Ex-General gegen Truppenaufstockung in Afghanistan

Moderation: Jörg Degenhardt |
Nach dem jüngsten Selbstmordanschlag in Kabul hat sich General a.D. Klaus Reinhardt gegen die Entsendung weiterer deutscher Soldaten nach Afghanistan ausgesprochen. Statt mehr Soldaten zu schicken, müsse der Westen dem Land noch stärker bei der Ausbildung nationaler Sicherheitskräfte helfen, sagte Reinhardt.
Jörg Degenhardt: Es war der blutigste Anschlag seit dem Sturz der Taliban vor sieben Jahren. 41 Menschen wurden gestern in der afghanischen Hauptstadt getötet, Zivilpersonen und Sicherheitskräfte. Ein Selbstmordattentäter hatte sich mit einem Auto vor der indischen Botschaft im Zentrum Kabuls in die Luft gesprengt. Anders als das übrige Land war die Hauptstadt in den vergangenen Monaten von Attacken der Taliban weitgehend verschont geblieben. Dennoch war die Bluttat schon der sechste Selbstmordanschlag seit Beginn des Jahres. Am Telefon begrüße ich den ehemaligen Vier-Sterne-General Dr. Klaus Reinhardt, von 1999 bis 2000 hat er die internationale Kosovo-Truppe kommandiert. Guten Morgen, Herr Reinhardt!

Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Ist der gestrige Anschlag ein Beleg für die zunehmende Irakisierung Afghanistans?

Reinhardt: Ja, es zeigt zumindest, dass die Gewalt massiv zugenommen hat. Und im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich die Gewalt sogar verdoppelt trotz aller Gegenmaßnahmen, die man getroffen hat. Der Konflikt scheint in eine Phase zu kommen, der deutlich über Afghanistan hinausreicht, der Pakistan einschließt, der, wie wir sehen, Indien einschließt als den Freund Afghanistans, den man nun zu bekämpfen versucht. Es ist ein Konflikt, der sich immer stärker ausbreitet und bei dem man im Augenblick den Eindruck hat, dass die internationale Gemeinschaft keine Chance sieht, ihn vernünftig einzudämmen.

Degenhardt: Das heißt, der Brennpunkt der Auseinandersetzungen mit den islamischen Terroristen verschiebt sich tatsächlich vom Irak nach Afghanistan?

Reinhardt: Ich denke, der Irak ist heute wesentlich ruhiger. Da ist es den Amerikanern eigentlich gelungen, eine gewisse Konsolidierung zusammen mit der irakischen Regierung zu erreichen. Der Schwerpunkt ist eindeutig Afghanistan. Aber nicht nur Afghanistan, sondern Pakistan, weil ein Teil der Taliban und andere Aufständischen in Pakistan eine ruhige Zone des Rückzugs haben, vor allen Dingen aber auch von dort aus ihren Nachwuchs gerieren. Es sind viele, viele afghanische Flüchtlinge. Man spricht von knapp zwei Millionen in Pakistan, in den sogenannten Stammesgebieten an der Grenze nach Afghanistan. Und die werden dort ausgebildet. Und nachdem sie im Grunde genommen keine Jobs finden, ist es für sie interessant, auch als Taliban Geld zu verdienen. Und sie kommen aus diesem Bereich und werden immer stärker.

Degenhardt: Wie soll denn der Westen nun auf diese Situation, die Sie gerade beschrieben haben, Herr Reinhardt, reagieren?

Reinhardt: Ich glaube, man kann nur dadurch vernünftig reagieren, dass man zum einen die Regierung Karsai dahingehend bringt, dass sie weniger korrupt ist, dass sie eine größere Anerkennung findet. Sie hat ihre gesamte Glaubwürdigkeit als Marionette Amerikas verloren. Es wird sehr gespannt sein, was nächstes Jahr die Wahlen bringen. Die Dezentralisierung der staatlichen Gewalt auf Kabul konzentriert muss in das Land hinein gespürt werden. Und vor allen Dingen muss man Afghanistan helfen, eigene Polizei und eigene Armee aufzubauen. Das tut man, aber bei Weitem nicht stark genug. Deutschland war ja lange verantwortlich für den Aufbau der Polizei. Und mit 40 Polizisten ein Land aufzubauen, das 62.000 Polizisten braucht, war natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen. Nun hat die Europol das übernommen, aber die sind auch nicht so fürchterlich stark. Ich glaube, es ist so wichtig, diese nationalen eigenen Sicherheitskräfte aufzubauen, um die fremden Kräfte reduzieren zu können, die ja alle heute bereits mit dem Odium der Besatzungsmacht verbunden sind. Das heißt, so nicht mehr die Anerkennung finden, die sie vor zwei, drei Jahren noch gehabt haben.

Degenhardt: Es hat ja den Anschein, wenn wir die momentanen Ereignisse betrachten, als bekommt die neue schnelle Eingreiftruppe der Bundeswehr am Hindukusch viel zu tun. Sehen Sie das auch so?

Reinhardt: Das kann man nicht vorhersagen, ob sie viel zu tun bekommen. Aber sie sind ausgerüstet, um dort zu kämpfen. Sie sind ausgerüstet, um dort, wo es Schwierigkeiten gibt, sehr schnell eingreifen zu können. Sie sind bestens ausgerüstet und sehr gut ausgebildet, sodass ich ihren Einsatz als sehr vernünftig und als Abschreckungspotenzial sehe. Ich glaube aber, darüber hinaus müssen die deutschen Kräfte viel stärker aus den Lagern noch rausgehen. Wenn man hört, dass 70 bis 80 Prozent der Soldaten aus den befestigten Lagern überhaupt nicht rausgekommen ist. Natürlich, die Anzahl von Soldaten, die Patrouillen fahren, die in die Dörfer gehen können, die dort Vertrauen und Stabilität für die Entwicklungshelfer sicherstellen können, die sind einfach zu wenig. Sie werden zu wenig optisch wahrgenommen.

Degenhardt: Wenn sich die Sicherheitslage in Afghanistan tatsächlich so verschärft hat, insbesondere auch mit Blick auf die Grenzregion zu Pakistan, Sie haben das gerade sehr eindrücklich beschrieben, muss man dann auch nicht in Deutschland intensiver darüber nachdenken, mehr Soldaten gerade in diese Regionen zu schicken?

Reinhardt: Der Minister denkt ja über mehr Soldaten nach, der Verteidigungsminister. Und es scheint so, dass mehr kommen. Aber der Schwerpunkt müsste im Grunde genommen genau dort liegen, was ich vorhin angesprochen habe, nämlich Unterstützung in der Ausbildung der afghanischen Armee, in der Ausbildung der afghanischen Polizei, weil die eigenen Leute, die die Sprache, die die Gewohnheiten kennen, natürlich mit den Gegebenheiten wesentlich besser zurechtkommen als Soldaten wie die unseren, die zwar gut ausgebildet sind, aber nach vier Monaten wieder nach Hause gehen. Wir müssen den Schwerpunkt eindeutig auf die nationalen Kräfte setzen. Und wo wir dort helfen können und wo wir dort in der Ausbildung, in der Unterstützung mit mehr Soldaten helfen können, macht das Sinn. Aber noch mehr Soldaten hineinzubringen, um mit diesen Soldaten selbst ggf. auch kämpfen zu müssen, halte ich für falsch. Das haben die Russen versucht. Das hat schon Alexander der Große versucht und ist gescheitert. Ich glaube, die Hilfe zur Selbsthilfe ist das ganz Entscheidende.

Degenhardt: Die Lage ist Afghanistan wird unübersichtlicher. Wie darauf reagieren, darüber sprach ich mit dem ehemaligen Bundeswehrgeneral Klaus Reinhardt.

Das Gespräch mit General a.D. Klaus Reinhardt können Sie bis zum 8. Dezember 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio