Eventkultur

Von Rolf Schneider |
Wir haben ein neues Modewort, es lautet Event. Wie viele Modewörter unserer Tage stammt es aus dem Angelsächsischen und wird auch englisch artikuliert, obschon das Nomen ebenso im Deutschen vorkommt, als Eventual oder, adjektivisch, eventuell.
Das große Oxford Dictionary übersetzt das englische event mit Ereignis. Beide Bedeutungen berühren sich partiell, identisch sind sie mitnichten. In unserem gegenwärtigen Sprachgebrauch kann eine Veranstaltung zum Event werden, muss das aber nicht, wie umgekehrt nicht jedes Ereignis ein Event ist.

Als sicher darf gelten, dass es sich bei dem Event um ein kollektives Geschehen handelt, welches positiv besetzt und von den Teilnehmern mit Empfindungen des Genusses und der Zufriedenheit, wenn nicht der Begeisterung wahrgenommen wird. Doch es gibt Einschränkungen. Theaterpräsentationen, Kinovorstellungen und Sinfoniekonzerte sind keine Events. Politische Versammlungen und Demonstrationen sind es kaum. Umzüge wie die Schwulen-und-Lesben-Parade zum Christopher Street Day sind es, der Berliner Karneval der Kulturen ist es ebenso, die Karnevalsumzüge an Rhein und Main sind es aber nicht.

Politische Meetings werden zu Events, wenn ein charismatischer Protagonist auftritt. Wieso der Karneval der Kulturen ein Event ist und der fast gleichartige Rosenmontagszug in Köln hingegen keines, lässt sich nur so erklären, dass letzterer bereits um die anderthalb Jahrhunderte stattfindet und seine Anfänge also zurückreichen in Zeiten, da man im Deutschen den Begriff Event noch nicht kannte. Zum Event gehört demnach noch das Moment des Modisch-Aktuellen - neben dem des Charisma, das sich hier freilich lieber einen anderen Namen zugelegt hat, und der lautet Kult.

Damit haben wir den Bereich des Religiösen betreten. Kult, Abkürzung von Kultus, ist in unserem Sprachgebrauch die Sammelbezeichnung für fromme Handlungen. Nun sind weder bestimme Rocksänger noch gewisse Schauspieler noch einzelne Bücher noch etwelche Einrichtungen der öffentlichen Lustbarkeit der religiöser Frömmigkeit gewidmet. Die Anbetung, welche die hier genannten Objekte erfahren, ist ein Religionsersatz. Die jeweilige Kientel entlädt hier ihre transzendenten Bedürfnisse, da sie andere nicht hat noch kennt; anders gesagt: es geht um Hormonabfuhr.

Eine vergleichbare Säkularisierung oder Profanierung hat auch die Konjunktur des Begriffs Event befördert. Inszenierte Kollektiverlebnisse hießen früher Fest oder Feier und waren unverrückbar im Kirchenjahr verankert. Eines jener Ereignisse begehen wir immer noch, es heißt Weihnachten und vermag, einmal in zwölf Monaten, die christlichen Kirchen Mitteleuropas zu füllen. Die Feste früherer Jahrhunderte oder anderer Kulturen waren oder sind sehr viel zahlreicher. Die Namen lauten Saturnalien oder Entedank oder Ende des Ramadan. Sie gehorchten strikten Ritualen, unterhielten ihre enge religiöse Beziehung und stillten für eine Weile den Erlebnishunger ihrer Teilnehmer. Bis zum nächsten Fest.

Ein Event ist für alles dies das mürbe Substrat. Die Anlässe kommen zufällig, die Rituale sind beliebig. Was früher Priester und Tempeldiener ausrichteten, leisten heute Agenturen und so genannte Event-Manager; in Berlin sind das Aristokratenfrauen mittleren Alters, die Hotelsäle oder andere Locations anmieten und herrichten lassen, um dann Lohnkellner zu bestellen, welche dem Publikum Sekt, Orangensaft und finger food verabreichen. Als Krönung der von ihnen ausgerichteten Events gilt die Anwesenheit eines ortsweit bekannten Haarkünstlers. Jungen Leute bleibt solche Art von Event unbegreiflich.

Das macht: Der Begriff ist auch noch volatil. Darin er erinnert er an die Kunstpraxis seit Auftreten des Dadaisten Marcel Duchamp und seiner ready mades, die so profane Dinge waren wie ein Flaschenreiniger oder ein Urinal; zum Kunstwerk wurden sie, da Duchamp sie zum Kunstwerk erklärte; mitentscheidend war und ist allerdings, dass ein Publikum das akzeptiert. Ganz dem entsprechend ist ein Event, was von seinen Herstellern wie seinen Teilnehmern als Event bezeichnet, verkauft und empfunden wird.

Unbestreitbar, dass der Begriff die Sache adelt. Ein Event-Manager ist etwas Feineres als ein gewöhnlicher Veranstalter. Event klingt erhabener als Stehempfang oder Massenbesäufnis. Letzte Spurenelemente des Numinosem hat das Event herüberretten können aus den Zeitaltern der Frömmigkeit und bietet sie nunmehr, wie alles, was wir konsumieren oder konsumieren sollen, auf den spätkapitalistischen Märkten feil. Der Spätkapitalismus, wie man weiß, ist ein System, da das Angebot die Nachfrage bei weitem übersteigt, was schließlich zu Preisverfall, Abnutzung und Konkurs führen kann. Derart steht zu hoffen, dass eines nicht zu fernen Tages sowohl das Event als auch die Event-Manager einfach verschwunden sind.


Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift "Aufbau" in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen ‘groben Verstoßes gegen das Statut’ wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Schriftstellerkollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u. a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Rolf Schneider schreibt gegenwärtig für eine Reihe angesehener Zeitungen und äußert sich insbesondere zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen.