten, hat sich fein herausgehalten. Und den Streit in der NATO, den wir gerade erleben, der zeigt doch, der Außenminister war gut beraten und hat recht gehabt.
Müller: Ja! Da werden Sie sich wundern, dass ich ja gar nicht so fundamental anderer Meinung bin. Ich halte Kriege für keine Möglichkeit zur Lösung von Problemen und in diesem Fall würde ich lobend für Frau Merkel sagen, dass sie vielleicht differenzierter gedacht hat als andere Länder, die bei diesem Bombardement mitmachen.
Ricke: Jetzt ist der Aufstand in Nordafrika einer, der schon drei Monate geht. Dass etwas in Libyen passieren kann, war absehbar, war vorstellbar, war auch planbar. Sehen Sie ausreichend Planungsgrundlage in der deutschen Politik für diesen Fall, den wir jetzt haben?
Müller: Es kann ja sein, dass Herr Westerwelle und Frau Merkel die Kompliziertheit auch der dortigen Verhältnisse der Willensbildung gesehen haben und aus diesen Gründen gezögert haben. Wenn ich negativ kommentieren wollte, dann würde ich sagen, sie haben einfach nur den Finger in den Wind gehalten, wissen, dass in Deutschland militärische Interventionen nicht sehr gemocht werden, was man ja bei Irak und Gerhard Schröder gesehen hat, und haben deshalb so entschieden. Dann ist das wieder eine Rücksichtnahme auf die Landtagswahlen. Trotzdem kann die Entscheidung dann sachlich richtig sein, ganz gleich welches Motiv im Hintergrund steht.
Ricke: Planung ist in die Zukunft gerichtet. Es gibt andere Themen, Themen, die die Öffentlichkeit, die breite Öffentlichkeit erst erreichen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Die Weltfinanzkrise war hier ein Beispiel. Jetzt sind Sie ein Mann, der sich seit Jahrzehnten mit Perspektiven der Politik beschäftigt, der Probleme von Staat und Gesellschaft erkennen sollte, bevor sie virulent sind. Worauf müssen wir uns denn nach Ihrer Sicht als Nächstes einstellen?
Müller: Das ist das Verhältnis von westlicher Welt und der arabischen Welt und der islamischen Welt. Das ist überhaupt nicht vorbereitet. Das hat man den Scharfmachern vom Schlage Sarrazin und anderen überlassen und hat politisch führend, geistig führend nicht eingegriffen. So müssen wir heute lernen, dass alle diese Konflikte, die sich abzeichnen mit der islamischen Welt, nicht lösbar sind, wenn wir diese Konflikte anheizen, sondern wenn wir auch hier versuchen, das Element des gegenseitigen Verstehens, bei aller Vorsicht wegen Gewalttaten und dergleichen mehr, dass wir dieses Element des gegenseitigen Verstehens einführen. Es gibt andere wichtige Fragen unserer Gesellschaft, ein wichtiges innenpolitisches, dass unsere Gesellschaft in Einkommen und Vermögen total gespaltet ist und auseinanderfällt, und dass diejenigen, die Riesengelder verdienen, etwa auch in der Finanzkrise noch verdient haben, dass die mit Zehen und Klauen versuchen werden, ihre üppigen Vermögen zu verteidigen und nicht mehr bereit sind, diesen Staat im Auftrag des Grundgesetzes sozial zu gestalten. Und hier müssen wir wirklich, hier muss die Politik eine Perspektive hineinbringen, dass es in diesem Land wieder gerechter zugeht, damit die Demokratie überhaupt funktionieren kann.
Ricke: Der Publizist und Vordenker Albrecht Müller. Vielen Dank, Herr Müller.
Müller: Ja, auf Wiederhören!
Albrecht Müller: Sie sollte nicht überfordert sein und sie darf es auch nicht, und die Apparate sind eigentlich normalerweise so ausgestattet, dass es möglich sein muss, einer Bundeskanzlerin oder einem Bundeskanzler oder Ministern so zuzuarbeiten, dass sie auch eine Zusammenkunft von solchen Krisen bewältigen können.
Ricke: Die Fachleute in den Ministerien, im Kanzleramt, die müssen ja ihre Chefs einmal füttern, aber gleichzeitig auch auf Diät halten, damit sie in den vielen Informationen, die es gibt, nicht ertrinken. Wie gelingt das?
Müller: Ihre Feststellung ist richtig, aber es gelingt und gelang – ich kann das nur mal aus der Vergangenheit berichten. Es gab ja auch Krisen. Es gab die Entführung der deutschen Flugzeuge, es gab die RAF und dergleichen mehr. Ich war auch bei Helmut Schmidt Leiter der Planungsabteilung, und in dieser Zeit war das ja besonders manifest. Das war nicht weniger anstrengend, nicht weniger kompliziert als das, was heute passiert. Das Kernkraftwerk ist ja in Japan hochgegangen und nicht in Deutschland. Ich bestreite nicht, dass es eine große Herausforderung ist, aber wir haben uns jeden Morgen selbstverständlich in der morgendlichen Lage getroffen und tagsüber haben wir die Entscheidungen oder die Beratungen vorbereitet. Da gibt es im Bundeskanzleramt Fachabteilungen. Es gab damals eine intakte Planungsabteilung, die noch mal quergedacht hat zum anderen, und ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin muss in der Tat so intelligent und so aufnahmebereit sein, dass sie auch ein solches Bündel von Anforderungen auf einmal bewältigt.
Ricke: Eine solche Planungsabteilung in der Struktur, wie Sie sie beschreiben aus der früheren Zeit, die gibt es heute nicht mehr. Warum?
Müller: Ja, das ist der Fehler von Herrn Kohl, der sie abgeschafft hat. Aber das ist nicht im System begründet. Man kann, man muss sich halt diese Denkkapazitäten in einem Regierungsapparat halten, und wenn das abgeschafft wird und gestrichen wird, dann ist das in der Verantwortung jener, die das getan haben. Ich hätte mal unterstellt, dass sich Frau Merkel wenigstens dann Ersatzstäbe beschafft, um so etwas zu bewältigen.
Ricke: Dann lassen Sie mich versuchen, die, die Regierungsverantwortung tragen, zu verteidigen. Nehmen wir mal zwei aktuelle Fälle. Fangen wir mit der Atomkatastrophe an. Die Kanzlerin hat doch schnell reagiert, die ältesten Reaktoren sind zügig vom Netz genommen, hier haben sich doch gute Vorbereitungen und mutiges Handeln perfekt ergänzt.
Müller: Ja wieso? Die Vorbereitungen waren doch gerade darauf ausgerichtet, dass man ihre Laufzeit verlängern kann. Das heißt, Vorbereitungen für diesen Fall, dass man die Laufzeit kürzen soll, oder sie gerade abschaltet, sind offenbar doch nicht gelaufen, denn die Frau Merkel war ja noch stolz darauf, dass sie diese Verlängerung gemacht hat. Also das kann ich nicht sehen, dass diese Vorbereitung korrekt gemacht war. Dies ist eine Entscheidung im Interesse der landtagswahlkämpfenden CDU-Leute und hat mit der Sache wenig zu tun.
Ricke: Ja dann probieren wir es mal mit Fall zwei: Libyen. Da hat sich Deutschland im Weltsicherheitsrat der Stimme enthalten, hat sich fein herausgehalten. Und den Streit in der NATO, den wir gerade erleben, der zeigt doch, der Außenminister war gut beraten und hat recht gehabt.
Müller: Ja! Da werden Sie sich wundern, dass ich ja gar nicht so fundamental anderer Meinung bin. Ich halte Kriege für keine Möglichkeit zur Lösung von Problemen und in diesem Fall würde ich lobend für Frau Merkel sagen, dass sie vielleicht differenzierter gedacht hat als andere Länder, die bei diesem Bombardement mitmachen.
Ricke: Jetzt ist der Aufstand in Nordafrika einer, der schon drei Monate geht. Dass etwas in Libyen passieren kann, war absehbar, war vorstellbar, war auch planbar. Sehen Sie ausreichend Planungsgrundlage in der deutschen Politik für diesen Fall, den wir jetzt haben?
Müller: Es kann ja sein, dass Herr Westerwelle und Frau Merkel die Kompliziertheit auch der dortigen Verhältnisse der Willensbildung gesehen haben und aus diesen Gründen gezögert haben. Wenn ich negativ kommentieren wollte, dann würde ich sagen, sie haben einfach nur den Finger in den Wind gehalten, wissen, dass in Deutschland militärische Interventionen nicht sehr gemocht werden, was man ja bei Irak und Gerhard Schröder gesehen hat, und haben deshalb so entschieden. Dann ist das wieder eine Rücksichtnahme auf die Landtagswahlen. Trotzdem kann die Entscheidung dann sachlich richtig sein, ganz gleich welches Motiv im Hintergrund steht.
Ricke: Planung ist in die Zukunft gerichtet. Es gibt andere Themen, Themen, die die Öffentlichkeit, die breite Öffentlichkeit erst erreichen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Die Weltfinanzkrise war hier ein Beispiel. Jetzt sind Sie ein Mann, der sich seit Jahrzehnten mit Perspektiven der Politik beschäftigt, der Probleme von Staat und Gesellschaft erkennen sollte, bevor sie virulent sind. Worauf müssen wir uns denn nach Ihrer Sicht als Nächstes einstellen?
Müller: Das ist das Verhältnis von westlicher Welt und der arabischen Welt und der islamischen Welt. Das ist überhaupt nicht vorbereitet. Das hat man den Scharfmachern vom Schlage Sarrazin und anderen überlassen und hat politisch führend, geistig führend nicht eingegriffen. So müssen wir heute lernen, dass alle diese Konflikte, die sich abzeichnen mit der islamischen Welt, nicht lösbar sind, wenn wir diese Konflikte anheizen, sondern wenn wir auch hier versuchen, das Element des gegenseitigen Verstehens, bei aller Vorsicht wegen Gewalttaten und dergleichen mehr, dass wir dieses Element des gegenseitigen Verstehens einführen. Es gibt andere wichtige Fragen unserer Gesellschaft, ein wichtiges innenpolitisches, dass unsere Gesellschaft in Einkommen und Vermögen total gespaltet ist und auseinanderfällt, und dass diejenigen, die Riesengelder verdienen, etwa auch in der Finanzkrise noch verdient haben, dass die mit Zehen und Klauen versuchen werden, ihre üppigen Vermögen zu verteidigen und nicht mehr bereit sind, diesen Staat im Auftrag des Grundgesetzes sozial zu gestalten. Und hier müssen wir wirklich, hier muss die Politik eine Perspektive hineinbringen, dass es in diesem Land wieder gerechter zugeht, damit die Demokratie überhaupt funktionieren kann.
Ricke: Der Publizist und Vordenker Albrecht Müller. Vielen Dank, Herr Müller.
Müller: Ja, auf Wiederhören!