Ex-Bildungsministerin Annette Schavan

Mit der roten Vespa zum Papst

33:26 Minuten
Porträt von Annette Schavan.
In Rom auf neue Gedanken gekommen: Die ehemalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan war als deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl. © Picture Alliance / dpa / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt
Moderation: Ulrike Timm · 12.02.2021
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Als junge Frau wollte Annette Schavan die katholische Kirche von innen verändern. Sie studierte Theologie, wurde Kultusministerin in Stuttgart und Bildungsministerin im Bund. Nach der Affäre um ihre Promotion stürzte sie. Doch sie stand wieder auf.
Der rheinische Katholizismus hat Annette Schavan stark geprägt. Glauben, sagt die 65-Jährige, sei auch "Ringen". Unter den Skandalen, die die katholische Kirche derzeit erschüttern, leidet auch sie. Aber sie zieht eine Trennlinie zwischen ihrem Glauben und der Institution.
"Zweifel am Glauben erlaube ich mir nicht wegen menschlichen Versagens in der Kirche. Das hat es immer gegeben. Manches hat jetzt eine neue Dimension. Kirche ist in 2000 Jahren auch immer sündige Kirche gewesen. Es gibt Leute, die sagen, wegen des Bodenpersonals verzweifle ich nicht. So würde ich es auch sagen."

Im richtigen Moment zugreifen

Schavan, in Neuss aufgewachsen, studierte Theologie. Ihr Berufsziel war wie bei vielen Frauen ihrer Generation: Lehrerin. Aber dann kam plötzlich ein Angebot vom katholischen Cusanuswerk. Eine große Chance für die junge Frau. Sie griff zu, so wie auch später als ihr, gerade 40-jährig, der Posten der Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg angeboten wurde. Der Schritt vom Rheinland ins schwäbische Stuttgart war nicht einfach.
"Das ist schon mentalitätsmäßig ein Riesenunterschied, ein Sprung ins kalte Wasser. Ich kam in ein Ministerium, in dem ich niemanden kannte. Es war dort erst der Start in das wirkliche politische Leben."
Zehn Jahre, bis 2005, blieb Annette Schavan in Stuttgart. Sie setzte sich gegen viele Widerstände dafür ein, dass Schulen am Oberrhein, der Grenze zu Frankreich, verstärkt Französisch unterrichten. Ihr Anliegen war, mehr für die Vielfalt der Sprachen in Europa zu tun.
Den richtigen Moment erkennen, geistesgewärtig zu sein, ist für die ehemalige Bildungsministerin wichtig. Vor allem Frauen sollten sich mehr zutrauen und nicht zu lange mit Entscheidungen zögern.
"Ganz zentral für politisches, für öffentliches Leben, für die damit verbundenen Entscheidungen, ist, den Kairos, also den günstigen Moment, zu erwischen. Alles, was zu früh oder zu spät kommt, gelingt in der Regel nicht. Alles hat seine Zeit."

Von der Ministerin zur Diplomatin

Seit 1973 ist Schavan Mitglied der CDU. Das C im Parteinamen ist für die bekennende Katholikin keine leere Floskel. Ihre Karriere führte sie 2005 ins Bildungsministerium. Bis sie 2013, nach Aberkennung ihres Doktorgrades, von ihrem Amt zurücktrat – ein tiefer Schlag.
"Die eine Seite ist, dass ich tief getroffen war, verzweifelt war, schlaflose Nächte hatte. Die andere Seite war - so ambivalent sind solche Situationen auch -, dass ich so viel Zustimmung erlebt habe wie in aktiven Tagen selten."
Der Abschied aus der Politik sei ein bisschen wie sterben, hat Schavan einmal gesagt. Sie fand aber eine neue Aufgabe als deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl in Rom – ein Glücksfall. Vier Jahre, bis 2018, lebte sie in der Stadt, die wie keine andere von der Welt der Kirche geprägt ist. Mit einer roten Vespa war sie dort unterwegs.
"Wenn ich an Rom denke, ist das bis für mich auch: andere Farben, ein anderes Licht. Ich fahre seither regelmäßig in diese Stadt, vielleicht auch deshalb, weil sie mir in dieser schwierigen Phase meines Lebens sehr geholfen hat, auf andere Ideen zu kommen, mich zu klären und zu sagen: Ja, jetzt wende ich mich anderen Dingen zu, die mich interessieren."

Wein trinken mit Merkel

Seit vielen Jahren ist Schavan mit Angela Merkel befreundet. Die Theologin und die Physikerin lernten sich vor gut 20 Jahren kennen.
"Ich schätze Angela Merkels Weise, wie sie Aufgaben angeht und wie sie ein Kabinett geführt hat. Es war die immer wieder neue Aufforderung: Malt euch die Welt nicht, wie ihr sie gerne hättet. Wir müssen sie nehmen, wie sie ist, und so gestalten."
Für die CDU gehe mit Merkel eine Ära zu Ende, aber es breche auch eine neue an. Was bleibe, sei die Frage: Wie hältst du es mit dem Markenkern? Schavan wird die weitere Entwicklung aus der Ferne verfolgen, aus Ulm, wo sie lebt.
(svs)
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