"Evangelisch im 21. Jahrhundert"

Von Thomas Kroll · 25.01.2007
Welche Zukunft hat der Protestantismus in Deutschland? Und was heißt es, im 21. Jahrhundert evangelisch zu sein? Mit derlei Fragen beschäftigt sich der Zukunftskongress der Evangelischen Kirche in Deutschland. Für drei Tage hat man sich bewusst in der Lutherstadt Wittenberg versammelt, um nötige Reformen zu diskutieren und neue Perspektiven zu entwickeln.
"Das Impulspapier ‚Kirche der Freiheit’ meint wirklich das, was draufsteht. Es wird ein Diskussionsimpuls gegeben, und das Resultat soll nicht darin bestehen, dass dieses Papier in einer zweiten verbesserten Auflage veröffentlicht wird. Es geht nicht um eine Verbesserung des Papiers, sondern es geht um eine Verbesserung der Wirklichkeit unserer Kirche."

Auch im 21. Jahrhundert will die Evangelische Kirche in Deutschland die Kraft und Schönheit des Evangeliums zum Leuchten bringen. Menschen sollen erfahren, was es heißt, aus der Freiheit des Glaubens zu leben.

Daher hat der Rat der EKD im Sommer des vergangenen Jahres ein Impulspapier vorgelegt mit dem Titel "Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert". Es beschreibt Erfordernisse, Chancen und Herausforderungen der Kirche angesichts der sich wandelnden gesellschaftlichen Situation. Kirchenaustritte und wachsendes Interesse an religiösen Themen bestimmen das Bild und die Wirklichkeit der Landeskirchen ebenso wie etwa finanzielle Einbußen, Arbeitslosigkeit und globalisierter Wettbewerb. Wie all dem begegnen? Das Impulspapier des Rates der EKD benennt notwendige strukturelle Veränderungen und wünschenswerte spirituelle Aufbrüche.

Ein halbes Jahr lang war der gut hundertseitige Text Gegenstand von Reflexionen und Diskussionen, war Auftakt und Antrieb für die fällige Reformdebatte. Heute sind rund dreihundert Menschen in Wittenberg zusammengekommen, um die vielfältigen Meinungsäußerungen und Ergebnisse der Auseinandersetzungen zusammenzuführen. Alle Mitglieder des Rates, alle Leitenden Geistlichen und alle Leitenden Juristen der Gliedkirchen der EKD sind in der Lutherstadt versammelt. Hinzu kommen etwa 120 Delegierte aus den Gliedkirchen sowie einige vom Rat ausgesuchte Persönlichkeiten.

In seiner Rede zum Auftakt des Kongresses beschrieb Bischof Huber, was es bedeutet, im 21. Jahrhundert evangelisch zu sein. Im Zuge dessen steckte er den Horizont der Reformvorhaben ab und füllte das Stichwort mit Leben, unter dem der gesamte Reformprozess steht: "Kirche der Freiheit."

"Kirche der Freiheit bedeutet unter anderem auch, dass diese Kirche frei darin ist, ihre Formen und Strukturen selber zu gestalten ihrem Auftrag gemäß, aber auch immer wieder kritisch zu prüfen, welche Strukturen eigentlich noch dem Auftrag entsprechen und deswegen bewahrt und weiter geführt werden sollen und an welcher Stelle um des Evangeliums willen Neues unternommen werden soll."

Das Impulspapier wird konkret und führt zwölf Leuchtfeuer der Zukunft auf. Diese Leuchtfeuer weisen den Weg für Aufbrüche zum Beispiel in den kirchlichen Kernangeboten; sie sollen Licht und Orientierung geben für Aufbrüche beim kirchlichen Handeln in der Welt und bei der kirchlichen Selbstorganisation.
Ein Beispiel: Beim 2. Leuchtfeuer geht es um die Zukunft der Gemeinden, um verschiedene Modelle und Angebote.

"Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten – die Vielfalt evangelischer Gemeindeformen bejahen. Im Jahre 2030 gibt es verschiedene, in gleicher Weise legitime Gemeindeformen der evangelischen Kirche. Durch sie werden Mitgliederorientierung und missionarische Wendung nach außen gestärkt. Die Profilierung spezifischer Angebote ist erwünscht, die frei gewählte Zugehörigkeit der Kirchenmitglieder zu einer bestimmten Gemeinde wird bejaht, ein verantwortetes Maß an Wettbewerb unter den Gemeindeformen und -angeboten wird unterstützt und gelingende Beispiele werden gestärkt."

"Wir sollten uns die Kirche nicht vorstellen wie eine Supermarktkette, die an allen Orten identische Filialen mit dem identischen Angebot im Regal hat, sondern die Kirche ist eine Gemeinschaft von Glaubenden, ein Haus der lebendigen Steine wie es in einem wunderbaren biblischen Bild heißt. Und das bedeutet: Jede Gemeinde hat ihre besondere Prägung."

De facto wählen Menschen aus, auch was den Gottesdienst am Sonntag anbelangt. Wer etwa in Berlin einen besonders feierlichen Gottesdienst erleben möchte, geht in den Berliner Dom, wer an der intensiven Begegnung von Kirche und Kultur interessiert ist, wird vielleicht eher die Matthäikirche aufsuchen. Dem muss und will die Evangelische Kirche in Zukunft bewusster begegnen – und das Wahlverhalten der Menschen bejahen. Es geht dabei auch um die Bündelung von Kräften, um Qualitätsorientierung, nicht zuletzt um die Vielfalt profilierter Angebote als Ergebnis eines gemeinsamen Wollens: Hier ein ansprechender Kindergottesdienst, dort ein kirchenmusikalisches Highlight.

Der Kongress in Wittenberg hat die Aufgabe, den Weg hin zu diesem und weiteren Zielen näher zu beschreiben. Dabei kommen den Landeskirchen unterschiedliche Vorreiterrollen zu, was schließlich zu einem wechselseitigen Lernprozess zwischen den Landeskirchen führen soll.

"Für Wittenberg ist eine meiner großen Hoffnungen, dass für bestimmte Vorhaben sich zeigt, welche Landeskirche nimmt dieses Vorhaben in die Hand, treibt es voran, die anderen können davon lernen und nach einer gewissen Zeit treffen wir uns wieder zu einem neuen Zukunftskongress und sehen, an welchen Stellen besonders überzeugende und besonders starke Modelle geschaffen worden sind für eine Kirche, die missionarisch ausstrahlungsstark ist, die mit ihren den ihr anvertrauen Kräften gut umgeht und die sie sich in einer neuen Weise Kern des kirchlichen Auftrags besinnt."