100. Geburtstag Evelyn Künneke

Von der "Swinggöre" zur Schwulenikone

12:29 Minuten
Porträt von Evelyn Künneke mit einer Federboa, die herausfordernd in die Kamera schaut.
Eine Frau mit vielen Talenten: Heute wäre Evelyn Künneke 100 Jahre alt geworden. © Getty Images / United Archives / kpa
Von Stephan Wuthe · 15.12.2021
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Die vor 100 Jahren geborene Evelyn Künneke war die erste Swingsängerin Deutschlands und während des Krieges sehr populär. Ab den 50er-Jahren feierte sie Erfolge im Film und als Sängerin. Später war sie selbsternannter „Antistar“ und Subkultur-Ikone.
Ihre erste Platte nahm Evelyn Künneke mit 19 Jahren auf: „Dieses Lied hat keinen Text“. 1941 war das Lied leichte Unterhaltung für das kriegsführende Deutschland.
In jugendlichen, Swing-affinen Kreisen war die Schallplatte eine Sensation: Der damals berühmte Entertainer Peter Igelhoff zerrte die unverbrauchte, aber mit einem Swing-Feeling ausgestattete Evelyn Künneke – mit echtem Namen übrigens Eva Susanne Künneke – vors Mikrofon und ließ sie mit einem von ihm geschriebenen Lied einfach drauflos trällern. Sie wurde sofort als Berliner „Swing-Göre“ wahrgenommen.
Ohne ausgebildete Stimme, ohne Gesangstechnik, nur mit leichtem Lispeln und Rhythmusgefühl ausgestattet, legte sie mit ihren 19 Jahren einfach los: Von Beginn an improvisierte sie und kreierte dabei den ihr eigenen kurzatmigem und immer etwas knapp daneben klingenden Stil, der ihr zeitlebens erhalten bleiben sollte. Jahrzehnte später wurde diese Technik zur Kunstform erhoben – als „Neue Deutsche Welle“.

Stilprägend für Deutschland

Evelyn Künneke war eine Person mit echtem „Swing“-Gefühl und war für Deutschland sehr stilprägend. Für ihre Vorbilder musste sie nach Amerika schielen: zur Step-Weltmeisterin Eleanor Powell und der Sängerin Ella Fitzgerald, deren Gesang sie zu kopieren versuchte.
Dabei wuchs Evelyn Künneke in einem klassisch geprägten Haushalt auf: Ihr Vater war der Operettenkomponist Eduard Künneke, ihre Mutter Konzertpianistin. Die junge Evelyn probierte es mit Tanz, doch laut den Kritiken war sie fürs Ballett zu groß, für klassischen Tanz zu modern und für Step aus damaliger Sicht zu amerikanisch. Sie gab sich schließlich den Künstlernamen Evelyn King und ging auf Tour.
Bereits mit 17 Jahren, 1938, gewann sie einen Nachwuchswettbewerb – heute heißt das Casting –und bekam einen Solo-Auftrittsvertrag in dem legendären Schöneberger Varieté „Scala“. Ihren amerikanisch klingenden Künstlernachnamen musste sie dafür allerdings ablegen.

In Plötzensee inhaftiert

In Filmen sang sie Lieder mit Swing-Ästhetik. Neben dem Schlager „Haben Sie schon mal im Dunkeln geküsst“ aus der Feder von Michael Jary wurde die sentimentale Ballade „Sing, Nachtigall, sing“ 1943 – mitten im Krieg – zum Hit und Künneke berühmt.
Ihr freches Mundwerk brachte sie aber auch in Gefahr. Bei einem Auftritt in Amsterdam präsentierte sie auch amerikanische und somit als „feindstaatlich“ verbotene Swing-Nummern – und sie machte Bemerkungen in Anspielung auf die echte Swingmusik, die amerikanische GIs sicherlich sehr bald nach Berlin bringen würden.
Bei ihrer Rückkehr wurde sie in Plötzensee inhaftiert. Einem Todesurteil entging sie nur durch die Intervention von Musikern, die nach ihr verlangten, weil sie so gut Ella Fitzgerald imitieren konnte.

Sexbombe? Alles nur gespielt

Nach dem Krieg, ab den 1950er-Jahren, hatte sie Filmauftritte und veröffentlichte unzählige Schallplatten mit Ohrwürmern, die sie populär machten: Dazu gehörten „Mäckie war ein Seemann“ oder „Egon, ich hab ja nur aus Liebe zu dir ein Glas zu viel getrunken“.

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Zudem machte Künneke mit mehreren gescheiterten Ehen, etlichen Nasenoperationen, Alkoholexzessen und vermeintlichen Sexskandalen von sich in der Klatschpresse reden. Die vermeintlichen Sexskandale sind allerdings mehr ein amüsantes Image, als dass die ihr nachgesagten 3500 Liebhaber zutreffend wären.
Sie selbst sagte in einem Interview mit dem RIAS: „Als ich als Sexbombe proklamiert wurde, habe ich mir gedacht: Na, wenn ich damit Geld verdienen kann, bin ich halt Sexbombe. Ich war keine, ich war wirklich keine, ich hab das aber ganz gut gespielt.“

Ikone der Westberliner Subkultur

In den 1970er-Jahren gelang Evelyn Künneke ein Comeback als selbsternannter „Antistar“: Sie begegnete dem schwulen Filmemacher Rosa von Praunheim, der für Low-Budget-Projekte etwas abgetakelte Stars suchte.
Sie schloss sich als „heißeste Oma Deutschlands“ Travestie-Künstlergruppen an und tauchte immer wieder in skurrilen Rollen in Filmen der Nachwuchsavantgarde auf: Rosa von Praunheim, Rainer Werner Fassbinder und Lothar Lambert holten sie vor die Kamera.
Künneke wurde eine Ikone der Westberliner Subkultur, die auch außerhalb Berlins strahlte. Noch in den 1990er-Jahren tingelte sie über Bühnen in ganz Deutschland.
Am 28. April 2001 verstarb sie fast 80-jährig. Es bleiben ihre Lieder, ihre lebenslustigen Skandale und Geschichten sowie ihr Geheimversteck für mehr Selbstsicherheit auf der Bühne: die Federboa.
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