Ex-General für Verlängerung des deutschen Kosovo-Einsatzes
Der ehemalige Leiter der NATO-Friedenstruppe im Kosovo, General a.D. Klaus Reinhardt, hat an Bundesregierung und Bundestag appelliert, den deutschen Einsatz in der Krisen-Region fortzuführen. Es wäre "tödlicher Leichtsinn", die deutschen Soldaten jetzt aus dem Kosovo abzuziehen, sagte Reinhardt.
Frank Capellan: Zwei Millionen Albaner leben im Kosovo, Menschen mit eigener Kultur und eigener Sprache. Ihnen stehen etwa 100.000 Serben gegenüber. Die serbische Unruhe-Provinz strebt nach Unabhängigkeit. Sie wird seit 1999 von den Vereinten Nationen verwaltet. Die Präsenz internationaler Truppen sorgt seither für einen brüchigen Frieden. Die Lage gilt aber als äußerst angespannt.
Heute also wird die Bundesregierung eine Verlängerung des deutschen Kosovo-Einsatzes beschließen um ein Jahr. Knapp 2600 deutsche Soldaten sind derzeit dort stationiert. Über diesen Einsatz möchte ich nun mit einem profunden Kenner der Verhältnisse dort im Kosovo sprechen. Ich begrüße General a.D. Klaus Reinhardt, ehemaliger Leiter der NATO-Friedenstruppe im Kosovo. Guten Morgen!
Klaus Reinhardt: Guten Morgen Herr Capellan!
Capellan: Herr Reinhardt, als Sie vor acht Jahren die Leitung des KFOR-Einsatzes übernahmen, hatten Sie damals damit gerechnet, dass dies eine so lange Mission werden würde?
Reinhardt: Nein, das hatte ich nicht. Wir alle waren eigentlich von der Hoffnung ausgegangen, dass es recht bald eine politische Lösung geben würde. Ich erinnere mich an Gespräche mit dem jetzigen russischen Außenminister Lawrow, der damals der russische Vertreter in der UNO war, der wesentlich entgegenkommender war, und man war damals allgemein der Meinung, man muss möglichst bald zu einer Lösung kommen, denn mit dieser politischen Lösung ist natürlich das gesamte Schicksal insbesondere des wirtschaftlichen Geschehens im Kosovo verbunden. Meines Erachtens hat man sieben Jahre im Grunde genommen - sträflicher Leichtsinn war das – verbummelt.
Capellan: Muss denn jetzt, wo das Kind ja Ihrer Ansicht nach quasi in den Brunnen gefallen ist, die UNO eine international überwachte Souveränität durchsetzen, wie gerade auch wieder vom amerikanischen Präsidenten gefordert?
Reinhardt: Das wäre schön, wenn sie das könnte, aber sie kann es natürlich nicht, denn die UNO kann ja nur das machen, was im Sicherheitsrat beschlossen wird. Sollten dort – und das ist die große Unbekannte – die Russen ihr Veto einlegen – eigentlich erwartet das jeder -, dann gibt es keine Entscheidung und dann stehen wir im Grunde genommen im Status quo ante. Alles das, was der Beauftragte der UNO, Herr Artissari, der frühere finnische Ministerpräsident, erarbeitet und vorgelegt hat, ist ja im Grunde genommen die Kompromisslösung, die man sich vorstellen kann. Wenn die den Bach runter geht, bleibt im Grunde genommen nur noch eine Lösung langfristig übrig, dass man sagt, wir machen weiter wie bisher mit der Gefahr, dass die Kosovaren auf die Straße gehen und mit Gewalt versuchen, ihr Recht einzuklagen, oder dass sie einseitig ihre Unabhängigkeit erklären. Was daraus politisch, aber auch militärisch werden wird, weiß kein Mensch.
Capellan: Was würde das militärisch bedeuten? Die Frage an den Ex-General.
Reinhardt: Dies bedeutet zunächst mal, dass unser Parlament heute mit Sicherheit gut beraten ist, wenn sie die Fortführung des Einsatzes der deutschen Soldaten da unten beschließen, denn sie jetzt rauszunehmen, wäre geradezu tödlicher Leichtsinn. Man muss sich mal vorstellen, dass die Deutschen jetzt ihr 17. Kontingent dort unten haben. Ich sage das nur, um zu zeigen, wie lange das alles schon läuft. Aber jetzt ist eine riesige Gefahr, dass was immer passiert und wenn vor allen Dingen eine Unabhängigkeit dort unten losgetreten werden würde, weiß man nicht wie die Serben reagieren, wie die Serben in Mitrovica und nördlich davon reagieren, ob es dort zu militärischen Auseinandersetzungen kommen wird. Nach allem was ich weiß ist die Truppe in hoher Alarmbereitschaft. Es wird zu Demonstrationen kommen. Der Studentenführer Kurti hat für Ende Juni zu einer riesigen Demonstration nach Pristina aufgerufen. Die Demonstrationen sind meistens dort unten mit Gewalt verbunden. Was sich aus all diesen Dingen ergibt, vermag ich nicht zu sagen. Man kann bloß der Truppe sagen, seid wachsam, seid in hoher Alarmbereitschaft, damit ihr sehr, sehr schnell das Feuer austreten könnt, wenn es dazu kommen sollte.
Capellan: Herr Reinhardt, Sie haben es eben angesprochen. Belgrad erhält Rückendeckung von Moskau. Blockiert Präsident Putin aus machtpolitischen Interessen die Unabhängigkeit des Kosovo?
Reinhardt: Ich glaube, hier geht es weiter um zwei Dinge. Es geht darum, dass Putin deutlich machen möchte, dass er dort mit gehört werden soll, dass Russland eine wichtige Rolle dort spielt. Zum zweiten kommt Putin im Grunde genommen mit drei Argumenten, die er wieder und wieder hochbringt. Er sagt, die Resolution 1244, die dafür gesorgt hat, dass Kosovo politisch dort steht, wo es heute ist, ist nicht voll ausgenutzt. Zweitens sagt er, wir haben die Befürchtung, dass es damit zu Präzedenzfällen kommt, und er hat ja mit Tschetschenien, Dagestan und anderen Bereichen selbst in seinem Land große Schwierigkeiten, und befürchtet, wenn Kosovo sich unabhängig erklärt, dass in seinem Land in einigen Bereichen Ähnliches passieren könnte. Und er sagt drittens, völkerrechtlich ist es nicht möglich, einfach einen Teil eines Landes abzutrennen und sich selbständig zu machen.
Bei den Punkten ist überall etwas Wahres dran, aber letztendlich geht es um die Machtpolitik mit Amerika, mit dem Westen, die ja nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auch bei dem Raketenabwehrsystem im Augenblick hochgespielt wird, bei Energie hochgespielt wird. Deswegen ist es so unglaublich schwierig, dort zu einer vernünftigen Einigung zu kommen. Herr Putin trifft ja nun den amerikanischen Präsidenten Anfang Juli in Amerika. Das ist eigentlich die letzte Chance aus meiner Sicht, dort zu einem Einvernehmen zu kommen.
Capellan: Was können die Europäer in dieser Sache tun? Müsste Europa in der Kosovo-Frage mehr Druck auf Belgrad auch ausüben? Immerhin wird ja von heute an wieder über eine Assoziierung mit der EU verhandelt. Serbien will in die Europäische Union, heißt es immer wieder von Politikern in Belgrad. Da könnte man ja neben der Kriegsverbrecher-Frage auch die Lösung des Kosovo-Problems stärker thematisieren oder nicht?
Reinhardt: Das meine ich, sollte man auf alle Fälle. So weit ich das weiß, tut man das auch. Die Frage ist, ob die neue serbische Regierung und das neue serbische Parlament tatsächlich noch so europainteressiert sind, wie sie das über lange Zeit gewesen sind, ob dieser Hebel noch zieht. Aber man muss ihn mit allen Mitteln mit Sicherheit probieren, weil er der einzige Hebel ist, der Richtung Serbien überhaupt politischen Druck ausüben kann.
Capellan: Abschließend eine persönliche Frage. Steht die Arbeit der KFOR-Mission, damit auch Ihre persönliche Arbeit derzeit verstärkt auf dem Spiel?
Reinhardt: Nein. Das sehe ich in dem Fall nicht, denn das was KFOR und auch die UNO über die Jahre gemacht hat, bedeutet ja trotz allem was wir eben an negativen Rahmenbedingungen angesprochen haben, dass die Menschen unten wieder in Frieden leben, dass der Krieg aufgehört hat, dass diese fürchterliche gegenseitige Ermordung, nur weil der andere einer anderen ethnischen Gruppe angehört, zu Ende ist. Das alles hat ja aufgehört. Ein großer Teil heute lebt in Normalität, wenn auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fürchterlich sind. Aber dies erzielt zu haben, dass der Krieg aufgehört hat, dass das Morden aufgehört hat, ist ja doch ein ganz entscheidender Vorteil. Und ich kann Ihnen nur sagen, die Menschen da unten – ich komme gerade wieder von unten – sind sehr dankbar dafür.
Capellan: Der ehemalige General Klaus Reinhardt im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Herr Reinhardt, ich danke Ihnen und auf Wiederhören!
Reinhardt: Bitte sehr!
Heute also wird die Bundesregierung eine Verlängerung des deutschen Kosovo-Einsatzes beschließen um ein Jahr. Knapp 2600 deutsche Soldaten sind derzeit dort stationiert. Über diesen Einsatz möchte ich nun mit einem profunden Kenner der Verhältnisse dort im Kosovo sprechen. Ich begrüße General a.D. Klaus Reinhardt, ehemaliger Leiter der NATO-Friedenstruppe im Kosovo. Guten Morgen!
Klaus Reinhardt: Guten Morgen Herr Capellan!
Capellan: Herr Reinhardt, als Sie vor acht Jahren die Leitung des KFOR-Einsatzes übernahmen, hatten Sie damals damit gerechnet, dass dies eine so lange Mission werden würde?
Reinhardt: Nein, das hatte ich nicht. Wir alle waren eigentlich von der Hoffnung ausgegangen, dass es recht bald eine politische Lösung geben würde. Ich erinnere mich an Gespräche mit dem jetzigen russischen Außenminister Lawrow, der damals der russische Vertreter in der UNO war, der wesentlich entgegenkommender war, und man war damals allgemein der Meinung, man muss möglichst bald zu einer Lösung kommen, denn mit dieser politischen Lösung ist natürlich das gesamte Schicksal insbesondere des wirtschaftlichen Geschehens im Kosovo verbunden. Meines Erachtens hat man sieben Jahre im Grunde genommen - sträflicher Leichtsinn war das – verbummelt.
Capellan: Muss denn jetzt, wo das Kind ja Ihrer Ansicht nach quasi in den Brunnen gefallen ist, die UNO eine international überwachte Souveränität durchsetzen, wie gerade auch wieder vom amerikanischen Präsidenten gefordert?
Reinhardt: Das wäre schön, wenn sie das könnte, aber sie kann es natürlich nicht, denn die UNO kann ja nur das machen, was im Sicherheitsrat beschlossen wird. Sollten dort – und das ist die große Unbekannte – die Russen ihr Veto einlegen – eigentlich erwartet das jeder -, dann gibt es keine Entscheidung und dann stehen wir im Grunde genommen im Status quo ante. Alles das, was der Beauftragte der UNO, Herr Artissari, der frühere finnische Ministerpräsident, erarbeitet und vorgelegt hat, ist ja im Grunde genommen die Kompromisslösung, die man sich vorstellen kann. Wenn die den Bach runter geht, bleibt im Grunde genommen nur noch eine Lösung langfristig übrig, dass man sagt, wir machen weiter wie bisher mit der Gefahr, dass die Kosovaren auf die Straße gehen und mit Gewalt versuchen, ihr Recht einzuklagen, oder dass sie einseitig ihre Unabhängigkeit erklären. Was daraus politisch, aber auch militärisch werden wird, weiß kein Mensch.
Capellan: Was würde das militärisch bedeuten? Die Frage an den Ex-General.
Reinhardt: Dies bedeutet zunächst mal, dass unser Parlament heute mit Sicherheit gut beraten ist, wenn sie die Fortführung des Einsatzes der deutschen Soldaten da unten beschließen, denn sie jetzt rauszunehmen, wäre geradezu tödlicher Leichtsinn. Man muss sich mal vorstellen, dass die Deutschen jetzt ihr 17. Kontingent dort unten haben. Ich sage das nur, um zu zeigen, wie lange das alles schon läuft. Aber jetzt ist eine riesige Gefahr, dass was immer passiert und wenn vor allen Dingen eine Unabhängigkeit dort unten losgetreten werden würde, weiß man nicht wie die Serben reagieren, wie die Serben in Mitrovica und nördlich davon reagieren, ob es dort zu militärischen Auseinandersetzungen kommen wird. Nach allem was ich weiß ist die Truppe in hoher Alarmbereitschaft. Es wird zu Demonstrationen kommen. Der Studentenführer Kurti hat für Ende Juni zu einer riesigen Demonstration nach Pristina aufgerufen. Die Demonstrationen sind meistens dort unten mit Gewalt verbunden. Was sich aus all diesen Dingen ergibt, vermag ich nicht zu sagen. Man kann bloß der Truppe sagen, seid wachsam, seid in hoher Alarmbereitschaft, damit ihr sehr, sehr schnell das Feuer austreten könnt, wenn es dazu kommen sollte.
Capellan: Herr Reinhardt, Sie haben es eben angesprochen. Belgrad erhält Rückendeckung von Moskau. Blockiert Präsident Putin aus machtpolitischen Interessen die Unabhängigkeit des Kosovo?
Reinhardt: Ich glaube, hier geht es weiter um zwei Dinge. Es geht darum, dass Putin deutlich machen möchte, dass er dort mit gehört werden soll, dass Russland eine wichtige Rolle dort spielt. Zum zweiten kommt Putin im Grunde genommen mit drei Argumenten, die er wieder und wieder hochbringt. Er sagt, die Resolution 1244, die dafür gesorgt hat, dass Kosovo politisch dort steht, wo es heute ist, ist nicht voll ausgenutzt. Zweitens sagt er, wir haben die Befürchtung, dass es damit zu Präzedenzfällen kommt, und er hat ja mit Tschetschenien, Dagestan und anderen Bereichen selbst in seinem Land große Schwierigkeiten, und befürchtet, wenn Kosovo sich unabhängig erklärt, dass in seinem Land in einigen Bereichen Ähnliches passieren könnte. Und er sagt drittens, völkerrechtlich ist es nicht möglich, einfach einen Teil eines Landes abzutrennen und sich selbständig zu machen.
Bei den Punkten ist überall etwas Wahres dran, aber letztendlich geht es um die Machtpolitik mit Amerika, mit dem Westen, die ja nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auch bei dem Raketenabwehrsystem im Augenblick hochgespielt wird, bei Energie hochgespielt wird. Deswegen ist es so unglaublich schwierig, dort zu einer vernünftigen Einigung zu kommen. Herr Putin trifft ja nun den amerikanischen Präsidenten Anfang Juli in Amerika. Das ist eigentlich die letzte Chance aus meiner Sicht, dort zu einem Einvernehmen zu kommen.
Capellan: Was können die Europäer in dieser Sache tun? Müsste Europa in der Kosovo-Frage mehr Druck auf Belgrad auch ausüben? Immerhin wird ja von heute an wieder über eine Assoziierung mit der EU verhandelt. Serbien will in die Europäische Union, heißt es immer wieder von Politikern in Belgrad. Da könnte man ja neben der Kriegsverbrecher-Frage auch die Lösung des Kosovo-Problems stärker thematisieren oder nicht?
Reinhardt: Das meine ich, sollte man auf alle Fälle. So weit ich das weiß, tut man das auch. Die Frage ist, ob die neue serbische Regierung und das neue serbische Parlament tatsächlich noch so europainteressiert sind, wie sie das über lange Zeit gewesen sind, ob dieser Hebel noch zieht. Aber man muss ihn mit allen Mitteln mit Sicherheit probieren, weil er der einzige Hebel ist, der Richtung Serbien überhaupt politischen Druck ausüben kann.
Capellan: Abschließend eine persönliche Frage. Steht die Arbeit der KFOR-Mission, damit auch Ihre persönliche Arbeit derzeit verstärkt auf dem Spiel?
Reinhardt: Nein. Das sehe ich in dem Fall nicht, denn das was KFOR und auch die UNO über die Jahre gemacht hat, bedeutet ja trotz allem was wir eben an negativen Rahmenbedingungen angesprochen haben, dass die Menschen unten wieder in Frieden leben, dass der Krieg aufgehört hat, dass diese fürchterliche gegenseitige Ermordung, nur weil der andere einer anderen ethnischen Gruppe angehört, zu Ende ist. Das alles hat ja aufgehört. Ein großer Teil heute lebt in Normalität, wenn auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fürchterlich sind. Aber dies erzielt zu haben, dass der Krieg aufgehört hat, dass das Morden aufgehört hat, ist ja doch ein ganz entscheidender Vorteil. Und ich kann Ihnen nur sagen, die Menschen da unten – ich komme gerade wieder von unten – sind sehr dankbar dafür.
Capellan: Der ehemalige General Klaus Reinhardt im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Herr Reinhardt, ich danke Ihnen und auf Wiederhören!
Reinhardt: Bitte sehr!