Evangelische Kirche

Einblick ins Private

Von Matthias Bertsch · 01.02.2014
Die Ausstellung "Leben nach Luther" über die Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses in Berlin wird von einer Vortragsreihe begleitet. Dunkle Seiten des Protestantismus werden dabei nicht ausgespart.
Als Martin Luther im Sommer 1525 Katharina von Bora heiratete, betonte er, dass dieseEhe nicht "in fleischlicher Liebe oder Hitze" erfolgt sei, sondern um "mit der Tat zu bekräftigen, was ich da selbst gelehrt habe".
"In diesem Satz steckt im Grunde schon die Entwicklung des Pfarrhauses 'in nuce'. Und die Rolle der Pfarrfrau entwickelt sich in den folgenden Jahrzehnten aus diesem öffentlichen Anspruch. In der Ehe und in der Familie des Pfarrehepaars realisiert sich modellhaft der christliche Glaube, hier soll die religiöse Überzeugung von der Lehre ins Leben springen, hier muss für die Gemeinde im Alltag erkennbar werden, was sonntags von der Kanzel gepredigt wird, selbstveständlich vom Mann."
Obwohl Luther selbst kein Pfarrer war, sondern Professor - und seine Frau eine aus dem Kloster geflüchtete Nonne -, gelte die Ehe des Reformators vielen bis heute als Urbild des evangelischen Pfarrehepaars, betonte Petra Bahr im Deutschen Historischen Museum. Die Kulturbeauftragte des Rates der EDK referierte im Rahmen der Vortragsreihe, mit der das Museum die gerade laufende Ausstellung zur Geschichte des evangelischen Pfarrhauses vertieft, über die Geschlechterverhältnisse im Pfarrhaus. Bis weit ins 20. Jahrhundert, so Bahr, sei die Rolle der Pfarrfrau vor allem eine gewesen: die einer selbstlosen Dienerin der Gemeinde und der Familie.
Die Pfarrfrau als selbstlose Dienerin
"Pfarrfrauen lebten ihre Ehe im 'Glashaus', sie mussten unter den Augen der Gemeinde ihre Kinder erziehen, oder, was viel schlimmer war, Kinderlosigkeit erdulden. Und ihre Anerkennung hing in der Regel von der Anerkennung ihres Mannes ab. Ihre Arbeit, oft bis zur völligen Selbstaufgabe, wurde mit 'Gotteslohn' bezahlt."
Während das Leben im Pfarrhaus lange Zeit als Vorbild der bürgerlichen Familie galt, entwickelte es sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr zum Spiegel der Gesellschaft. Seit den späten 50er-Jahren - und auf Druck der Gesellschaft, betont Bahr - erhielt schrittweise auch die Gleichstellung von Mann und Frau Einzug ins evangelische Pfarrhaus. Aus dem Vorbild für die sei heute vor allem ein Abbild der Gesellschaft geworden.
"Im Pfarrhaus zerbrechen Ehen. Und längst ist die Vielfalt der Lebensformen im Pfarrhaus angekommen. Was ist das Pfarrhaus eigentlich noch genau? Eine Institution, die den Protestantismus getragen und geprägt hat, aber auch verwandelt hat und weiter verwandelt. Die Diskussion um gleichgeschlechtliche Paare und Patchworkfamilien, um Singles und neue kommunitäre Bewegungen im Pfarrhaus zeigt das."
Vom Vorbild zum Abbild der Gesellschaft
Die Frage nach der Bedeutung des evangelischen Pfarrhauses heute ist eine, wenn nicht die zentrale des Begleitprogramms. Während das Pfarrhaus durch die Ausstellung selbst sozusagen ins Museum "abgeschoben" wird, wird in den Vorträgen und Diskussionen nach der Relevanz der Institution heute gefragt. Und diese Frage ist nach wie vor aktuell, so die Kuratorin der Ausstellung, Shirley Brückner:
"Es ist natürlich auch vor allem eine Diskussion im Milieu selbst, aber das ist ja wirklich groß und vielfältig, man sieht es ja beispielsweise an der gegenwärtigen Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Pfarrhaus. Hier in Berlin ist das quasi normal, im Erzgebirge ist das ein unglaublicher Kulturkampf, da ist das quasi der Weltuntergang, also das ist beispielsweise was, was im Moment noch in der Diskussion ist in der Kirche im Bezug aufs Pfarrhaus."
Neben diesen aktuellen Fragen thematisiert das Begleitprogramm auch die Bedeutung der Kirche und des Pfarrhauses in der DDR und im Nationalsozialismus. Vor allem im "Dritten Reich" ist die Rolle eine sehr ambivalente. Auf der einen Seite standen Pfarrer wie Martin Niemöller, dessen Dahlemer Predigten den NS-Staat unverhohlen kritisierten, so die heutige Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Dahlem, Marion Gardei:
"Er hat zumindest am Schluss seiner Predigttätigkeit ziemlich direkt die Sachen ausgesprochen. Das war so populär, dass Menschen aus allen Bezirken nach Dahlem kamen, um ihn zu hören, und wer damals am U-Bahnhof Dahlem-Dorf ausstieg, da war die offizielle Ansage: 'Zur Predigt Niemöllers bitte hier aussteigen!'"
Doch neben wenigen mutigen Pfarrern der Bekennenden Kirche gab es viele, die den "Deutschen Christen" angehörten und fanatische Nationalsozialisten waren. Sie hängten teilweise schon vor 1933 die Hakenkreuzfahne aus den Fenstern ihrer Pfarr- und Gemeindehäuser. Darauf wird der Historiker Manfred Gailus in seinem Vortrag "Fatale Entgleisungen. Evangelische Pfarrer und Pfarrhäuser im Dritten Reich" Mitte Februar eingehen.
Ursprung des kleinbürgerlichen Denkens?
Den Abschluss des Begleitprogramms bildet eine Podiumsdiskussion am 24. Februar. Unter dem Titel "Montag bis Samstag geschlossen? Zur Zukunft des evangelischen Pfarrhauses" wird der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg, Markus Dröge, unter anderem mit dem protestantischen Theologen Friedrich Wilhelm Graf diskutieren, der seiner Kirche schon mehrfach kleinbürgerliches Denken und einen moralischen Rigorismus vorgeworfen hat. Diese Gefahr habe immer in der Institution des Pfarrhauses gesteckt, gibt auch Petra Bahr zu. Doch die Alternative eines Pfarrers oder einer Pfarrerin, die zum bloßen Dienstleister an Sonn- und Feiertagen werden, sei auch keine wünschenswerte Option:
"Viele sind ja auch ganz froh, dass sie den Eindruck haben, das sind jetzt eben nicht die moralischen Reinheitsapostel, die etwas leben, was es nur in Büchern gibt, sondern dass die einerseits so wie wir leben, aber andererseits sich trauen, mit einer bestimmten Beauftragung, die der Pfarrer oder die Pfarrerin in der Gemeinde hat, auch zuzulassen, dass in bestimmter Hinsicht jedenfalls die Ehepartner oder die Kinder da mit involviert sind. Und die interessante Frage, finde ich, ist die, wie man es schafft, dass dieses Modell nicht überstrapaziert wird, ohne sich zu einem Modell von Pfarrhaus zurückzuziehen, das nur noch ein Job ist oder eine Adresse."