Evas Beichte
Was ist Eva Herman, der über die Jahre beliebtesten unter den deutschen Nachrichtenmoderatorinnen, von ihren Geschlechtsgenossinnen in den letzten Monaten nicht alles vorgehalten worden: Ihr Eintreten für eine neue Weiblichkeit sei teils zum Knochenkotzen, teils einfach nur unverschämt, es werfe die Frauen um mindestens ein Jahrhundert zurück, ja sie hantiere gar mit der Steinzeitkeule.
Eine etwas verhaltenere Variante war der Vorwurf, da werfe sich die Blondine der ARD wahnhaft zu einer Lehrmeisterin auf, um von prominenter Stelle aus ihre quacksalbernde Botschaft von der Rückkehr der Frau an den Herd zu verbreiten. Der Hinweis, dass sie sich gefälligst an die eigene Nase fassen solle, da sie doch schließlich selber zu den im Beruf erfolgreichen Frauen gehöre, gegen die sie so wortreich zu Felde ziehe, durfte natürlich nicht fehlen.
Von männlichen Autoren kamen mildere Urteile. Einer schrieb, ihr Buch über das Eva-Prinzip sei ihre Couch, der Leser ihr Therapeut. Die Autorin trauere etwas nach, was sie selbst nie wirklich besessen habe: einer intakten Familie. Bekanntlich hätte Frau Herman außer ihrem Sohn Sam gerne noch Kinder bekommen, fühle sich aber jetzt zu alt dafür. Das wirft ein ganz anderes Licht auf die Autorin. Warum ihre oft nicht weniger prominenten Kritikerinnen sich nicht als Therapeuten verstehen wollen, mag daran liegen, dass die neue Weiblichkeit von Frau Herman gleich zum Prinzip erhoben wird. Da scheint kein Spielraum mehr zur Diskussion zu bleiben. Andererseits dürften gerade jene Personen dazu neigen, prinzipiell zu werden, die das, was sie zum Prinzip erheben, gar nicht erfahren haben. Was trägt man im Leben nicht alles vor sich her, um am Ende erkennen zu müssen, dass man sich getäuscht hat. Je unwiederbringlicher etwas, desto mehr hält man daran fest.
So gesehen, wäre an dem oben genannten Vorwurf, Eva Herman würde sich wahnhaft zur Präzeptorin aufspreizen, schon etwas dran, außer dass man Wahn nicht kritisieren dürfte. Um einen Wahn zu heilen, bedarf es einer anderen Haltung, eben der therapeutischen. Aber sitzt Eva wirklich auf der Couch? Ihre immer wieder geäußerten religiösen Überzeugungen sprechen eher dagegen. Wenn es wörtlich von ihr heißt, "das Gespräch mit dem Schöpfer, seine Liebe und sein Geleit" seien die ihr im Leben wichtigsten Dinge, dann bietet sich nicht die Couch zum Vergleich an. Was, wenn das Plädoyer für eine neue Weiblichkeit mehr eine Eva auf dem Beichtstuhl voraussetzte. Als würde das Plädoyer die Form eines langen Gebets angenommen haben. Wo die Reue über den eingeschlagenen Lebensweg in jedem Wort mitschwingt und das Eva-Prinzip für eine Eva im Büßergewand herhalten muss. Wir, die Leser, wären dann nicht Evas Therapeuten, sondern Evas Beichtväter.
Vieles, was die Kritikerinnen gegen das Prinzip einzuwenden haben, klingt, wenn sie sich in ihrer Kritik nicht gerade gegenseitig überbieten, überzeugend. Es ist mehr als nur politisch korrekt. Dass viele Frauen depressiv werden, die ihrer Hausfrauentätigkeit nachgehen und keinem weiteren Beruf, kann man gut verstehen. Solange sie für ihre aufopfernde Tätigkeit nichts kriegen, fehlt ihnen das Wertgefühl, und ohne Wertgefühl sind sie wenig begehrenswert. Ob Eva Herman deshalb ihnen gegenüber aber schon als unverschämt bezeichnet werden muss, ist doch sehr fraglich. In ihr Gebet, wenn es denn eins ist, würde sie alle Frauen, die jetzt unter ihrer Hausfrauen- und Mutterrolle leiden, ohne weiteres mit einschließen können; indem sich das Gebet an alle richtete, die ihre Beichte nicht nur anhören, sondern daraus auch die Konsequenz ziehen wollen, den aus Evas Sicht prinzipiell weiblichen Beruf finanziell so aufzuwerten, dass er wieder erstrebenswert wird.
Wenn es sich also um Evas Beichte handeln sollte, dann böte die Heftigkeit der Ausfälle gegen sie seitens ihrer Kritikerinnen eine Gewähr für die Religionsferne emanzipierter Frauen. Ihnen trägt kein Minnesänger mehr huldvolle Lieder vor. Fast ist mir, als würde die Vehemenz ihrer Kritik diesen – unwiederbringlichen - Verlust übertönen. Ganz unbewusst. Es erinnert mich an ein kluges Wort von Charly Chaplin, dass der Mensch an den entscheidenden Stellen seines Lebens einen Wegweiser brauchte, doch es gibt keinen. Man hätte vielleicht kurz vorher abbiegen müssen, aber nun ist es zu spät. Und – man hat es nicht bemerkt, bemerkt es vielleicht nie.
Dazu passt eine Notiz genannte Poesie von Mario Wirz: "Mit den Tagen/ sinken wir/ in Träume/ von anderen Tagen/ Auch diese Woche/ verfällt/ dem Trugbild/ Ein Leben lang/ schlafen wir/ mit offenen Augen/ bis alle Jahre/ vergangen sind/ in unserer Abwesenheit."
Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".
Von männlichen Autoren kamen mildere Urteile. Einer schrieb, ihr Buch über das Eva-Prinzip sei ihre Couch, der Leser ihr Therapeut. Die Autorin trauere etwas nach, was sie selbst nie wirklich besessen habe: einer intakten Familie. Bekanntlich hätte Frau Herman außer ihrem Sohn Sam gerne noch Kinder bekommen, fühle sich aber jetzt zu alt dafür. Das wirft ein ganz anderes Licht auf die Autorin. Warum ihre oft nicht weniger prominenten Kritikerinnen sich nicht als Therapeuten verstehen wollen, mag daran liegen, dass die neue Weiblichkeit von Frau Herman gleich zum Prinzip erhoben wird. Da scheint kein Spielraum mehr zur Diskussion zu bleiben. Andererseits dürften gerade jene Personen dazu neigen, prinzipiell zu werden, die das, was sie zum Prinzip erheben, gar nicht erfahren haben. Was trägt man im Leben nicht alles vor sich her, um am Ende erkennen zu müssen, dass man sich getäuscht hat. Je unwiederbringlicher etwas, desto mehr hält man daran fest.
So gesehen, wäre an dem oben genannten Vorwurf, Eva Herman würde sich wahnhaft zur Präzeptorin aufspreizen, schon etwas dran, außer dass man Wahn nicht kritisieren dürfte. Um einen Wahn zu heilen, bedarf es einer anderen Haltung, eben der therapeutischen. Aber sitzt Eva wirklich auf der Couch? Ihre immer wieder geäußerten religiösen Überzeugungen sprechen eher dagegen. Wenn es wörtlich von ihr heißt, "das Gespräch mit dem Schöpfer, seine Liebe und sein Geleit" seien die ihr im Leben wichtigsten Dinge, dann bietet sich nicht die Couch zum Vergleich an. Was, wenn das Plädoyer für eine neue Weiblichkeit mehr eine Eva auf dem Beichtstuhl voraussetzte. Als würde das Plädoyer die Form eines langen Gebets angenommen haben. Wo die Reue über den eingeschlagenen Lebensweg in jedem Wort mitschwingt und das Eva-Prinzip für eine Eva im Büßergewand herhalten muss. Wir, die Leser, wären dann nicht Evas Therapeuten, sondern Evas Beichtväter.
Vieles, was die Kritikerinnen gegen das Prinzip einzuwenden haben, klingt, wenn sie sich in ihrer Kritik nicht gerade gegenseitig überbieten, überzeugend. Es ist mehr als nur politisch korrekt. Dass viele Frauen depressiv werden, die ihrer Hausfrauentätigkeit nachgehen und keinem weiteren Beruf, kann man gut verstehen. Solange sie für ihre aufopfernde Tätigkeit nichts kriegen, fehlt ihnen das Wertgefühl, und ohne Wertgefühl sind sie wenig begehrenswert. Ob Eva Herman deshalb ihnen gegenüber aber schon als unverschämt bezeichnet werden muss, ist doch sehr fraglich. In ihr Gebet, wenn es denn eins ist, würde sie alle Frauen, die jetzt unter ihrer Hausfrauen- und Mutterrolle leiden, ohne weiteres mit einschließen können; indem sich das Gebet an alle richtete, die ihre Beichte nicht nur anhören, sondern daraus auch die Konsequenz ziehen wollen, den aus Evas Sicht prinzipiell weiblichen Beruf finanziell so aufzuwerten, dass er wieder erstrebenswert wird.
Wenn es sich also um Evas Beichte handeln sollte, dann böte die Heftigkeit der Ausfälle gegen sie seitens ihrer Kritikerinnen eine Gewähr für die Religionsferne emanzipierter Frauen. Ihnen trägt kein Minnesänger mehr huldvolle Lieder vor. Fast ist mir, als würde die Vehemenz ihrer Kritik diesen – unwiederbringlichen - Verlust übertönen. Ganz unbewusst. Es erinnert mich an ein kluges Wort von Charly Chaplin, dass der Mensch an den entscheidenden Stellen seines Lebens einen Wegweiser brauchte, doch es gibt keinen. Man hätte vielleicht kurz vorher abbiegen müssen, aber nun ist es zu spät. Und – man hat es nicht bemerkt, bemerkt es vielleicht nie.
Dazu passt eine Notiz genannte Poesie von Mario Wirz: "Mit den Tagen/ sinken wir/ in Träume/ von anderen Tagen/ Auch diese Woche/ verfällt/ dem Trugbild/ Ein Leben lang/ schlafen wir/ mit offenen Augen/ bis alle Jahre/ vergangen sind/ in unserer Abwesenheit."
Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".