Evolutionsbiologe Leander Steinkopf

Warum homöopathische Mittel dennoch heilsam sind

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Nahaufnahme sogenannter Globuli, kleine weiße Kügelchen aus der homoöpathischen Medizin.
Umstrittene Kügelchen: der Wirkstoff von Globuli ist extrem verdünnt. © www.imago-images.de
Leander Steinkopf im Gespräch mit Dieter Kassel · 12.07.2019
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Wissenschaftlich gesehen sind Globuli und Co. völlig unwirksam, sagt Evolutionsbiologe Leander Steinkopf. Dennoch könnten sie zur Heilung von beitragen: Weil Krankheit beim Menschen mehr sei als nur ein "mechanisches" Problem.
Seit die französische Regierung vor vier Tagen beschlossen hat, dass homöopathische Medikamente und Behandlungen nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden, kocht die Kontroverse um Globuli und Co. auch in Deutschland wieder hoch - mit den üblichen Positionen. Die einen beharren darauf, dass kein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit alternativmedizinischer Verfahren erbracht werden könne. Die anderen halten dagegen: Aber sie wirken dennoch. Wer hat hier Recht?
Beide, sagt der Evolutionsbiologe Leander Steinkopf, Autor des Buches "Die andere Hälfte der Heilung".
"Da haben wir meist irgendwelche Globuli oder Tinkturen, die so hoch verdünnt sind, dass überhaupt keine Wirkstoffe mehr enthalten muss und wo man einfach nach den Standards der Wissenschaft sagen muss: Da ist kein Wirkstoff drin, da kann auch nichts wirken", so Steinkopf.
"Aber dann gibt es andererseits die Leute, die das so empfinden, deren Schmerzen, deren Ohrensausen, deren Ziehen in der Wade besser wird, wenn sie das einnehmen. Und die haben ja das Recht, darüber zu urteilen, ob es ihnen hilft."

Kranke brauchen eine Anerkennung ihres Leidens

Der vermeintliche Widerspruch erklärt sich Steinkopf zufolge damit, dass Krankheit beim Menschen eine starke soziale Komponente habe.
So zeige sich über verschiedenste Kulturen hinweg, dass kranken Menschen von der Gruppe geholfen werde: "Sogar in Jäger- und Sammlerkulturen war es so, wenn jemand krank wird, sich ein Bein bricht, sich eine Infektion zuzieht und so weiter, dann fängt die Gruppe ihn auf", betont Steinkopf. "Und die Gruppe hat durchaus auch ein Interesse das zu tun, denn jedes einzelne Mitglied der Gruppe ist ja demselben Risiko ausgesetzt, krank zu werden. Man kann sich das als so eine ganz frühe Form der Krankenversicherung vorstellen, wo, wenn einer ausfällt, die anderen für ihn sorgen."
Vor diesem Hintergrund sieht der Evolutionsbiologe Krankheitssymptome als Signal an Menschen, ihre Leiden zu kommunizieren und mitzuteilen, sie brauchten Hilfe. "Und sobald diese Anerkennung eben da ist, können die Schmerzen oder andere Symptome auch wieder weggehen." Insofern könne auch eine Scheinbehandlung, bei der Arzt möglicherweise wissentlich ein Medikament ohne Wirkstoff verschreibe, zur Heilung beizutragen. "Nicht weil diese Menschen verrückt sind, sondern weil Krankheit nicht nur ein mechanisches Phänomen ist, sondern bei Menschen auch ein soziales Phänomen."
(uko)
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